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Boris Palmer (Grüne), Tübinger Oberbürgermeister.

© Dirk Borm/WDR/dpa

Boris Palmer zum Attentat in Hanau: „AfD nicht voreilig Mitschuld geben“

Wer nach den Morden in Hanau eine Ausgrenzung und Stigmatisierung der AfD-Wähler propagiere, spiele der Partei in die Hände, sagt Tübingens Oberbürgermeister.

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) hat kritisiert, dass nach dem Attentat in Hanau Politik, Medien und Gesellschaft vorschnell der AfD eine Mitschuld gegeben hätten. In einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schrieb der 47-Jährige, dass sich schon einen Tag nach den Morden alle einig gewesen seien, dass Rechtsextremismus und Rassismus die Ursache für die Tat seien. „Mehr oder weniger deutlich verbunden wurde dies mit dem Vorwurf an die AfD und ihre Unterstützer, das geistige Klima für solche Taten geschaffen zu haben.“

Zahlreiche Politiker gaben AfD eine Mitschuld

Aus seiner Sicht aber brauche es Zeit „die Ursache der Radikalisierung eines vermutlich psychisch gestörten Einzeltäters nachzuvollziehen“, wenn dies überhaupt jemals gelinge. Das unterscheide die Tat in Hanau von den Taten des NSU, die eindeutig rechtsextremistisch seien, heißt es in dem Beitrag.

Vergangene Woche hatte der 43-jährige Tobias R. im hessischen Hanau neun Menschen mit ausländischen Wurzeln aus rassistischen Gründen getötet, später wurde er ebenso wie seine 72-jährige Mutter tot in seiner Wohnung aufgefunden. Die Tat löste bundesweit Entsetzen aus. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte daraufhin am Freitag eine Ausweitung der Polizeipräsenz im ganzen Land angekündigt.

Palmer zweifelte auch die These an, ein politisch inkorrekter Sprachgebrauch könnte Weltbilder entstehen lassen, die zu Taten wie Hanau führten. Man könne eine Zusammenhang vermuten, doch gebe es keine Kausalität.

Palmer schrieb weiter, indem man nun „eine Ausgrenzung und Stigmatisierung der Wähler der AfD propagiert“, spiele man der AfD nur in die Hände. Das verschärfe „das Risiko einer weiteren Radikalisierung einzelner, auch wirrer Geister“. Im Kampf gegen Rechts schlägt er vor, stärker zwischen denen zu unterscheiden, „die bekämpft werden müssen und jenen, die überzeugt werden können“. Um Menschen mit grundlegend anderer Meinung erreichen zu wollen, müsse man „alles weglassen, was in erster Linie dazu dient, die eigene Weltsicht zu stützen“. Das mache unglaubwürdig.

SPD-Generalsekretär Klingbeil sieht bei AfD Verfassungsschutz gefordert

Nach dem Anschlag von Hanau hatten zahlreiche Politiker der AfD eine Mitschuld gegeben. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte im ARD-„Morgenmagazin: „Da hat einer geschossen in Hanau, aber es waren viele, die ihn munitioniert haben, und da gehört die AfD definitiv mit dazu.“

Die Partei habe das gesellschaftliche Klima in den letzten Monaten und Jahren „vergiftet“ und versucht, die Tat von Hanau „herunterzuspielen“ und diese „zu einer Tat von einem wirren Einzeltäter zu machen“, sagte Klingbeil. Die AfD müsse vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

AfD solle sich „nicht herausreden“, heißt es aus der Union

Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“: „Natürlich gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Erstarken der AfD und der Zunahme rechter Gewalt.“ Pistorius beklagte, dass ausländischen Mitbürgern die Menschenwürde abgesprochen werde. „Das ist so gefährlich, weil es manche erst dazu bringt, zur Tat zu schreiten. Hier ist eine fatale Enthemmung in Gang geraten, und die AfD trägt daran Mitschuld.“

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU), sagte nach dem Attentat, er sehe „eine ganz klare Mitverantwortung“ der AfD für die rechtsextremistisch motivierten Anschläge der vergangenen Monate. Sie habe zu einer Radikalisierung in der Gesellschaft beigetragen und solle sich jetzt „nicht herausreden“.

Die Abgeordnete Martina Renner (Linke) gab der AfD und der islamfeindlichen Pegida-Bewegung aus Dresden eine Mitverantwortung. Sie hätten „die Opfer markiert“, die dann von Neonazis und bewaffneten Rassisten ermordet worden seien. Der Landtag in Brandenburg wollte sich auf Antrag der CDU-Fraktion in einer aktuellen Stunde mit dem rechtsextremistischen Terror befassen, doch der Vizepräsident des Landtags, Andreas Galau (AfD), sperrte sich. Brandenburgs Verfassungsgericht hatte allerdings per einstweiliger Anordnung entschieden, dass die aktuelle Stunde zugelassen werden muss. Galau dürfe diese nicht blockieren. Das stehe ihm nicht zu.

AfD wies Vorwürfe zurück

AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland hatte die Vorwürfe zurückgewiesen. „Ich halte es für schäbig, in der Phase so etwas zu instrumentalisieren“, sagte Gauland am Donnerstag in Potsdam. Es handele sich um einen offensichtlich völlig geistig verwirrten Täter, „und von Links und Rechts wollen wir hier gar nicht reden. Das ist ein Verbrechen.“

Palmer hatte seine Partei in den vergangenen Jahren immer wieder mit provokanten Äußerungen gereizt, unter anderem zur Asylpolitik. So hatte er beispielsweise mit Kritik an einer Werbekampagne der Bahn Empörung ausgelöst. Die Bahn wirbt auf ihrer Internetseite mit Bildern von Reisenden mit unterschiedlichen Hautfarben, unter anderem mit dem dunkelhäutigen TV-Koch Nelson Müller.

„Ich finde es nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien die „Deutsche Bahn“ die Personen auf dieser Eingangsseite ausgewählt hat“, schrieb Palmer damals auf Facebook. „Welche Gesellschaft soll das abbilden?“. (mit dpa/AFP)

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