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Die finnische Ministerpräsidentin: Sanna Marin.

© picture alliance/dpa/Lehtikuva/Roni Rekomaa

Ein typisch finnischer Skandal: Deshalb kommt die Aufregung um Marins Party-Bilder nicht überraschend

Sanna Marin sorgt nicht erst mit ihrem Tanzvideo für Aufmerksamkeit. Seit dem Amtsantritt wandelt sich das Land. Ein Gastbeitrag.

Die finnische Premierministerin Sanna Marin steht bereits seit ihrem Amtsantritt im Dezember 2019 im Zentrum außergewöhnlicher internationaler Aufmerksamkeit – für finnische Verhältnisse. Das jüngste „Partygate“ ist nicht das erste Mal, dass Marin auch außerhalb Finnlands Schlagzeilen macht.

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Nicht jedes Regierungsoberhaupt schafft es auf die Titelseite des „Time Magazine“. Und normalerweise wird über den Urlaub einer finnischen Premierministerin nicht in italienischen Leitmedien berichtet. Marin hat Finnland auf eine ungewöhnliche Weise auf die Weltkarte gesetzt.

Als Marin Premierministerin wurde, war sie mit 34 Jahren die jüngste Regierungschefin weltweit. Aber nicht nur sie selbst, sondern ihre gesamte Regierung ist historisch: Alle fünf Parteien in der Koalition – die von Marin geführten Sozialdemokraten, die Zentrumspartei, die Grünen, die Linksallianz und die Schwedische Volkspartei – haben weibliche Vorsitzende – vier davon sind unter 40 Jahre alt. Das zeigt, dass es in Finnland nicht nur alte Männer an die Spitze schaffen können.

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In Sachen Gleichberechtigung liegt Finnland weit vorne

Was die Gleichberechtigung der Geschlechter angeht, ist Finnland also vielen anderen europäischen Ländern weit voraus. Daraus allerdings zu schließen, dass Frauenfeindlichkeit in Finnland keine Rolle mehr spielen würde, ist falsch: Eine Studie des „Nato Strategic Communications Centre for Excellence“ ergab im vergangenen Jahr, dass die weiblichen Kabinettsmitglieder in Finnland übermäßig häufig von Online-Belästigung betroffen sind.

Der jüngste Skandal um ein Partyvideo, in dem Marin wild tanzend zu sehen ist, hat einen internationalen Medienwirbel ausgelöst. Hinter dem „Partygate“ wurde schon russische Einflussnahme als Vergeltungsmaßnahme für Marins Aussagen um ein Visa-Stopp für russische Touristen vermutet.

Der Aufschrei war größtenteils parteipolitisch motiviert

Doch eigentlich handelt es sich um einen typisch finnischen Skandal, bei dem es lediglich viel Lärm um nichts gibt. Es ist auch kein rein frauenfeindlicher Angriff auf ihre Person – aufgrund der hohen moralischen Standards, die in Finnland für Politiker gelten, hätte ein ähnliches Video von einem männlichen Premierminister ebenfalls einen Skandal ausgelöst. Der Aufschrei war größtenteils auch parteipolitisch motiviert. In Finnland finden 2023 die nächsten Parlamentswahlen statt.

Sanna Marin führt Finnland in unruhigen Zeiten.
Sanna Marin führt Finnland in unruhigen Zeiten.

© IMAGO/ANP

So kam beispielsweise der Vorschlag, dass Marin einen Drogentest machen soll, von der Parteivorsitzenden der Finnenpartei, die gerade in der Opposition ist. Der Test fiel übrigens negativ aus.

Das letzte Urteil über die Ministerpräsidentin steht noch aus, doch deutet derzeit nichts darauf hin, dass Marin die politische Unterstützung ihrer Koalition verloren hätte.

Bisher ist die Zustimmung rekordhoch gewesen: In den Umfragen der größten finnischen Tageszeitung „Helsingin Sanomat“ stand die Regierung Marin selbst zum „Tiefpunkt“ im Dezember 2021 mit 48 Prozent Zustimmung weit über dem besten Ergebnis anderer Regierungen seit 2011.

Die Umfragewerte sind ungewöhnlich hoch

Zu Beginn der Pandemie 2020 genoss Marins Regierung eine Zustimmung von über 70 Prozent. In der aktuellsten Umfrage von „Helsingin Sanomat“ vom Juni 2022 war die Zustimmung trotz des wirtschaftlichen Einbruchs im zweiten Pandemiejahr wieder bei knapp 60 Prozent und somit weiterhin bemerkenswert hoch.

Die Nationale Sammlungspartei, die momentan in der Opposition ist, hat im Laufe des „Nato-Frühlings“ Marins Sozialdemokraten an der Spitze in den Umfragen überholt, weil sie die einzige größere Partei ist, die bereits seit Jahren die finnische Mitgliedschaft in dem Verteidigungsbündnis befürwortet.

Deshalb ist der Party-Skandal mit Blick auf die Wahlen nächstes Jahr zu bewerten. Sanna Marin erhielt noch im März die höchste Zustimmung als Kandidatin für das Spitzenamt in der nächsten Regierung, knapp vor dem Parteivorsitzenden der Nationalen Sammlungspartei Petter Orpo.

Wer und wie darf eine Premierministerin sein?

Insgesamt hat sich sowohl Sanna Marin als auch ihre weiblich geführte Regierung trotz außergewöhnlich großer Herausforderungen zunächst in der Pandemie und seit Russlands Angriff auf die Ukraine mit den historischen sicherheitspolitischen Entscheidungen als kompetent erwiesen, und das spiegelt sich in den Umfragewerten wider.

Unter der Regie Marins meldet Finnland mit 73,9 Prozent zudem die höchste Beschäftigungsquote seit der Finanzkrise und auch die Pandemie hat das Land im europäischen Vergleich sehr gut überstanden. Die steigende Staatsverschuldung ist jedoch ein politisches Thema, das in Finnland leidenschaftlich diskutiert wird und auf der links-rechts-Skala Meinungen teilt.

Marin hat bereits in vielerlei Hinsicht die Institution der Regierungschefin reformiert. Die häufigen, kleinen Skandale um sie sind Zeichen eines gesellschaftlichen Prozesses, in dem die Grenzen ihrer Rolle neu definiert werden: Wer und wie darf eine Premierministerin sein? Die Autorin ist Forschungsassistentin für Europa bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Minna Ålander

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