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Klimaaktivistin Luisa Neubauer

© Imago/Marc John

Streit um Industriestrom und Klimageld: Die Politik hört zu sehr auf die Lobby der Bewahrer

Um Industriestrom billiger zu machen, wird der Klima- und Transformationsfond KTF gekapert. Dessen Zweckentfremdung erreicht damit einen Höhepunkt. Wie es besser – und gerechter – geht.

Ein Gastbeitrag von

Seit Monaten streitet die Koalition über einen Industriestrompreis, der die Stromkosten für die energieintensive Industrie auf etwa 6 Cent pro kWh begrenzen soll. Bundeskanzler Scholz hat sich lange gegen einen Industriestrompreis ausgesprochen, weil er – zurecht – nicht von der Maßnahme überzeugt ist.

Nun ist ein Kompromiss in der Diskussion, der es in sich hat: Der Industriestrompreis soll über den Klimatransformationsfonds (KTF) finanziert werden. Das Sondervermögen ist für Maßnahmen zum Klimaschutz angelegt – und wird dieser Tage mit wachsender Kreativität zweckentfremdet.

Mittlerweile dient er als Quelle für alle Arten an Ausgabenwünschen, die in der Koalition so aufkommen, von Subventionen für Chipfabriken bis zur Deckung des Investitionsbedarfs der Deutschen Bahn. Mit dem Industriestrompreis hätte dieses Kapern einen vorläufigen Höhepunkt erreicht.

Die zunehmende Zweckentfremdung des KTF bedeutet auch, dass Projekte auf der Strecke bleiben, für die der Fonds ursprünglich vorgesehen war. Allen voran: Das Klimageld, durch das die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung, die dem KTF zufließen, pro Kopf an die Bevölkerung zurückgegeben werden sollen. Dafür ist anscheinend zunächst überhaupt kein Budget im KTF vorgesehen.

Und das, obwohl er im vergangenen Jahr mit den Kreditermächtigungen aus Zeiten der Corona-Pandemie ordentlich aufgefüllt worden war. Die Folgen dieser Entscheidungen können weitreichend sein: verfehlte Klimaziele, eine verschleppte Industrie-Transformation und wachsendes Misstrauen der Klimapolitik gegenüber.

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Hier wäre ein Gegenvorschlag: Zunächst sollten die Ziele priorisiert werden, die schon im Koalitionsvertrag festgehalten wurden: Die Anschärfung des Emissionshandels (diese könnte man durchaus ambitionierter angehen als derzeit geplant) und die Rückgabe der Einnahmen aus dem Emissionshandel in Form eines Klimagelds, das pro Kopf an die Menschen ausgezahlt wird.

Dieses Vorgehen ist gleichsam effektiv wie sozial bedeutsam: Besonders profitieren von diesem System diejenigen mit einem niedrigen CO2-Fussabdruck, denn sie verursachen tendenziell weniger Emissionen. Sie zahlen daher über die CO2-Bepreisung entsprechend wenig ein, bekommen aber genauso viel zurück wie alle anderen.

Haushalte in den unteren Einkommensgruppen, die aufgrund ihres Konsumverhaltens deutlich weniger Emissionen verursachen als die reicheren Haushalte, würden im Durchschnitt sogar netto profitieren – also mehr zurückerstattet bekommen, als sie einzahlen.

Befragt man die Deutschen zu ihrer Einstellung zum Klimaschutz, erklärt zwar die große Mehrheit, dass sie die Einhaltung der Klimaziele unterstützt und mehr Handeln von der Regierung einfordert. Eine Mehrheit ist aber gleichzeitig besorgt, durch ungerechte Klimamaßnahmen benachteiligt zu werden. Diese Sorgen sollte die Bundesregierung ernst nehmen.

Ein wirksamer Emissionshandel sollte mit einem Klimageld kombiniert und kommuniziert werden, damit besonders die Menschen am unteren Ende der Einkommensverteilung darauf vertrauen können, dass die Energiewende nicht auf ihrem Rücken ausgetragen wird. Das aktuelle Vorgehen, das zunächst die Wohlhabenden vor Statusverlust schützt, muss nach hinten losgehen – insbesondere weil es die Glaubwürdigkeit der Politik beschädigt, Klimaschutz und soziale Ausgewogenheit zu verbinden. Spätestens, wenn ein großer Teil der Wähler dieser Politik ihre Zustimmung verweigert, wird dies zu einem grundlegenden Problem.

Einnahmen aus der CO2-Bepreisung und Klimageld müssen gekoppelt sein

Und selbst wenn man die sozial Benachteiligten auf diese Weise effektiv vor Härten schützt, wird es nach den vielen Querelen innerhalb der Ampel-Regierung eine immense Herausforderung sein, ihnen dies auch glaubhaft zu kommunizieren. Eine klare Kopplung von Einnahmen aus der CO2-Bepreisung und der Rückzahlung im Rahmen des Klimagelds ist dafür entscheidend. Gleichzeitig sollte die Politik den Strukturwandel der energieintensiven Industrie anstoßen und begleiten. Denn nur, wenn sich die Industrie den Transformationsaufgaben offensiv stellt, wird sie international zukünftig nicht abgehängt werden.

Energieintensive Vorprodukte, die mittelfristig klimaneutral produziert werden müssen, sind schon in der Energiekrise teilweise durch Importe substituiert worden. An vielen Stellen könnte es möglich sein, diese Vorprodukte klimaneutral im Ausland zu produzierten, an exzellenten Standorten für erneuerbare Energien weltweit.

So könnten die darauf aufbauenden Wertschöpfungsketten in Deutschland erhalten bleiben, der Stromverbrauch würde nicht unnötig angeheizt und gleichzeitig könnten Kooperationen mit interessanten Exporteuren von Wasserstoff und darauf aufbauenden Energieträgern auch deren Transformation zur Klimaneutralität befördern.

Konsequenter Klimaschutz, den es so dringend braucht, wird der Gesellschaft einiges an Veränderungen abverlangen. Dem müssen sich Gesellschaft und Politik stellen – nicht nur im Abstrakten, in Reden und Parteiprogrammen, sondern auch dort, wo es konkret wird.

Und genau hier, im Konkreten, in der Umsetzung, ist die Politik diese Tage gefragt, den Blick dorthin zu lenken, wo wertvolles Vertrauen gerade droht verspielt zu werden.

Der Vorschlag, den KTF für einen Industriestrompreis zu nutzen und das Klimageld gleichzeitig zu verschleppen, ist Sinnbild für eine Politik, die transformativen Anspruch missen lässt und einseitig auf Lobbys hört, die schlicht auf Bestandswahrung abzielen.

Während diejenigen mit dem meisten Geld auch die größte Lobby mobilisieren können, sind es in der Demokratie am Ende die vielen Menschen mit sehr beschränkten Möglichkeiten sein, die der Politik das Mandat geben, Veränderungen voranzutreiben. Zukunftsorientierte Politiker sollten sich auf dieses Spiel nicht einlassen.

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