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Meinung: So machen’s doch alle

Müll, Mafia, Korruption, Anmaßung, Regierungskrise: Italien versinkt im Sumpf.

Saubere Hände“, das war einmal. So nannte die Mailänder Staatsanwaltschaft ihre flächendeckenden Ermittlungen gegen die korrupte politische Klasse Italiens. Abgeordnete, Minister, Parteifunktionäre wanderten reihenweise in Untersuchungshaft; 1254 von ihnen wurden verurteilt, Italiens „Erste Republik“ brach zusammen.

„Saubere Hände“ („mani pulite“) – das ist nun 16 Jahre her. Und dass sich in dieser Zeit wieder sehr viel Schmutz angesammelt hat im „Belpaese“, im „Schönen Land“, das riecht man derzeit nicht nur in den Straßen der Region Kampanien. Dort hat eine chronische, an kollektive Körperverletzung grenzende Nicht-Politik einige Grundübel Italiens nur in dramatischer, weltweit sichtbarer Weise hervortreten lassen.

Das eine ist die Verantwortungslosigkeit gegenüber den Folgen eigenen Handelns. „Für den Müll findet sich immer ein Loch“, meinte man bis gestern in Kampanien. Kein italienischer Politiker traute sich, den Neapolitanern ins Gesicht zu sagen, dass sie mit ihrem gedankenlosen Wegwerfen einerseits und mit ihrem Protest gegen Entsorgungsanlagen andererseits zwangsläufig in der Katastrophe landen würden. Kein Politiker, obwohl zum Regieren berufen, hatte die Courage, Regeln und Normen durchzusetzen – in diesem Falle etwa die guten Gesetze über die Getrenntsammlung von Hausmüll.

Lieber kümmerten sich Kampaniens Mächtige um ihre persönliche Klientel, streuten Wohltaten übers Land, organisierten Seilschaften, knüpften Beziehungsnetze und schüttelten gönnerhaft viele, viele Hände – darunter zahlreiche schmutzige. Gleichzeitig mit dem Müll ist die Camorra so stark, so reich geworden wie nie zuvor. Aber dass ein Politiker die Verantwortung für all das übernähme, hat man nicht gehört. In Kampanien tritt keiner zurück.

„Così fan tutti!“ – „So machen’s doch alle“, verteidigte sich Justizminister Clemente Mastella, als ihm die Staatsanwaltschaft jetzt nachwies, wie er in seiner kampanischen Heimat Stellenbesetzungen gefingert und Ausschreibungen gefälscht hatte. Mastella wollte die Regierung auch noch zwingen, ihm ihre uneingeschränkte Solidarität zuteil werden zu lassen. Schwarz auf weiß wollte also ein Justizminister (!) seine illegalen oder illegitimen Praktiken gutgeheißen sehen. Der Antrag war unmoralisch; Romano Prodi als Ministerpräsident konnte ihn nicht erfüllen – und deswegen hat Mastella nun die ganze Regierung platzen lassen. Das spricht Bände.

Gleichzeitig hat sich die Justiz wieder einmal Silvio Berlusconi vorgenommen, der „auch nur“ getan hat, „was alle machen“ – diesmal hat er Druck aufs Staatsfernsehen ausgeübt, einige ihm wohlgefällige Schauspielerinnen einzusetzen. Und zugleich wird bekannt, dass der skandalgeschüttelte Spitzenfußball die versprochene moralische Wende schuldig geblieben ist: Die Personal- und „Vitamin- B“-Netze des früheren Juventus-Managers Luciano Moggi sind intakt wie eh und je.

Drei Viertel der Italiener haben, einer neuen Studie zufolge, kein Vertrauen mehr zu Parlament, Politik, Regierung. Was jetzt in Sizilien passiert, gibt ihnen recht. Da ist Gouverneur Salvatore Cuffaro – nach deutschen Maßstäben der Ministerpräsident – zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Er hat Bossen und Zuträgern der Mafia geholfen, der Polizei zu entrinnen. Weil die Richter aber nicht befanden, er habe „der“ Mafia an sich geholfen, sieht der Christdemokrat Cuffaro keinen Grund zum Rücktritt. Und die rechte Hälfte der italienischen Politik solidarisiert sich sogar mit ihm.

Dies aber geschieht zu einer Zeit, in der Palermo das Joch der Mafia endlich abschütteln will. Die Polizei hat nahezu die gesamte Führung der Cosa Nostra inhaftiert, Geschäftsleute versuchen zaghaft, sich gegen die Schutzgelderpresser aufzulehnen. Just in diesem Augenblick erklären Cuffaro & Co. die Zusammenarbeit mit den Mafiosi für unbedenklich. Ein größerer Rückschlag ist kaum denkbar.

Vom Müll über Mastellas Putsch bis zur Mafia: Dass sich diese Meldungen innerhalb von nur wenigen Tagen gehäuft haben, das beunruhigt nicht nur. Es ist ein Menetekel. Hier befindet sich ein Land im Abstieg. Oder viel schlimmer noch: Es geht vor die Hunde.

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