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Muslimfeindlichkeit sei eines der „Phänomene, die bislang zu Unrecht zu wenig im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen“, sagte die beamtete Staatssekretärin Juliane Seifert (SPD).

© dpa/Marijan Murat

Bericht des Expertenrats: „Muslimfeindlichkeit ist eine Alltagserfahrung für viele“

Der „Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“ hat seinen Bericht vorgelegt. Demnach ist antimuslimischer Rassismus in Deutschland weitverbreitet – und das Phänomen habe oft keine Priorität. 

Das anschaulichste Beispiel ist ein Zitat aus einem Schulbuch, „Mensch & Politik“, für die Sekundarstufe 2. Es geht um die Zuwanderung von Musliminnen und Muslimen nach Deutschland. Die Migranten wollten auf ihrer Identität „beharren“. Dazu gehörten: „Kopftücher, Moscheen, Gebete in Schulen, Zwangsehen, Unterdrückung von Frauen.“

Die Autorinnen und Autoren des Expertenberichts zur Muslimfeindlichkeit, der am Donnerstag dem Innenministerium übergeben wurde, führen es als Beispiel für die Art von Rassismus auf, die Musliminnen und Muslimen in Deutschland fast täglich begegnet: Alltagsrassismus, auch in der Schule. „Die existierenden Stereotype zeigen sich immer wieder“, sagt eine der Vorsitzenden des Expertenkreises, Karima Benbrahim.

Muslimfeindlichkeit sei eines der „Phänomene, die bislang zu Unrecht zu wenig im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen“, sagte die beamtete Staatssekretärin Juliane Seifert (SPD) bei der Vorstellung.

Kampf gegen Muslimfeindlichkeit sei wichtig – Faeser aber fehlt

Dafür, dass Muslimfeindlichkeit nach Ansicht des Innenministeriums bislang zu wenig im Zentrum der Aufmerksamkeit stand, ist umso auffälliger, wer bei der Pressekonferenz nicht anwesend ist: Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Sie lässt sich wegen eines kurzfristigen Termins entschuldigen, sie bedauere das „ausgesprochen“. Der Termin ist das „Uefa Respect Forum“ in Frankfurt am Main, zufällig dem Bundesland, für das Faeser im Herbst als Ministerpräsidentin kandidiert.

Der „Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“ wurde nach dem Anschlag von Hanau im Februar 2020, bei dem neun Menschen aus rassistischen Motiven getötet wurden, von Horst Seehofer (CSU) berufen. Zweieinhalb Jahre hat er an der Erstellung des Berichts gearbeitet. Er zeigt nun auf, wie weit verbreitet antimuslimischer Rassismus und Muslimfeindlichkeit in Deutschland sind.

Etwa jeder Zweite in Deutschland stimme demnach muslimfeindlichen Aussagen zu, Musliminnen und Muslimen würde eine „mangelnde Integrationsfähigkeit“ unterstellt sowie „die Neigung, sich angeblich bewusst abzugrenzen und Kontakte zu Andersgläubigen zu meiden“.

Schutz von Musliminnen und Muslimen ist nicht umfassend gewährleistet

Insgesamt 20 „zentrale Handlungsempfehlungen“ haben die Expertinnen und Experten ausgearbeitet. Die erste Empfehlung lautet: „Den Schutz von Muslim*innen im gesamten öffentlichen Raum durch den Staat umfassend zu gewährleisten.“

Dieser Schutz ist derzeit aus Sicht der Autorinnen und Autoren nicht umfassend gegeben. „Wir haben eine Debatte zu Rassismus, seit einigen Jahren, aber dass Muslime eben auch als Opfer von Rassismus gesehen werden, wird noch nicht gesehen“, sagte dazu die Politologin und eine der Expertinnen, Saba-Nur Cheema. Man stehe „ganz weit am Anfang“.

Es gebe zum Beispiel nach wie vor keine obligatorischen Module zu antimuslimischem Rassismus in der Polizei. Einer Studie des „Mediendienstes Integration“ aus dem vergangenen Jahr zufolge werden Module zu Rassismus und Antisemitismus während der Ausbildung nur in fünf Bundesländern angeboten.

„Muslimfeindlichkeit ist eine Alltagserfahrung für viele“, sagte der Co-Vorsitzende des Expertenrats, Mathias Rohe. Es gebe in der Bevölkerung viel „angemaßtes Wissen“, zum Beispiel, wenn davon ausgegangen werde, dass das Kopftuch per se frauenfeindlich sei, es setze sich über die Selbstbestimmung von Personen hinweg. Es gebe eine „teil-sarrazinisierte Mitte“, die durch Falschinformationen „skeptisch“ gegenüber Musliminnen und Muslimen geworden sei, das sickere „in den Alltag hinein“, sagte Rohe.

Die Expertinnen und Experten forderten Solidarität für Betroffene, auch von der Politik. „Ein klares Bekenntnis zur verbesserten Repräsentation von Muslim*innen als größter Minderheit in Deutschland in Parteien und Ämtern fehlt“, schreiben sie im Bericht. Ein weiteres Beispiel: Dem Bericht zufolge sind die Islamdarstellungen in deutschsprachigen Filmen zu fast 90 Prozent negativ.

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