zum Hauptinhalt
CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer kommentiert die Bayern-Wahl.

© dpa/Kay Nietfeld

Droge der Macht: Die hohe Kunst des Rücktritts

Rechtzeitig zurücktreten - das schaffen nur wenige. Horst Seehofer und Joachim Löw sind die aktuellsten Fälle. Wie es geht, zeigt Philipp Lahm. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Das Wort Rücktritt hat Konjunktur. Natürlich gibt es in der Politik und im sonstigen öffentlichen Leben immer mehr Rücktrittsforderungen als tatsächlich vollzogene Demissionen. Horst Seehofer und Joachim Löw sind in Deutschland bis jetzt die beiden prominentesten noch nicht Zurückgetretenen des Jahres. Aber da wären auch viele weitere Kandidaten und Kandidatinnen. Und wer war zuletzt der meistdiskutierte Demissionär?

Richtig, er hieß Mesut Özil. Gestern ist er 30 geworden, und der Deutsche Fußballbund hat dem nach der vergeigten WM im Zorn zurückgetretenen Nationalspieler jetzt ein fröhliches „Happy Birthday, Weltmeister!“ zugerufen und die Erdogan-Fotos samt allen Folgen erstmal vergessen. Was uns, apropos Fußball, auch den wohl erfolgreichsten Rücktreter der letzten Jahre in Erinnerung ruft: Philipp Lahm. Er dankte als Nationalspieler und Kapitän 2014 sofort nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft ab. Irgendwann wird er wohl DFB-Präsident werden.

Gehen, wenn es am schönsten ist, schaffen nur die wenigsten

Gehen, wenn es am schönsten ist. Das ist der Inbegriff für die „Kunst des Rücktritts“, zu der es auch Bücher gibt, etwa herausgegeben vom früheren SPD-Wahlkampfmanager Bodo Hombach. Ob das gerade die Lektüre von Andrea Nahles oder gar von Angela Merkel ist, wissen wir nicht. Aber die Rücktrittskunst setzt eben vor allem die Gunst des Zeitpunkts voraus. Und Rücktrittsforderungen, die unter demokratischen Verhältnissen die echten Revolutionen mit ihrem Köpferollen abgelöst haben, sie werden meist laut, wenn der oder die Betroffene ohnehin gerade auf einem Tiefpunkt angelangt ist. Der englische Ausdruck für Rücktritt lautet „resignation“, und im Deutschen hat dies einen hier zusätzlich treffenden Beiklang.

Nicht selten klingen Rücktrittsrufe auch sehr wohlfeil. Es sind erst drei Monate her, da galt Jogi Löw im Weltfußball noch als erfolgreichster Nationaltrainer der Gegenwart. Umso tiefer und atemberaubend schnell Löws Fall, der heute Abend bei dem Spiel gegen den neuen Champion Frankreich mit dem finalen Aufprall enden könnte. Oder, das gehört genauso zum Tempo der Zeit, im Glücksfall mit einem Sieg in Paris zur mindestens kurzfristigen Wiederauferstehung führen würde.

Unsere Leichen leben länger – das ist ansonsten das Motto nicht nur beim DFB, der CDU/CSU oder der SPD. Auch da ist Willy Brandts würdiger (doch damals auch resignativer, deprimierter) Rücktritt im Zeichen der für die Spionageaffäre Guillaume übernommenen persönlichen politischen Verantwortung ein historisches Exempel. Ganz anders als etwa beim Baron Guttenberg, bei Christian Wulff oder selbst Martin Schulz.

Rücktritt kann auch der Wahrung der Reputation dienen

Ohne das im Vergleich zu Vereinstrainern komfortable und dennoch millionengut bezahlte Nationaltraineramt würde Jogi Löw zwar noch immer kein Leben in Armut, aber wohl in größerer Langeweile winken. Bei Seehofer hingegen, dem zur Zeit klarsten, selbstverschuldeten Fall des eigentlich gebotenen Rücktritts, wäre der Amtsverzicht jetzt noch die letzte Möglichkeit, den eigenen Ruf und die Reputation eines langjährig erfolgreichen Politikerlebens zu retten. Aber da lebt eine (politische) Leiche wohl auch noch etwas länger. Mindestens bis zum Ausgang der Hessen-Wahl und dem dann möglichen Beben bis hinauf ins Kanzleramt.

Die noch nicht zu Ende erzählte Geschichte von Angela Merkel und ihrer Koalitionspartnerin Andrea Nahles spielt gleichfalls schon in der wechselseitigen Dämmerung. Doch hier hat die politische Verantwortung nicht nur als Floskel oder Ausrede Gewicht. Es dreht sich bei den beiden Vorsitzenden der einst hauptsächlichen Volksparteien um mehr als nur um zwei persönliche Schicksale. Bei diesem Beben steht die Tektonik des Landes mit auf dem Spiel.

Trotzdem, es geht auch ums Loslassen. Ums Loslassen-Können. Nicht einmal Seehofer oder Merkel, die beide Kenner der Macht sind und ihre unterschiedlichen Methoden des Machiavellismus pflegen, sind pure Machtmenschen. Nicht im Sinne, dass man sie bei unbegrenzter Macht fürchten müsste. Selbst Seehofers Bosheiten oder gar Zynismen erscheinen eher eine Spur: präsenil. Aber die Droge Macht wirkt schon durch allzu lange Gewöhnung.

Politik in der Demokratie ist indes ein Beruf auf Zeit. Rechtzeitig loslassen und abtreten, bedeutet statt Scheitern Gescheitheit.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false