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Jugendliche verbrennen in Neukölln nach einer Pro-Palästina-Demonstration eine selbst gebastelte Israel-Fahne.

© DAVIDS

Antisemitismus: Woher kommt der Judenhass an Berliner Schulen?

Seit Jahren mehren sich antisemitische Vorfälle durch Muslime an Berliner Schulen. Warum ist das so? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Religiöses Mobbing gepaart mit einem antisemitischen Vorfall an der Paul-Simmel-Grundschule in Berlin-Tempelhof haben das Problem wieder in die Öffentlichkeit gebracht. Dort ist eine Schülerin im Laufe von zwei Jahren durch muslimische Mitschüler verbal angegriffen worden, indem ihr sinngemäß gesagt wurde, dass „Nichtgläubigen der Tod gehört“. Dass sie väterlicherseits jüdisch ist, war da noch nicht bekannt.

Mitte März sei sie zudem gefragt worden, ob sie Jüdin sei. Als sie bejahte, habe ein weiterer Mitschüler mehrmals gerufen, „das Mädchen ist Jude“, heißt es in einer Mail, die der Rektor am Montag an Elternvertreter schrieb. Zudem soll in einer WhatsApp-Gruppe von Schülern der Schule ein Enthauptungsvideo der Terrormiliz „Islamischer Staat“ kursiert haben. Die Schulaufsicht wurde eingeschaltet, auch die Polizei.

Wie groß ist das Problem des Antisemitismus an Berliner Schulen?

Seit Jahren mehren sich antisemitische Vorfälle an Schulen, insbesondere von muslimischer Seite. Es gibt keine verlässlichen Zahlen, aber zunehmend Berichte von Lehrern, wonach die Beschimpfung „Jude“ zur gängigen Pausenhofbeschimpfung geworden ist – nicht nur gegen Juden. Antisemitismus sei an Berliner Schulen ein Problem, warnt Saraya Gomis, Antidiskriminierungsbeauftragte für die Berliner Schulen. 2017 wurden zwölf antisemitische Vorfälle gemeldet. Doch das sei nur die Spitze des Eisbergs.

Die Schulverwaltung reagiert mit einer großen Zahl von Projekten und Broschüren. Meist werden die Fälle nicht bekannt, weil die Betroffenen es nicht wollen. Anders verhielt es sich vor einem Jahr an der Friedenauer Gemeinschaftsschule, wo ein 14 Jahre alter jüdischer Junge antisemitisch beleidigt worden war: Die Familie ging an die Öffentlichkeit. Ein Mitschüler hatte ihn beleidigt, nachdem dieser erfahren hatte, dass der Junge jüdisch ist. Danach wurde er von zwei anderen Mitschülern an einer Bushaltestelle angegriffen. Der Junge wechselte die Schule. Ein weiterer Fall ereignete sich in Wedding an der Ernst-Reuter-Sekundarschule. Dort wurde ein jüdischer Schüler mehrfach angefeindet.

Wie verbreitet ist antisemitisches Mobbing in deutschen Schulen?

Auch wenn keine Zahlen zu antisemitischem Mobbing an Schulen bekannt sind, registriert der Zentralrat der Juden eine bedrohliche Lage. Immer häufiger würden antisemitische Vorfälle bekannt, die von muslimischen Schülern ausgehen, sagt der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster. „Wenn jüdische Schüler nicht in die Schule gehen können, ohne antisemitische Anfeindungen oder Angriffe fürchten zu müssen, läuft etwas falsch in diesem Land.“ Und es sei eine Schande, dass der Ausdruck „Du Jude“ auf vielen deutschen Schulhöfen als Schimpfwort gelte. Schuster erwähnt allerdings auch rechtsextremen Judenhass. Besorgniserregend seien Vorfälle wie an einer Schule in Dresden, wo Schüler den Hitlergruß zeigten und antisemitische Witze erzählten.

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Schuster fordert „eine höhere Sensibilität gegenüber Antisemitismus in Schulen“. Bei judenfeindlichen Tendenzen müsse schnell eingeschritten werden. Die Lehrer müssten besser geschult werden, „damit sie dem Antisemitismus Paroli bieten können“. Und Lehrer wie Schüler müssten „Haltung zeigen und sich Judenhass deutlich entgegenstellen“. Für Schuster zeigt die steigende Anzahl bekannt gewordener Vorfälle, „dass ein niederschwelliges Angebot zur Erfassung antisemitischer Vorfälle in der gesamten Bundesrepublik wichtig ist“.

Warum sind viele Muslime offenbar antisemitisch eingestellt?

In der islamischen Welt, einst halbwegs tolerant gegenüber Juden, ist der antisemitische Hass heute weit verbreitet. Die Gründung des Staates Israel 1948 gilt vor allem in den arabischen Ländern als schwere Niederlage. Schon vorher hatten sich Muslime angesichts der wachsenden Einwanderung von Juden in Palästina antisemitisch radikalisiert. Der Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al Husseini, befeuerte den Judenhass und kooperierte im Zweiten Weltkrieg mit Hitler.

Der Aufstieg islamistischer Bewegungen hat den Antisemitismus noch verstärkt. Islamisten, ob sunnitisch oder schiitisch geprägt, sind sich in ihren auch religiös motivierten Ressentiments gegen Israel und Juden weitgehend einig. Mit blutigen Folgen. Aus der ältesten islamistischen Bewegung Arabiens, der 1928 in Ägypten gegründeten, sunnitischen Muslimbruderschaft, ging die palästinensische Terrororganisation Hamas hervor. Sie hat in Israel viele Anschläge verübt und aus dem von ihr beherrschten Gaza-Streifen zahllose Raketen auf den jüdischen Staat abgefeuert.

Bei den Schiiten heizen vor allem das iranische Mullah-Regime und die mit ihm liierte libanesische Terrororganisation Hisbollah den Hass auf Israel und Juden an. Auch in Deutschland. Seit 1996 demonstrieren schiitische Antisemiten jährlich beim „Al-Quds-Tag“ in Berlin. Al Quds ist der arabische Name für Jerusalem. Den Al-Quds-Tag rief 1979 der damalige iranische „Revolutionsführer“ Ayatollah Khomeini aus, um die „Befreiung“ Jerusalems zu propagieren. Den Demonstrationen schlossen sich mehrmals deutsche Rechtsextremisten an.

Welche Rolle spielt das Schulumfeld?

Die Tempelhofer Paul-Simmel-Grundschule liegt nicht weit entfernt von der Ibrahim-al-Khalil-Moschee, die vom Verfassungsschutz dem salafistischen Spektrum zugerechnet wird. Der Behörde sind 176 Salafisten bekannt, die das extremistische Gotteshaus häufig besuchen. Seit 2015 warnt der Verfassungsschutz vor der Ibrahim-al-Khalil-Moschee und weiteren islamistischen Akteuren in der Stadt.

Die Behörde sieht die Gefahr, Salafisten und andere muslimische Extremisten könnten die Notsituation der Flüchtlinge ausnutzen, um diese „ideologisch zu beeinflussen, sie organisatorisch an sich zu binden und sie im schlimmsten Fall zu Gewalttaten anzustiften“. Ob die salafistische Agitation auf die Grundschule ausstrahlt, ist allerdings offen. Es sei denkbar, dass Eltern aus dem Einzugsbereich der Moschee ihre Kinder in die Schule schicken, sagen Sicherheitskreise. Belege gebe es dafür nicht.

Wie reagieren die Schulleiter?

„Wir haben wenige Rückmeldungen zu solchen antisemitischen Vorfällen“, sagt Astrid-Sabine Busse, die Vorsitzende des Interessenverbands Berliner Schulleitungen (IBF). Allerdings vermutet sie auch, dass die Dunkelziffer hoch sei. „Die Kinder verbringen zum Teil ja auch viel Zeit in den Moscheen, da werden sie bestimmt nicht optimal demokratisch unterrichtet“, sagt die Schulleiterin, „dort wird ihnen auch eher nicht gesagt, dass jeder Mensch gleich wertvoll ist.“ Zwei Grundschullehrerinnen erzählen ebenfalls, dass an ihren Schulen antisemitische Beleidigungen durch arabische Schüler verschiedenen Alters an der Tagesordnung seien.

Für Busse, die auch die Grundschule in der Köllnischen Heide leitet, „ist es sehr wichtig, dass man sofort eingreift, wenn man von solchen Vorfällen erfährt“. Die Lehrer sollten je nach Alter der betroffenen Schüler reagieren. „Zweitklässler wissen ja in der Regel gar nicht, was ein Jude oder der IS ist“, sagt sie. Diesen Kindern könne man mit entsprechenden Kinder- oder Bilderbüchern Toleranz vermitteln. Bei Fünft- und Sechstklässlern seien neben den vorgeschriebenen Ordnungsmaßnahmen auch pädagogische Ansätze nötig. „Bei uns an der Schule kann das bedeuten: Papier einsammeln, mit Blumen sich bei einer Lehrerin entschuldigen oder einen Entschuldigungsbrief schreiben.“ Ganz wichtig sei der Dialog mit den Eltern. „Das ist oft der schwierigste Punkt: Es gibt einen kleinen Kern von Unbelehrbaren“, sagt sie. Da sei eine klare Ansprache nötig, höflich aber bestimmt. Grundsätzlich, sagt die Vertreterin des Interessenverbands der Berliner Schulleitungen, sei ein Punkt wichtig: Der Staat muss Präsenz zeigen.

Wer ist noch von religiös motiviertem Mobbing betroffen?

Generell ist religiös motiviertes Mobbing an Berliner Schulen verbreitet und zwar – soweit bekannt – meist von muslimischer Seite. Wie Berliner Eltern berichten, werden nicht nur Juden gemobbt, sondern auch Christen, Atheisten und Aleviten oder andere Muslime, die sich nicht an islamische Gesetze halten. Dies kann muslimische Mädchen treffen, die kein Kopftuch tragen oder muslimische Schüler, die Schweinefleisch essen. Aber auch nichtmuslimische Mädchen, die sich freizügig kleiden oder einen Freund haben.

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