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Barack Obama: Ankunft in der Wirklichkeit

Noch immer sind die USA im Obama-Rausch, noch immer herrscht die Hochstimmung der vergangenen Tage. Dazwischen aber schieben sich Bilder und Nachrichten von einer Welt, deren Probleme nicht kleiner geworden sind. Wie Amerika vom Feiertag der Demokratie auf den Boden der Tatsachen zurückkehrt

Dieser Mittwoch fühlt sich wie der Montag nach einem Partywochenende an. Amerika lebt noch im verebbenden Rausch einer ganzen Kette von Festtagen, die sich schier endlos hinzuziehen schienen, und muss nun zurück in die harte Wirklichkeit, an die Werkbänke und Bürotische. Im Morgenradio und Frühstücksfernsehen, am Arbeitsplatz und in der Mittagspause ist die Hoch stimmung noch das Hauptthema: das wieder belebte Gemeinschaftsgefühl nach der Amtseinführung eines neuen, jungen Präsidenten mit all ihrem Pomp und Pathos; die Meinungen über das Ballkleid der ersten schwarzen First Lady aus dem Modestudio des in New York arbeitenden Taiwanesen Jason Wu, das eine Schulter frei ließ – und die Frage, wie kalt sich die frostigen Temperaturen während der Parade wohl angefühlt haben, wenn man den gelbgrünen Mantel offen trägt, damit das Kostüm in demselben Stoff und Muster darunter zur Geltung kommt.

Auch die tatsächliche Farbe der Kombination sorgt für Gesprächsstoff. Je nach Lichtverhältnissen sah es mal so aus, als sei Michelle während Amtseinführung und Parade in Goldtöne gekleidet, dann mehr nach Gelb und schließlich nach Hellgrün. Als „lemon grass yellow“, zitronengrasgelb, beschreibt die Urheberin, die aus Kuba stammende New Yorker Modedesignerin Isabel Toledo, den Farbton.

Dazwischen aber schieben sich Bilder und Nachrichten aus einer Welt, deren Probleme nicht kleiner geworden sind. Der Inaugurationstag war erfüllt von Farben, Musik und Euphorie. Am frühen Abend dieses Volksfest-Dienstags, an dem Amerika sich selbst feierte und seine nationalen Mythen zelebrierte, konnte die Nation jedoch für einen kurzen Moment schon einmal Bilder sehen, die die andere Seite der Macht zeigen: die Bürde, die das Amt mit sich bringt. Diese Szenen muteten wie ein jäher Wechsel in nüchternes Schwarzweiß an, und der Ton dazu fehlte. Die Obamas hatten kurz zuvor nach der mehrstündigen Parade das Weiße Haus erreicht. Und nun zoomten sich Fernsehkameras durch die Glasscheiben des Oval Office, das im Dämmerlicht lag. Man sah eine hohe, schlan ke Gestalt, unverkennbar der Schattenriss des neuen Präsidenten, im Gespräch mit anderen Personen, leicht gestikulierend. Was sie besprachen, war natürlich nicht zu hören.

War das der Moment, wo Barack Obama die Anweisung gab, alle Verordnungen, die George W. Bush kurz vor Ende seiner Amtszeit erlassen hatte, für ein paar Tage auf Eis zu legen und inhaltlich zu prüfen? Oder war das der Augenblick, in dem er das Dekret unterschrieb, das die Prozesse gegen Terrorverdächtige in Guantanamo vor den von George W. Bush eingesetzten Militärtribunalen für 120 Tage stoppt?

Die Ballnacht zeigte Amerika ebenfalls im allmählichen Übergang vom Feiertag der Demokratie in die raue Wirklichkeit. Der „Commander in Chief“-Ball war die dritte von insgesamt zehn Stationen, wo Michelle und Barack Obama auftraten und tanzten. Hier waren Militärfamilien die Gäste. Kaum war der neue Oberbefehlshaber eingetroffen, wurde er per Videoschaltung mit Soldaten aus seinem Heimatstaat Illinois verbunden, die in Afghanistan Dienst tun. Das Gespräch drehte sich um leichte Themen: Wer ist Fan der White Sox wie Obama? Und wer unterstützt das lokale Konkurrenzteam in der Baseball League, die Chicago Cubs? Obama fand sich bei dieser Frage in der klaren Minderheit – eine Ausnahme in diesen Tagen, da fast alles auf breite Zustimmung stößt, was der neue Präsident sagt oder tut. Die Treue eines wahren Sportfans zu seiner Mannschaft steht eben höher und währt länger als die politischen Sympathien. Wie lange wird die Nation Geduld mit ihm haben? Irgendwann demnächst will sie sehen, dass es aufwärtsgeht, und sich nicht mehr mit Ankündigungen begnügen.

Die Landsleute in den militärischen Tarnuniformen, zehn Zeitzonen entfernt, auf der anderen Seite des Globus, erinnerten die Amerikaner daran, dass Obama zwei Kriege von Bush erbt, in denen von strahlendem Sieg keine Rede sein kann. Die tatsächliche Lage in Afghanistan und im Irak ist weit entfernt vom triumphalen Ton der Märsche, die am Inaugurationstag und selbst auf den Bällen gespielt wurden – allen voran immer wieder „Hail to the Chief“.

Der Mittwoch begann für die Obamas besinnlich, würdig, ernst: mit einem weiteren Gottesdienst in der National Cathedral. Die neogotische Kirche auf der Anhöhe über dem Viertel Georgetown im Westen der Hauptstadt ist mit ihren hohen Spitzbögen und bunten Glasfenstern einer der wenigen Sakralbauten in den USA, die ein europäisches Gottesdienstgefühl ausstrahlen: Das Licht ist gedämpft, Orgel und Lieder hallen leicht nach zwischen den mächtigen Wänden des von Steinpfeilern getragenen dreischiffigen Gebäudes. Gospelsongs oder emotionale Predigten, die bei den typischen evangelikalen Massengottesdiensten quer durchs Land Tausende aufpeitschen, gehören hier nicht zum Stil.

Würdenträger verschiedener Konfessionen sprachen ihre Gebete und Segenswünsche. Republikaner und Demokraten saßen Seite an Seite in den dunkelbraunen Holzbänken. „We are one“, wir sind ein Volk, bei aller religiöser Vielfalt und allen politischen Differenzen. Diese Stimmung, die Obama mit seiner Antrittsrede gesetzt hat – das Gefühl einer einigen Nation aus Protestanten und Katholiken, Juden, Muslimen, Hindus und Nichtgläubigen –, soll möglichst lang anhalten.

Nach dem Gottesdienst stieg der neue Präsident endgültig von den Höhen der Feierlichkeiten in die Mühen der Ebene hinab. „The Party is over“, blendeten Fernsehsender als Stichzeile zu ihren „Breaking News“ ein. Der Alltag ergriff vollends Besitz von dem Mann, der die einzige Weltmacht für die nächsten vier Jahre führen soll. Dicht ist der Terminplan: Dienstbesprechung mit den engsten Mitarbeitern, Treffen mit den obersten Militärkommandeuren. Und gewiss wird Obama inzwischen auch den Brief gelesen haben, den ihm sein Vorgänger George W. Bush im Oval Office hinterließ.

Schließlich waren auch noch einige Telefonate mit Senatoren zu führen, damit die Bestätigung der Ministerkandidaten im Kongress rasch und reibungslos abläuft. Sieben der rund ein Dutzend Regierungsmitglieder können sofort loslegen. Noch am Dienstag nickte der Senat sechs Minister ab: Steven Chu (Energie), Arne Duncan (Bildung), Janet Napolitano (Terrorabwehr und Katastrophenschutz), Ken Salazar (Inneres), Eric Shinseki (Minister für Kriegsveteranen) und Tom Vilsack (Landwirtschaft). Auch Peter Or szag, der im Weißen Haus den Staatshaushalt betreut, wurde sofort bestätigt. Bushs Verteidigungsminister Bob Gates bleibt auf Obamas Wunsch im Amt, er benötigt keine neue Bestätigung. Das Tempo ist auch eine Geste der überparteilichen Unterstützung für Obama.

Zwei andere Ernennungen verzögerten die Senatoren dagegen: Hillary Clinton als Außenministerin und Timothy Geithner als Finanzminister. Gegen Clinton erhob der Republikaner John Cornyn aus Texas Bedenken; das lässt ahnen, wie das Verhältnis zwischen den Lagern aussähe, wenn sie Vorwahlen und Präsidentenwahl gewonnen hätte und nicht Obama, der sich um die Rolle eines Versöhners über die Parteigrenzen hinweg bemüht.

Geithner muss ein wenig Geduld und Demut zeigen, nachdem ans Licht gekommen war, dass er seine Steuern zweimal in der Vergangenheit nicht pünktlich und nicht vollständig bezahlt hatte – kein gutes Image für einen Finanzminister in einer Zeit, da die Staatseinnahmen wegbrechen. Doch es heißt, nach ein paar Tagen Schamfrist werde der Senat auch Clinton und Geithner absegnen.

Ja, die Party ist vorbei. Das Land wird mit düsteren Nachrichten konfrontiert. Am Inaugurationstag sind die Börsenkurse wieder einmal gestürzt, am Mittwoch erholen sie sich nur zögerlich. Die Amerikaner haben keine Illusionen, dass Obama die Dinge rasch zum Besseren wenden kann. Aber sie haben sein Versprechen im Ohr: Wir werden auch diese Krise meistern wie so viele andere Rückschläge zuvor in der Geschichte der USA. Dieses Vertrauen ist das Band, das die Bürger mit ihrem jungen Präsidenten im Alltag verbindet.

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