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Ein Containerschiff des chinesischen Staatskonzerns Cosco läuft in den Hafen von Piräus ein. Cosco hatte ihn in der griechischen Euro-Krise gekauft. 

© Foto: imago-iimages

Chinas Beteiligung am Hamburger Hafen: Aussitzen ist fahrlässig, Herr Scholz!

Die Bürger haben Anspruch, dass eine Regierung entscheidet. Der Kanzler schafft bei China wie bei den Panzern für die Ukraine Fakten durch Entscheidungsverweigerung.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Der Umgang des Kanzlers mit der chinesischen Beteiligung am Hamburger Hafen ist auf doppelte Weise skandalös. Er möchte, dass das Geschäft zustande kommt, verweigert aber, erstens, den öffentlichen Austausch von Argumenten. Und, zweitens, eine bewusste Entscheidung des Bundeskabinetts dafür oder dagegen.

Traut Olaf Scholz den eigenen Argumenten nicht? In einer Frage strategischer Infrastruktur, die die Sicherheit des Landes betrifft, folgt er der Devise Aussitzen. Denn wenn er die Koalition daran hindert, das Thema im Bundeskabinett zu diskutieren und darüber abzustimmen, dann ist das de facto gleichbedeutend mit einer Genehmigung.

Das ist ein unwürdiges Verhalten in einem demokratischen System. Das beruht nämlich darauf, dass die Bürger die Entscheidungsbefugnis auf Zeit an gewählte Vertreter delegieren. Und dass diese die Verantwortung für die Folgen übernehmen. Kanzler Scholz betreibt so gesehen Arbeitsverweigerung in Sachen Hamburger Hafen.

Das Nicht-Entscheiden hat System

Ganz ähnlich geht er im Streit um Panzerlieferungen an die Ukraine vor. Die Anträge, die dem Bundessicherheitsrat vorliegen, werden einfach nicht behandelt. Es gibt weder ein Ja noch ein Nein. Nur dort ist die Folge umgekehrt wie beim Hamburger Hafen. Entscheidungsverweigerung bedeutet de facto ein Nein.

Die Sache selbst ist beim Hamburger Hafen heikel. Und hat mehr Aspekte, als die Schlagzeilen suggerieren. Aus wirtschaftspolitischer Sicht ist die Beteiligung des chinesischen Staatskonzerns Cosco sinnvoll. Aus sicherheitspolitischer Sicht bedeutet sie erhebliche Risiken.

Dissens in der Ampel: Wirtschaftsminister Robert Habeck ist gegen den Hafen-Deal, Kanzler Olaf Scholz dafür.
Dissens in der Ampel: Wirtschaftsminister Robert Habeck ist gegen den Hafen-Deal, Kanzler Olaf Scholz dafür.

© REUTERS / CHRISTIAN MANG

Diese gegenläufigen Argumente müssen abgewogen werden. Eine ausdrückliche Entscheidung ist daher zwingend. Eine stillschweigende, unter Nutzung fragwürdiger Klauseln, nach denen das Verweigern einer Entscheidung eine Genehmigung bedeutet, ist angesichts der potenziellen Folgen ein Skandal.

Nach den Erfahrungen mit den energetischen und ökonomischen Abhängigkeiten von Russland, die tief in den Alltag und die Portemonnaies der Bürger greifen, muss Deutschland alle strategischen Geschäfte mit ausländischen Partnern viel gründlicher auf Verwundbarkeiten prüfen, als dies in der Vergangenheit geschah. Die Fachressorts, die für Sicherheitsfragen zuständig sind, sind mit guten Argumenten gegen den Hafen-Deal.

Aber wenn die schärfsten Kritiker eine chinesische Minderheitenbeteiligung an einem Container-Terminal des Hamburger Hafens gleichsetzen mit dem Verkauf von Gasspeichern und anderer strategischer Infrastruktur an russische Konzerne, dann schießen sie über das Ziel hinaus. Es geht hier nicht darum, China zum Mehrheitseigner zu machen oder ihm ein Vetorecht in der Gesamtgeschäftsführung des Hamburger Hafens zu geben.

Ökonomische Vorteile einer Genehmigung

Die Minderheitenbeteiligung liegt im ökonomischen Interesse des Hafens und der Hansestadt Hamburg. China ist das Land, das die meisten Waren in der Welt verschifft. Es hat also enorme Marktmacht, über welche Häfen es seine Container an die Bestimmungsorte bringt. Durch eine chinesische Beteiligung an Häfen wächst Pekings Interesse, Warenverkehr über diese Häfen zu lenken, weil seine Staatskonzerne daran mitverdienen. Da läge also ein Vorteil für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Umgekehrt gilt: Verweigert Deutschland Cosco die Genehmigung, könnte China Warenströme von Hamburg abziehen. Dadurch ergäbe sich ein wirtschaftlicher Schaden.

Die positive Variante lässt sich, zum Beispiel, an der Entwicklung des griechischen Hafens Piräus über die vergangenen Jahre beobachten. In der griechischen Eurokrise verlangten die Euro-Staaten, die Regierung in Athen müsse ihre Staatskonzerne verkaufen. Kein europäischer Partner hatte Interesse, Piräus zu übernehmen. Cosco tat es und traf zunächst auf große Bedenken der dortigen Arbeiter und ihrer Gewerkschaften.

Piräus ist eine Erfolgsgeschichte

Davon hört man heute kaum noch. Piräus floriert, die Belegschaft hat sichere Jobs und ordentliche Löhne. Kein Wunder, China hat Interesse daran, Waren über Piräus in die EU zu bringen. So weit ist das eine Erfolgsgeschichte.

Selbstverständlich muss man parallel die politischen Konsequenzen dieser Abhängigkeit betrachten. Wie wird sich die griechische Regierung bei Abstimmungen in der EU verhalten, wenn Peking ihr zu verstehen gibt, dass China in diesem oder jenem Fall interessiert ist, dass ein EU-Staat eine einstimmige Entscheidung verhindert?

Die generelle Antwort auf die Herausforderung durch China kann nicht eine Verweigerung aller Geschäfte sein, die mit irgendeiner Art von Sicherheitsrisiko verbunden sind. Denn das hieße unter dem Strich „Decoupling“ - wie es, zum Beispiel, Donald Trump von den europäischen Partnern forderte.

Generell lehnt Berlin „Decoupling“ ab. Und hier?

Deutschland und die EU haben sich ganz bewusst gegen „Decoupling“ entschieden. Und für eine ökonomische Zusammenarbeit mit China, die jedoch nicht mehr blauäugig nur nach wirtschaftlichen Vorteilen fragt, sondern die Risiken sorgfältig prüft. China ist beides: ein potenzieller Partner aber auch ein systemischer Rivale. Und im Extremfall ein militärischer Gegner des Westens, falls es zu einem Krieg um Taiwan kommt.

Deshalb müssen Deutschland und andere EU-Staaten nun Zweierlei tun. Erstens, Geschäftsvorschläge gründlich screenen, welche Verwundbarkeiten damit verbunden sein können. Das kann und wird öfter als bisher zu ablehnenden Entscheidungen führen. Darum müssen sich EU-Staaten, zweitens, eng miteinander abstimmen, damit China sie nicht gegeneinander ausspielt. Praktisch angewandt: damit Cosco, wenn die Hamburg-Beteiligung verboten würde, nicht nach Rotterdam oder Marseille oder einen anderen Hafen ausweichen kann.

Letzten Endes ist ein europäischer Konsens über faire Prozeduren des Risiko-Screenings nötig. Bis es soweit ist, bleibt das eine nationale Aufgabe. Kanzler Scholz hat die Pflicht, die Beteiligung Coscos am Hamburger Hafen auf die Tagesordnung des Kabinetts zu setzen und eine bewusste Entscheidung herbeizuführen.

Die Weigerung, das zu tun, ist ein Armutszeugnis in der Demokratie.

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