zum Hauptinhalt
Eine Frau liest in der Londoner U-Bahn Zeitung. Die Briten haben am Donnerstag beim Referendum das letzte Wort.

© REUTERS

Brexit-Referendum in Großbritannien: Die Briten entscheiden für 400 Millionen Europäer mit

Eine Entscheidung für den Brexit würde nicht nur Großbritannien schaden, sondern auch den Kontinentaleuropäern. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

In der Einsamkeit der Wahlkabine werden Millionen Briten an diesem Donnerstag eine Entscheidung treffen, welche die Europäische Union für die nächste Generation prägen wird. In or out? Das ist die Frage, die sich den Briten beim Referendum stellt. Es wäre in ihrem eigenen wirtschaftlichen Interesse, wenn sie sich dafür entscheiden würden, in der EU zu bleiben. Aber auch die Kontinentaleuropäer sollten die Daumen drücken, dass es am Donnerstag zu einer Mehrheit für das „Remain“-Lager kommt – denn andernfalls müssen sich wohl ihre Pläne für eine weitere Integration begraben.

Cameron hat Fehler gemacht - aber das ist vergossene Milch

Dass die EU an dieser Weggabelung angelangte, ist vor allem die Schuld des britischen Regierungschefs David Cameron. Wäre er nicht auf die Idee gekommen, eine Volksabstimmung über die EU abzuhalten und auf diesem Weg seine Macht zu sichern, dann wären Europa diese Schicksalstage erspart geblieben. Aber diese Rückschau bringt jetzt auch nichts mehr. „Crying over spilled milk“ sagen die Briten dazu, und die Deutschen übrigens auch: vergossene Milch. Was jetzt zählt, ist, dass Cameron in der Referendums-Kampagne die richtigen Argumente gewählt hat, um die Briten von den Vorteilen der EU zu überzeugen: der gemeinsame Binnenmarkt, von dem wichtige Exportzweige wie die britische Autoindustrie abhängen, der Vorteil der Freizügigkeit für die Briten auf dem Kontinent, die starke Stellung des Finanzplatzes London, die ohne die EU nicht denkbar wäre.

Wenn sich die Briten an diesem Donnerstag für die eine oder oder Richtung entscheiden, stimmen sie aber gleichzeitig für mehr als 400 Millionen andere Europäer auf dem Kontinent mit. Das gilt nicht zuletzt auch für die EU-Partner in Deutschland: Berlin braucht – so störrisch die Briten auch sein mögen – in der EU ein Gegengewicht zum engsten aller Verbündeten, den Franzosen. Deutschland und Frankreich bilden zwar den Kern der Gemeinschaft und der Währungsunion. Aber ohne die marktwirtschaftlich orientierte Briten könnte es in der Union demnächst ziemlich einsam um die Deutschen werden, wenn sie das Schicksal der gesamten Gemeinschaft vor allem an der Seite staatsgläubiger Franzosen gestalten sollten.

Indirekt stimmen Briten auch über die Zukunft der Euro-Zone ab

Das Referendum ist nicht zuletzt deshalb eine Schicksalsfrage für Europa, weil dabei auch indirekt über die weitere Entwicklung der Währungsunion abgestimmt wird. Für die Briten, die sich an diesem Donnerstag entscheiden müssen, mag das egal sein, weil sie beim Euro nicht dabei sind. In der Euro-Zone warten indes schon viele politische Verfechter einer weiteren politischen Integration darauf, dass ein „Remain“-Votum sozusagen zum Startschuss für eine weitere Vertiefung innerhalb der Währungsgemeinschaft wird.

Ein solches langfristiges Szenario, das wohl erst nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr verwirklicht werden dürfte, ist keineswegs ein Wolkenkuckucksheim. Denn Cameron selbst hat sich bereits damit einverstanden erklärt, dass er sich gegen einen engeren Zusammenschluss der Kerneuropäer in der Euro-Zone nicht sperren will. Derartige Pläne dürften aber Makulatur sein, wenn sich die Briten für „Leave“ entscheiden sollten. Der Appetit für mehr Integration dürfte auch bei vielen Europäern auf dem Kontinent vergangen sein, falls sich die Menschen im Vereinigten Königreich für den Austritt entscheiden sollten.

"Remain" würde bedeuten: Europa ist eine Schicksalsgemeinschaft

Ach, Europa: Zu den Besonderheiten der Entscheidung auf der Insel gehört schließlich auch die Tatsache, dass die Lage auf diesem Kontinent schwierig bleiben wird, egal wie sich die Briten entscheiden. Stimmen sie für „Remain“, wäre erst einmal das Schlimmste für die Briten selbst und die Kontinentaleuropäer abgewendet. Aber die Zusammenarbeit mit den Briten dürfte angesichts der Entfremdung beider Seiten schwierig bleiben. Nicht gerade optimistisch stimmt auch die Aussicht, dass sich Populisten überall in Europa auch von einem „Ja“ der Briten zu Europa wohl auch künftig nicht davon abhalten lassen, gegen Einwanderer Stimmung zu machen und sich dabei der EU als Feindbild zu bedienen. Aber ein Signal wäre eine Entscheidung der Briten für die EU doch allemal: dafür, dass Europa so etwas ist wie eine Schicksalsgemeinschaft. Trotz allem.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false