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Demonstration und Sit-in: In Berlin demonstrieren am 5. Februar 1966 Tausende gegen den Vietnamkrieg (Li. im Bild E. Krippendorff, später Professor der Freien Universität, und der Kabarettist W. Neuss). Am 22. Juni 1966 findet an der Freien Universität das erste Sit-in (Sitzstreik) an einer bundesdeutschen Uni statt, mit einem Teach-in über hochschulpolitische Themen. Rund 3000 Studenten nehmen an der zehnstündigen Aktion teil.

© Henschel/Ullstein Bild

50 Jahre Studentenrevolte 1968: Die Revolutionäre des großen Vorsitzenden

Die oppositionelle CDU stand der Studentenbewegung ablehnend gegenüber - aber nutzte deren Ideen zur eigenen Modernisierung.

Wenn Wulf Schönbohm sich an die Ereignisse der 68er Bewegung erinnert, bekommt seine Stimme mitunter noch immer einen rauen Klang. Als hätte manche Auseinandersetzung Narben hinterlassen. „Guten Morgen, Faschist Schönbohm“, riefen seine Kommilitonen dem 24-Jährigen Studenten entgegen, begleiteten und flankierten ihn auf dem Weg in den Seminarraum. „Einfach war es auch nicht, gegen das Geschrei von 1000 Linken im Audimax zu sprechen. Aber das kann man lernen“, sagt Schönbohm. „Das waren ja keine Debatten, sondern richtiger Schlagabtausch.“

Schönbohm, der später Karriere in der CDU machte, kam 1964 an die Freie Universität. Das Otto-Suhr-Institut, an dem er Politik studierte, war das Epizentrum der linken Bewegung. Schnell wurde Schönbohm politisch aktiv, trat dem CDU-nahen Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) bei, 1967 wurde er Bundesvorsitzender. „Die einzige Gruppe, die den Linken entgegengetreten ist“, sagt Schönbohm. Die Rede ist vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund. „Dass die meisten 68er deren Ziele nicht teilten, muss klar gesagt sein.“ Gut organisiert gewesen seien sie. „Und die Protestierenden liefen dort mit.“.

Radunski war beeindruckt von Rudi Dutschke

Dass nicht nur Gräben zwischen Linken und Konservativen standen, wird in Gesprächen mit den damals als „rechts“ verschrienen RDCS-Leuten schnell deutlich. Man habe auch viel diskutiert, erzählt Peter Radunski. Der spätere Berliner Senator und enge Vertraute Helmut Kohls kann sogar Bewunderung aufbringen – zumindest für Rudi Dutschke. „Dieser Mann hat einer ganzen Generation Profil gegeben.“ Für den 78-Jährigen bleibt das Bild von Dutschke und Ralf Dahrendorf, wie sie am Rande des FDP-Parteitags in Freiburg, umgeben von Demonstranten, auf dem Dach eines Übertragungswagens sitzen und diskutieren. „Wie er sich traute zu reden, aufzutreten. Er hat auch mir Mut gemacht, mich inspiriert und beeindruckt.“

Warum auch nicht? Autoritäten infrage zu stellen, Begründungen für Macht und Hierarchien anzuzweifeln, all das sei richtig gewesen, sagt Schönbohm. „Die Protestbewegung und die breite Aufbruchstimmung waren absolut gerechtfertigt.“ Der 76-Jährige zeichnet das Bild einer Gesellschaft, eines Rechts- und Bildungssystems, das junge Menschen massiv einengte, „ganz gleich welcher politischen Couleur“. Der Kuppeleiparagraph etwa, wonach man nach 22 Uhr das Zimmer der Freundin zu verlassen hatte. Das Kranzgeld, das von dem Mann zu zahlen war, der eine Verlobung löste. Die Strafbarkeit der Homosexualität, der autoritäre Umgang von Erwachsenen mit Jugendlichen.

„Das System war miefig, es entsprach nicht der Zeit. Die CDU betraf das gleichermaßen“, sagt Schönbohm. Beim Entstehen der RCDS-nahen Zeitschrift „Sonde“, die in den 1970er Jahren eine wichtige Rolle im Reformprozess der Partei spielte, war er federführend. „Wir fanden das System reformbedürftig, aber haben es nicht im Ganzen angezweifelt“, sagt Schönbohm.

Dutschke sprach vom „Marsch durch die Institutionen“, den er als politische Perspektive der Linken sah. Doch wem ist dieser besser gelungen? „Die Linke hat nur wenige Leute hervorgebracht, die tatsächlich politische Karrieren hingelegt haben“, sagt Schönbohm. Umwälzungen in der ab 1969 oppositionellen CDU schufen Platz für die Jungen, die „alternativen 68er“. Als die Parteizentrale ausgebaut wurde, fanden etwa Schönbohm, Radunski und auch Horst Teltschik, allesamt RCDSler und Alumni des Otto-Suhr-Instituts, den Weg in die Bundespartei. „Wir waren die Vordenker“, sagt Radunski. „Mit dem Ziel, eine CDU von unseren Gedanken her aufzubauen, die die Welt und ihre Entwicklungen versteht.“

Kohl, seit 1973 Parteivorsitzender, setzte auf die Jungen. Den Reformern um ihn und Generalsekretär Kurt Biedenkopf ging es nicht nur um deren liberale Positionen, ihr Verständnis für die linke Bewegung oder die Forderungen einer jungen Generation, deren Zeitgeist die Partei verschlief. Sie suchten junge Kräfte für die Modernisierung der Partei, den Aufbau einer effizienten Zentrale – mit dem Ausblick auf Wahlsiege und Machtoptionen. Kohl und Biedenkopf hörten auf Radunskis Rat zum Programm und zum Erscheinungsbild der CDU und betrauten den 32-Jährigen mit der Öffentlichkeitsarbeit und Medienpolitik. Dazu kam die Organisation von Bundestags- und Europawahlkämpfen. Schönbohm wurde zum Fachmann für die programmatische Erneuerung, Teltschik zum Leiter der Abteilung Außen- und Deutschlandpolitik.

Kein Verständnis für Dobrindts Thesen

Teltschik, später ein enger Vertrauter von Kohl, leitete zwischen 1999 und 2008 die Münchener Sicherheitskonferenz. Radunski führte als Bundesgeschäftsführer der CDU Bundestags- und Europawahlkämpfe. In den Landesregierungen von Eberhard Diepgen war er von 1991 bis 1998 Senator, leitete die Hauptstadtkampagne Berlins der frühen 1990er Jahre. „Wir haben uns schlicht mehr mit Grundsatzfragen und Inhalten auseinandergesetzt und so sehr viel Einfluss gewonnen“, sagt Schönbohm, in den 1980er Jahren sechs Jahre lang enger Mitarbeiter des Generalsekretärs Heiner Geissler und Leiter der Planungsabteilung der CDU.

Die Leistung der 68er-Bewegung schmälert das aus Sicht der Konservativen nicht. Dazu gehört für ihn, dass die Jugend „befreit wurde“, sich Bürgerinitiativen bildeten. Auch die Gründung der Grünen „als parteipolitischen Ausdruck der 68er“ oder das Anwachsen der SPD sind für Radunski positive Elemente – weil sie die CDU antrieben, eine moderne Partei zu werden: „Ich würde nichts zurückdrehen wollen.“ Schönbohm sieht auch kritische Punkte, etwa, dass sich mancher Radikaler später den Grünen zugewandt habe.

Doch was bleibt, wenn ein CSU-Minister die „konservative Revolution“ der Bürger fordert? Alexander Dobrindt sah sie als Antwort auf die „linke Revolution“, deren Ursprung in der 68er Bewegung liege, hätten sich „linke Aktivisten“ doch Schüsselpositionen gesichert. „Von diesen Thesen halte ich rein gar nichts“, sagt Radunski. „Einen Rechtsruck, eine Gegenbewegung in der Gesellschaft, braucht es nicht, ich sehe sie auch nicht. Die Pluralisierung ist schlicht sehr groß geworden. Das hat mit ’68 nichts zu tun.“

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