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Die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo will den Einfluss der Politik auf die Justiz ausweiten.

© dpa

Justizreform in Polen: Der EU fehlen verlässliche Sanktionsinstrumente

Die Europäische Union hat Aufnahmebedingungen entwickelt, aber keine Rückfall-Klauseln. Dieses Versäumnis muss sie korrigieren, wie das Beispiel Polen zeigt. Ein Kommentar.

So einen Angriff auf die tragenden Fundamente hat die Europäische Union noch nicht erlebt. Und es wird langsam fraglich, ob sie ihn auf Dauer überstehen kann. In Polen, ihrem sechstgrößten Mitglied, schafft eine demokratisch gewählte Regierung den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung ab. Die EU hat, wie sich herausstellt, keine verlässlichen Instrumente, um das zu verhindern. Das führt, wenn man die Dynamik zu Ende denkt, zu einer Existenzbedrohung für die liberale Demokratie in Europa. Im Vergleich dazu verblassen die Euro- oder die Flüchtlingskrise.

Unsere Bürgergesellschaften verdanken ihren Erfolg der gelebten Erfahrung, dass die Checks and Balances funktionieren. Regierungen können keine verfassungswidrigen Gesetze erlassen. Wahlfälschung hat keinen Erfolg. Staatsvertreter können bei Fehlverhalten zur Verantwortung gezogen werden. Denn man kann unabhängige Gerichte anrufen. Unabhängig sind sie vor allem von der Staatsmacht.

In Polen greift die Regierungspartei PiS nach der ganzen Macht. Sie hat die Zusammensetzung des Verfassungstribunals willkürlich geändert und durch offenkundigen Rechtsbruch loyale Parteifreunde dort installiert. Jetzt will sie sich auch die übrige Gerichtsbarkeit unterstellen. Wenn diese Gesetze in Kraft treten, könnte der Justizminister nach Belieben unabhängige Richter entlassen und willfährige ernennen und so zum Beispiel verhindern, dass ein Verdacht auf Wahlfälschung oder der Gesetzesbruch von Regierungsmitgliedern vor Gericht kommt.

Polen ist noch keine Diktatur wie die Türkei

Polen ist gewiss noch keine Diktatur wie die Türkei. Aber es ist Mitglied der EU und hat großes Stör- und Zerstörungspotenzial von innen. Jetzt tritt zutage, dass Europa in der Euphorie über den Fall der Berliner Mauer und der kommunistischen Diktaturen zwar die Chancen sah und ergriff, aber kaum Vorkehrung für die Risiken traf. Der Übergang zu Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft wirkte damals wie eine Einbahnstraße. Die EU entwickelte Aufnahmebedingungen – die das heutige Polen nicht erfüllen würde –, aber keine Rückfall-Klauseln. Dieses Versäumnis muss sie, ehe sie Neumitglieder aufnimmt, korrigieren. Die geltenden Sanktionsmechanismen sind wenig abschreckend und können zudem ausgehebelt werden, wenn ein weiteres Land einen Übeltäter deckt, wie Ungarn das im Fall Polen tut.

So bleibt als einzige Hoffnung Polens Präsident Andrzej Duda. Auch er gehört der PiS an und hat deren Rechtsbrüche bisher abgesegnet. Nun droht er, die Gesetze zur Gleichschaltung der Justiz nicht zu unterzeichnen. Er begründet das aber nicht mit prinzipiellen Bedenken wegen ihrer Verfassungswidrigkeit, obwohl er Jura in Krakau studiert hat. Er geht taktisch vor und fordert lediglich ein weiteres Gesetz, das eine Drei-Fünftel-Mehrheit bei der Bestellung des Richterwahlausschusses vorschreibt, um etwas Distanz zur Regierung zu inszenieren.

Jetzt gilt es, alle Kanäle zu ihm zu nutzen und ihm klarzumachen: Es kann kein Weiter-so geben, wenn Polen sich aus der Familie der Rechtsstaaten mit Gewaltenteilung in Europa verabschiedet. Das schließt die Europaparlamentarier ein, die Duda aus seiner Zeit im EP kennen, aber auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, seinen polnisch sprechenden Amtsleiter Stephan Steinlein und die First Ladies. Agata Kornhauser-Duda denkt liberaler als ihr Mann und ist offen für Rat aus Deutschland.

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