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Die USA haben sich verändert, nicht zum Besseren. Unsere Autorin weiß nicht, ob sie wirklich zurückkehren möchte.

© Tom Brenner/REUTERS

Abschreckendes Amerika: Egal, wer die Wahl gewinnt - bleib bloß weg!

Was, wenn Freunde einem raten, nicht in die USA zurückzukommen? Denn: Es wird wahrscheinlich noch schlimmer, bevor es besser wird. Ein Gastbeitrag.

Sudha David-Wilp ist Senior Transatlantic Fellow und stellvertretende Leiterin des Berliner Büros des German Marshall Funds of the United States

Zum ersten Mal seit fast zehn Jahren sagen Freunde mir, ich solle nicht nach Amerika zurückkehren – und zwar egal, wer die Präsidentschaftswahl gewinnt. Das überrascht mich nicht. Die Comedysendung „Saturday Night Live“ hat es auf den Punkt gebracht: „Sie wissen, dass Ihr Land Probleme hat, wenn die Menschen bezweifeln, dass Präsident Trump tatsächlich Covid-19 hatte.“

Das Misstrauen gegenüber der Regierung und Entwicklungen wie die wachsende Einkommensungleichheit und Polarisierung sind aber nicht neu in Amerika, sie haben schon auch vor der Ära von Präsident Trump an Intensität gewonnen und werden nicht über Nacht verschwinden.

Als ich 2004 in Washington DC zu arbeiten begann, zehn Jahre nach der Republikanischen Revolution von Newt Gingrich, beklagten sich die Kongressabgeordneten über die vergiftete Atmosphäre auf dem Capitol Hill und wurden nostalgisch, wenn sie über die Zweiparteienherrschaft in Senat und Kongress sprachen, die Gingrich beendet hatte. Der ehemalige Sprecher im Repräsentantenhaus hat ein neues Level an aggressivem Verhalten eingeführt und war für den längsten Regierungsstillstand mitverantwortlich – bevor der Rekord im vergangenen Jahr gebrochen wurde.

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Ich arbeite heute immer noch mit US-Abgeordneten zusammen, und raten Sie mal, was im Vergleich zum Beginn des Jahrhunderts heute die gute alte Zeit ist?

Politische Polarisierung gab es also schon früher, aber Anfang 2020 hat das National Bureau of Economic Research in einer Ländervergleichsstudie von neun OECD-Ländern gemessen, dass die Vereinigten Staaten die größte Zunahme der Polarisierung seit vier Jahrzehnten erlebt haben.

Der Streit der Parteien ist inzwischen an einem Punkt angekommen, an dem er auch im Bereich der Außenpolitik keine Grenzen mehr kennt. Früher hielt man eine einheitliche Front für unerlässlich, um die Interessen der USA durchzusetzen, doch jetzt haben Republikaner und Demokraten auch zu internationalen Abkommen und zur Entwicklungshilfe unterschiedliche Ansichten.

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Und jenseits dieser Überzeugungen haben die Uneinigkeit und das Misstrauen zu einem real existierenden Umfeld von Hass und Feindseligkeit in der Heimat geführt. Eine YouGov-Umfrage vom September zeigt, dass fast drei Viertel der Amerikaner nach der Wahl Gewalt erwarten. Es gibt Gründe, das zu glauben, denn jeder dritte Amerikaner, der sich als Republikaner oder Demokrat bezeichnet, hält, um die Ziele seiner Partei voranzubringen, Gewalt für gerechtfertigt.

Erst kürzlich wurde ein Komplott zur Entführung der Gouverneurin von Michigan vereitelt, die oft Ziel von Präsident Trumps Twitter-Tiraden oder seinen Beschimpfungen bei Wahlkampfkundgebungen ist. Das politische Gift hat also Konsequenzen. Und es geht dabei nicht nur um unangenehme Gespräche an Thanksgiving, sondern auch um das Verhalten in der Gesellschaft.

[Aktuelles zur Corona-Krise: Alle Freizeiteinrichtungen sollen schließen - Bund will Kontakte im November auf „absolut notwendiges Minimum beschränken“]

Und während es einerseits großartig ist, dass meine Kinder sehen, dass eine Frau wie die Senatorin Kamala Harris es ins Weiße Haus schaffen könnte, erlebe ich andererseits schockiert, wie Politiker sich öffentlich über ihren Vornamen, der der Vorname ihrer Großmutter ist, lustig machen – Stichwort „Kamala-mala-mala- whatever“

Ich will kein Organ verkaufen, um meinen Kindern das College zu bezahlen

Der fehlende Wille zur Zusammenarbeit zwischen den Parteien und das Sich-gegenseitig-zum Feind-Erklären hat in Washington für Stillstand gesorgt. Meine Kinder haben uns auf die Amokläufe an Schulen angesprochen, wenn in der Familie darüber gesprochen wurde, nach Amerika zurückzukehren. „School Shootings“ kamen sporadisch auch schon vor, als ich selbst noch zur Schule ging, aber jetzt nehmen sie zu.

Ich wünschte, ich könnte den Kindern sagen, dass so etwas nur in bestimmten Gegenden vorkommt, aber die High School in Parkland könnte in meiner Nachbarschaft gewesen sein. Und nicht mal die Tragödie von Sandy Hook 2012 konnte den Kongress zu einer sinnvollen Waffenreform ermutigen. Stattdessen berichtete das FBI gerade erst über einen Anstieg der Waffenverkäufe in diesem Jahr – wegen des gewaltigen sozialen und wirtschaftlichen Umbruchs.

Die Pandemie hat unsere Schwächen offenbart, wenn es um Rassenunterschiede, Einkommensungleichheit und Zugang zur Gesundheitsversorgung geht. Sie hat auch eine Krise der Hochschulbildung ausgelöst. Die Universitätskosten sind explodiert, obwohl der Anteil der Menschen, die heute mehr verdienen als ihre Eltern, zurückgegangen ist.

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Die Qualität der Hochschulbildung in Amerika ist erstklassig, aber die College-Verschuldung lähmt. Sie schadet der sozialen Mobilität und macht es schwierig, den amerikanischen Traum zu verwirklichen. Ich würde mir wünschen, dass meine Kinder ihre College- Campus-Erfahrung in Amerika machen könnten, aber ich habe keine Lust, ein Organ zu verkaufen, um mir das leisten zu können.

Freunde meinen es gut mit ihrer Warnung, denn es wird wahrscheinlich noch schlimmer werden, bevor es besser wird. Die gute Nachricht ist, dass Millionen Amerikaner, statt sich abzuwenden, ihre Stimme bereits abgegeben haben und denken: „Es ist wirklich wichtig, wer die Präsidentschaft gewinnt.“ Wichtiger als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in den vergangenen 20 Jahren.

Außerdem gibt es laut einer neuen Studie der Common Ground Initiative mehr Einigkeit, als man denkt: Die Mehrheit der Amerikaner hält Wirtschaft, Fairness und Chancengleichheit für wichtig. Und es gibt auch ein Bewusstsein dafür, dass Amerika sich nicht wirklich großartig finden kann, wenn es die Ungleichheiten und Spaltungen im eigenen Land nicht beseitigt. Der Wendepunkt könnte gerade noch rechtzeitig für meinen Umzug nach Hause kommen.

Sudha David-Wilp

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