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Friede, Freude, Händeschütteln: Alexis Tsipras und Angela Merkel bemühten sich beim Berlin-Besuch um versöhnliche Gesten.

© Tobias Schwarz/AFP

Alexis Tsipras bei Angela Merkel in Berlin: Eine deutsche Ehrensache

Fragen der Ehre prägten in den letzten Wochen das Verhältnis zwischen Griechenland und Deutschland. Wie der Streit mit Athen das deutsche Selbstbewusstsein stärkt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Er wurde mit allem Drumherum empfangen. Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras hat am Montag seinen Antrittsbesuch bei Angela Merkel absolviert. Beide bemühten sich um versöhnliche Worte. Und natürlich blieb es trotz des undiplomatischen Tons, der zuletzt die deutsch-griechischen Beziehungen beherrscht hat, beim vollen diplomatischen Protokoll inklusive Motorradeskorte ins Hotel. Ist doch Ehrensache.

Fragen der Ehre prägten in den letzten Wochen das griechisch-deutsche Verhältnis. Das Ringen um eine Lösung der griechischen Finanzkrise geriet mehr und mehr zum Duell, bei dem beide Seiten schweres Geschütz auffuhren. Das Ziel: den jeweils anderen moralisch zu diskreditieren.

Fragen der Ehre prägten in den letzten Wochen das griechisch-deutsche Verhältnis

Die Griechen packten die historische Keule aus. Deutschland solle endlich Reparationen für das von den Nationalsozialisten begangene Unrecht leisten und eine Entschädigung für die Zwangskredite zahlen, die Griechenland dem Dritten Reich während des Zweiten Weltkrieges zur Verfügung stellen musste. Tsipras drohte sogar mit der Pfändung deutscher Immobilien in Griechenland, eine Drohung, die er gestern Abend zurücknahm. Der griechische Verteidigungsminister wiederum forderte eine Entschädigung dafür, dass deutsche Unternehmen griechischen Beamten bei Rüstungsgeschäften Schmiergelder gezahlt hatten. Noch am Tag des griechischen Staatsbesuches wartete die „Bild“-Zeitung mit Unterlagen aus dem griechischen Verteidigungsministerium auf. Aber auch deutsche Politiker ließen keine Gelegenheit aus, die Griechen als unzuverlässige und verlogene Chaoten darzustellen.

Tsipras fordert: Die Stereotype sollen wieder zurück in den Giftschrank

Nun hat Angela Merkel staatsmännisch elegant das verbale Hauen und Stechen beendet. Sie lobte die „engen und freundschaftlichen Beziehungen“ zu Griechenland und sprach brav von den „Institutionen“, um die griechische Fiktion vom Rauswurf der Troika aufrecht zu erhalten. Sie erfüllte ihre Rolle als guter Cop, der Medien und Politik den Wutschaum abwischt, damit man wieder miteinander sprechen kann. Tsipras assistierte halbwegs eifrig. Man müsse die „schrecklichen Stereotype“ überwinden, sagte er, die von den faulen Griechen ebenso wie die von den Deutschen, die an allem schuld sind.

Die Deutschen haben sich verliebt in das Selbstbild vom "Chef in Europa"

Doch die Stereotype, mit denen gespielt wurde, lassen sich nicht einfach wieder zurückstellen in den Giftschrank der Polit-PR. Es ist nun einmal eine der zentralen Eigenschaften von Stereotypen, dass sie kleben. Die Deutschen haben sich komfortabel eingerichtet in jenem nationalen Selbstbild, das in den vergangenen Tagen im Vordergrund stand. Genährt von der Abgrenzung zum hässlichen griechischen Nachbarn, wächst das deutsche Selbstbewusstsein ins schier Unermessliche. Wir sind mal wieder „Chef von Europa“. Die Deutschen sehen sich zunehmend als Garant der Ordnung in einer chaotischen Welt.

Weil wir – anders als „die da unten“ – ordentlich, schwäbisch, ehrlich sind, weil wir nicht lügen (schon gar nicht im Fernsehen), leben wir in verdientem Wohlstand, während der Süden in selbst verschuldeter Armut versinkt. Geld und Ordnung sind die alten neuen Säulen des deutschen Nationalstolzes.

Das hat den Vorteil, dass es von schlechtem Gewissen entlastet: sei es historisch oder tagespolitisch.

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