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Bundespräsident Joachim Gauck wirkt mit seinem Appell auf die Debatte über die deutsche Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge ein.

© Fredrik von Erichsen/dpa

Appell in Flüchtlingsdebatte: Joachim Gauck: Raus aus der Extremismus-Falle!

Der Bundespräsident will über das richtige Maß der Aufnahmebereitschaft diskutieren. Sein Appell wendet sich nicht zuletzt an Praktiker in der Flüchtlingshilfe und könnte einen Ausweg aus einer vergifteten Debatte bieten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Zu einem Zeitpunkt, da die Flüchtlingsdebatte vor allem von Extremen geprägt wird, hat Joachim Gauck einen wichtigen Anstoß gegeben. Die Diskussion um Deutschlands Aufnahmebereitschaft, forderte der Bundespräsident in einem WDR-Interview, solle aus der Mitte der Gesellschaft heraus geführt werden.

Reflexhafte Bezichtigungen führen nicht weiter

In dem Interview kam Gauck zu dem nüchternen Schluss, „dass es in der Bemühung, möglichst vielen helfend zur Seite zu stehen, begründet sein kann, dass man nicht allen hilft“. Man muss – leider – davon ausgehen, dass ein derartiger Satz nicht zuletzt in der schnellen Online-Welt rasant wieder zerfleddert wird. Er wird wohl beispielsweise von Pegida und Anti-Pegida zum Ausgangspunkt für gegenseitige reflexhafte Bezichtigungen herangezogen werden, die mit dem eigentlichen Gegenstand – der Erhaltung der Menschlichkeit in einer schwer steuerbaren Krise – nicht mehr viel zu tun haben.

Bundespräsident Joachim Gauck im vergangenen Monat beim Weltwirtschaftsforum in Davos.
Bundespräsident Joachim Gauck im vergangenen Monat beim Weltwirtschaftsforum in Davos.

© imago/Xinhua

Aber Gauck geht es nicht um schnelle Effekte. Es liegt in der Natur seiner Intervention, dass es hier um ein Thema von viel grundsätzlicherer Bedeutung geht. Schließlich warnt Gauck nicht zum ersten Mal davor, die Aufnahmefähigkeit Deutschlands zu sehr zu strapazieren: Schon beim Weltwirtschaftsforum in Davos hatte er eine offene Debatte über die Möglichkeiten Deutschlands angemahnt. Er wies darauf hin, dass eine Begrenzung nicht „per se unethisch“ sei. Seine aktuelle Warnung, dass in der der Mehrheitsgesellschaft das Gefühl der Solidarität nicht schwinden dürfe, stellt keine dabei Kritik an Angela Merkel dar. Vielmehr geht es jenseits der tagespolitischen Debatte um Lösungen zur Verringerung der hohen Flüchtlingszahlen, die auch die Bundeskanzlerin will, um eine Standortbestimmung.

Die Praktiker sind gefragt

Zum einen entspringt Gaucks Analyse, dass eine hinreichende Fürsorge für die Flüchtlinge, die schon in Deutschland sind, irgendwann in Gefahr gerät, wenn der Zustrom der Migranten nicht begrenzt wird, einem praktisch-moralischen Verständnis. Und die Praktiker, die derzeit in der Flüchtlingshilfe herausgefordert sind wie selten, sind nicht zuletzt in den Kommunen tätig. An diese Praktiker mag Gauck wohl denken, wenn er jetzt fordert, „das Für und Wider und das Maß an Aufnahmebereitschaft“ öffentlich zu besprechen. Die Herausforderung wird für die Gesellschaft hierzulande dabei darin bestehen, aus einem Diskurs herauszufinden, der durch Pegida-Anti-Pegida bereits reichlich vergiftet ist.

Auf EU-Ebene sollte Deutschland keine moralische Überheblichkeit demonstrieren

Auch auf europäischer Ebene – und da liegt neben der Herkunftsregion der Flüchtlinge nach wie vor die Lösung – lässt sich auch eine Maxime aus der Intervention Gaucks ableiten. Sie lautet: In der europäischen Flüchtlingsdebatte muss die Bundesregierung die Gratwanderung meistern, einerseits die Befindlichkeiten in anderen Einwanderungsgesellschaften wie Frankreich und Großbritannien zur Kenntnis zu nehmen und gleichzeitig das politische Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, zu einer gerechteren Verteilung der Schutzsuchenden in der EU zu kommen. Wobei auch klar ist: Aus einem Gefühl der moralischen Überlegenheit heraus (weil Deutschland ja schon so viele Flüchtlinge aufgenommen hat), sollte Berlin die europäische Umverteilungs-Debatte nicht führen.

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