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Ärmelabzeichen einer Bundeswehrsoldatin der deutschen Kfor.

© picture alliance/dpa/Sina Schuldt

Vor 25 Jahren begann der Kosovokrieg: Die Bundeswehr ist erwachsener als Deutschland

Mit der Beteiligung an den Nato-Angriffen auf Serbien begann auch der erste Kampfeinsatz in der Geschichte der Bundeswehr. Erstaunlich, wie sehr sich das Selbstverständnis der Truppe seither gewandelt hat.

Ein Kommentar von Christopher Ziedler

Die Wunden der Vergangenheit sind nicht verheilt. Serbien sieht im Kosovo weiter eine abtrünnige Republik. Nicht einmal alle EU-Staaten erkennen sie an. Das Ziel einer Aussöhnung unter dem Dach der Europäischen Union ist seit Herbst wieder in größere Ferne gerückt.

Belgrad und Pristina werfen sich wechselseitig vor, den eingefrorenen Konflikt neu anzuheizen – über paramilitärische Überfälle auf kosovarisches Gebiet beziehungsweise die systematische Benachteiligung der dort lebenden serbischen Minderheit. Und im Hintergrund zündelt Russland.

Ein Vierteljahrhundert ist es an diesem Sonntag her, dass die Nato in den Krieg zog gegen die Armee Rest-Jugoslawiens, um deren ethnische Säuberung des Kosovo, letztlich also einen Völkermord, zu stoppen. Die Allianz ging ohne UN-Mandat vor, verstieß gegen die Buchstaben des Völkerrechts, wurde im Nachhinein aber auch nicht dafür von den Vereinten Nation verurteilt. Denn was wäre die Alternative gewesen? Tatenlosigkeit im Angesicht schlimmster Gräueltaten.

Auf einem Sonderparteitag der Grünen zum Kosovo-Krieg wurde der damalige Außenminister Joschka Fischer 1999 mit einem Farbbeutel beworfen.
Auf einem Sonderparteitag der Grünen zum Kosovo-Krieg wurde der damalige Außenminister Joschka Fischer 1999 mit einem Farbbeutel beworfen.

© picture-alliance / dpa/Gero_Breloer

Das westliche Vorgehen war in Deutschland hochumstritten, zumal es um den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr überhaupt ging. Der grüne Außenminister Joschka Fischer bekam dafür einen Farbbeutel an den Kopf.

Obwohl das Eingreifen im Rückblick meist als richtig eingeschätzt wird, lebt doch eine unerwünschte Nebenwirkung fort: Für Wladimir Putins groteske Erzählung, Russen in der Ukraine müssten vor einem Nazi-Regime in Kiew geschützt werden, bietet der Kosovokrieg eine falsche, aber doch eingängige Argumentationshilfe.

Die Ära der Auslandseinsätze

Die Bundeswehr wurde damals erwachsen – mit Tornados und der Beteiligung an der bis heute aktiven Kosovo-Schutztruppe. Aus einer hochgerüsteten, aber im Kalten Krieg nie eingesetzten Armee wurde eine jenseits des Bündnisgebiets tätige Truppe. Zum Kosovo gesellten sich erst Afghanistan, später Syrien, der Irak und Mali. Trotzdem schrumpfte das Militär weiter: Statt großer Divisionen für den Ernstfall brauchte es kleinere, individuell zusammengestellte Einsatzkontingente.

Zur Normalisierung militärischer Gewalt als letztem Mittel der Politik führte das gesellschaftlich nicht – vielleicht sogar zum Gegenteil: Aus zwei Frontstaaten im Ost-West-Konflikt, in denen der Überschallknall tieffliegender Kampfjets den Alltag prägte, war das vereinte Deutschland geworden, das sich über das vermeintliche „Ende der Geschichte“ freute.

Zur „Friedensdividende“ zählte nicht nur ein sinkender Wehretat. Kriege rückten schon geografisch in größere Ferne, wobei der im Kosovo auf europäischem Boden noch der nächstgelegene war. Auch die Flüchtlinge von dort, wo die Bundeswehr Frieden zu schaffen versuchte, erzeugten nicht unbedingt direkte Betroffenheit. Je länger die Ära der Auslandseinsätze andauerte, umso mehr galt: Aus den Augen, aus dem Sinn!

Truppe mit neuem Selbstverständnis

So haben sich das Selbstverständnis der Truppe und das ihres Landes in diesen 25 Jahren radikal auseinanderentwickelt. Dass Deutschland auch am Hindukusch verteidigt werde, wie es der frühere Verteidigungsminister Peter Struck formulierte, wurde nie zum Allgemeingut und oft nur spöttisch zitiert. Die Soldatinnen und Soldaten feierten dessen Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg dann dafür, dass er offen von „Krieg“ sprach. In der Heimat löste es Irritationen aus.

Die Entfremdung hielt auch an, als mit der Annexion der Krim 2014 langsam wieder die Bündnis- und Landesverteidigung in den Fokus rückte. In Litauen etwa bekam die Truppe hautnah das Gefühl der Bedrohung durch Russland mit. Selbst jetzt noch, zwei Jahre nach dem Angriff auf die gesamte Ukraine, herrscht in der Bundeswehr allein durch die Ausbildung ukrainischer Kolleginnen und Kollegen ein anderes Bewusstsein für die neue Lage als in Teilen der Bevölkerung.

Der Bundeswehr steht trotzdem ein Umbruch bevor. Eine Streitkräftereform soll sie wieder ganz auf den Verteidigungsfall trimmen. Die Gesellschaft hat aber einen noch sehr viel weiteren Weg zu gehen, damit Deutschland als Ganzes wahlweise „resilient“, „verteidigungsfähig“ oder gar „kriegstüchtig“ wird. Eines jedoch ist sicher: Die politische Debatte darüber dürfte noch lauter und emotionaler werden als die vor 25 Jahren zum Kosovokrieg.

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