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Auch am Montag zeugt der Maidan noch von den heftigen Auseinandersetzungen der vergangenen Tage.

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Krisenherd Ukraine: Die Stunde der Diplomatie

Im Konflikt um die Ukraine ist jetzt die internationale Diplomatie gefragt. Aber was kann sie bewirken?

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Die Lage in der Ukraine und auf der Halbinsel Krim bleibt explosiv. Die Sorge, dass ein Krieg ganz Europa in eine unberechenbare Situation stürzen könnte, ist nicht gebannt. Auf vielen diplomatischen Kanälen wird versucht, den Konflikt innerhalb der Ukraine sowie zwischen der Ukraine und Russland auf dem Verhandlungsweg zu entschärfen.

Was kann Deutschland zur Beilegung des Konflikts beitragen?

Die Bundesregierung will einerseits zu einer geschlossenen Haltung des Westens und möglichst vieler anderer Staaten beitragen und zugleich die besonderen deutschen Beziehungen zu Russland nutzen. Harte Töne, wie sie etwa US-Außenminister John Kerry mit der Drohung eines Rauswurfs Moskaus aus der G-8-Gruppe anschlug, hält Berlin für voreilig.

Zumindest einen Erfolg konnte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntagabend verkünden lassen: In mehreren Telefonaten rang sie Putin die Zusage ab, in einer internationalen Kontaktgruppe mitzuarbeiten und eine „Fact Finding Mission“ einzusetzen. Anfangs habe sich Moskau dagegen gesperrt, heißt es in Berlin. Freilich gibt es in der deutschen Hauptstadt Zweifel, ob Putin seine Zusage mit Leben füllen wird. Auf deutsche Initiative beschloss die Nato, anders als nach dem Georgien-Krieg 2008 das gemeinsame Beratungsgremium mit Russland (Nato-Russland-Rat) nicht stillzulegen, sondern zu Gesprächen zu nutzen. Gemeinsam mit anderen westlichen Industrieländern beschloss Berlin aber auch, die Vorbereitungen für den G-8-Gipfel in Sotschi auszusetzen.

Frieden erwünscht. In Kiew illustrieren Demonstranten ihre Hoffnungen.

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Welche Rolle könnte die OSZE spielen?

Es war der Schweizer Bundespräsident Didier Burkhalter, der zuerst eine internationale Kontaktgruppe zur Ukraine vorschlug. Der gegenwärtige Vorsitzende der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) trug die Idee Anfang vergangener Woche dem UN-Sicherheitsrat vor. Die OSZE ist mit 57 Teilnehmern die einzige sicherheitspolitische Organisation, in der nicht nur sowohl alle europäischen Länder, Russland und andere Nachfolgestaaten der Sowjetunion als auch die USA vertreten sind. Die Institution, die sich der Verhütung von Konflikten oder ihrer Lösung mit friedlichen Mitteln verschrieben hat, könnte mit ihren bewährten Instrumenten auch im Konflikt um die Ukraine vermitteln.

Die Anfänge der OSZE gehen zurück auf die Konferenz von Helsinki im Jahr 1975. Mitten im Kalten Krieg wurde sie damals als ein Gesprächsforum gegründet. Sie war ein wichtiges Forum für Kommunikation und sicherheitspolitische Kooperation zwischen den Blöcken – eine ähnliche Rolle könnte sie in einer Phase zunehmender Sprachlosigkeit zwischen dem Westen und Russland nun wieder einnehmen. Auch hat die OSZE Erfahrung im Umgang mit ethnischen Konflikten. Deshalb könnte sie auch in einem innerukrainischen Versöhnungsprozess gefragt sein.

Eine wichtige Aufgabe könnte dabei Tim Guldimann zufallen. Der Diplomat arbeitet im Alltag nur einen Steinwurf vom Kanzleramt in Berlin entfernt: als Schweizer Botschafter in Deutschland. In der vergangenen Woche wurde er zum Beauftragten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) für die Ukraine ernannt. Er behält aber seinen Berliner Posten. Die Schweiz hat momentan den OSZE-Vorsitz inne. „Ich schaue hier auf eine lange Erfahrung zurück“, sagte der 63Jährige am Montag am OSZE-Sitz in Wien, bevor er über eine Reise nach Kiew berichtete. Tatsächlich ist der Politikwissenschaftler ein Krisenmanager, der Erfolge in schwierigen Konflikten vorweisen kann. Guldimann, der Russisch spricht, vermittelte für die OSZE in den 90er Jahren in Grosny Abkommen zwischen Russlands Präsident Jelzin und Tschetschenenführer Jandarbijew. Für die OSZE war er auch in Kroatien und im Kosovo. Als Botschafter im Iran (1999 bis 2004) vermittelte er zwischen den USA und dem Iran, doch die Bush-Regierung lehnte direkte Verhandlungen ab. In der Ukraine gebe es „eine sehr schwierige und fragile Situation“, sagte Guldimann am Montag. Er will nun schnell die Krim besuchen.

Was ist eine „Fact Finding Mission“?

Zwischen Russland und dem Westen ist strittig, ob die russischen Truppen auf der Krim ihre vertraglich vereinbarten Grenzen überschritten haben oder ob die russische Minderheit auf der Halbinsel oder im Osten der Ukraine tatsächlich bedroht ist. Genau diese Fragen könnte eine international besetzte „Fact Finding Mission“ (eine Untersuchungsmission) aufklären. Im Fall der Ukraine wäre es wahrscheinlich, dass der womöglich von der OSZE organisierten Gruppe sowohl Offiziere als auch Experten für Minderheitenrechte angehören würden. Oft nehmen auch Vertreter der Konfliktparteien teil und garantieren so, dass diese später das Ergebnis als objektiv akzeptieren.

Wie könnte eine Kontaktgruppe aussehen, was könnte sie bewirken?

In Kontaktgruppen arbeiten in der Regel die Außenminister oder ihre Vertreter zusammen. Im aktuellen Konflikt könnten neben der Ukraine, Russland und den USA weitere Nachbarstaaten der Ukraine, die EU oder die Vereinten Nationen (UN) vertreten sein. Nach Meinung der Bundesregierung und der UN könnte die OSZE den Rahmen für solche Gespräche bieten. Mit der Einrichtung von Kontaktgruppen verbindet sich die Hoffnung, dass der direkte Dialog eher zu Lösungen führt als das Reden übereinander. Mit Sorge hatte die Berliner Außenpolitik verfolgt, dass es lange keine hochrangigen Gespräche zwischen der Übergangsregierung in Kiew und Moskau gegeben hatte.

Welche Rolle spielt die EU?

Das Ziel des Krisentreffens der EU-Außenminister am Montag beschrieb der Luxemburger Kollege Jean Asselborn ganz unverblümt: „Wir wollen einen Krieg verhindern.“ Alle Chefdiplomaten schätzen die Lage als extrem ernst ein. Entsprechend eindringlich appellierten die in Brüssel versammelten Chefdiplomaten an Russland, die militärische Intervention auf der Halbinsel Krim zu beenden.

Wenn in Brüssel über die Gründung einer Kontaktgruppe geredet wird oder darüber, die OSZE stärker einzubinden, erkennt die EU damit erstmals an, dass sie selbst nicht als Vermittler dienen kann – weil sie früh mit der Oppositionsbewegung, die nun die Übergangsregierung in Kiew stellt, sympathisierte. Ganz aus dem Spiel nehmen will sich die EU freilich nicht. Die Außenbeauftragte Catherine Ashton soll am heutigen Dienstag nach Moskau reisen. Im Gepäck wird sie auch die Aufforderung der Minister an die ukrainische Führung haben, die Rechte der russischen Minderheit zu akzeptieren. Das ist das Zuckerbrot. Die Peitsche besteht darin, dass die EU-Außenminister auch mit Sanktionen drohen, sollte Russland nicht einlenken. Dann könnten Verhandlungen mit Moskau über die visafreie Einreise von Russen in die EU und über ein seit langem geplantes Kooperationsabkommen auf Eis gelegt werden. Auch ein Wirtschaftsembargo wäre dann denkbar.

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