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Eine Meinung, der die Anhänger abhanden kommen. (Szenenfoto aus Hamburg)

© Georg Wendt/dpa

Erst gegen Impfpflicht, dann dafür: Es sind nicht alles Umfaller, die ihre Meinung ändern

Ansichten an neue Wissensstände anpassen nennt sich dazulernen. Das unterscheidet gebrochene Impfpflicht-Schwüre von Habecks Tempo-130-Flop. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Wer hat nicht alles beteuert, es werde keine Impfpflicht geben, und ist nun doch dafür: Bayerns Ministerpräsident, sein hessischer Amtskollege, Berlins Noch-Regierender, bis hin zur Gerade-Noch-Bundeskanzlerin Merkel und ihrem Nachfolger Olaf Scholz geht das. „Umfaller! Da sieht man wieder, dass man diesen Politikern nicht trauen kann!“, finden jetzt manche – und in der Tat liegt dieses Urteil nahe, wenn gestern das Gegenteil von dem vertreten wurde, was heute gelten soll.

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Andererseits ist es auch unfair, denn in unruhigen Lagen, wie sie das Coronavirus derzeit provoziert, ist Dazulernen ein wichtiges Gebot. Und wenn dann die neuen Informationen und Erfahrungen alte Überzeugungen verändern, ist daran nichts ehrenrührig. Dann ist das normal, dann weist eine Meinungsänderung auf eine gewisse Begabung zur Vernunft hin. Was gut ist, denn man kann Politik schlecht nach dem Kalauer-Motto „Wenn das die Lösung ist, hätte ich gern mein Problem zurück“ machen.

Man ist sich zu früh sicher

Problematisch an den Meinungsänderungen in diesem Fall ist auch eher, dass überhaupt schon so viel Überzeugung vorhanden war, ehe die Sachlage sich geklärt hatte. Man kann das als weiteres Symptom des viel beklagten Umstands sehen, dass Deutschland viel zu lange – und womöglich bis heute – nicht im Krisenbekämpfungsmodus angekommen ist. Man ist sich zu früh sicher, was wovon zu halten ist, was ohnehin ziemlich arrogant ist und besonders unangemessen, wenn die Situation sich dynamisch entwickelt und neu ist.

[Lesen Sie hier bei T-Plus: "Als letzte Möglichkeit gerechtfertigt" - Sigrid Graumann vom Deutschen Ethikrat im Interview zum Thema Impfpflicht.]

So gesehen ist auch das nicht realisierte Tempo 130 auf Autobahnen für Robert Habeck ein größerer Glaubwürdigkeitsschaden als die revidierte Impfpflicht-Meinung für Olaf Scholz. Denn der Grünen-Chef hat Tempo 130 als erste Amtshandlung einer Regierung mit Grünen-Beteiligung ohne jede Not und in Kenntnis aller Gegebenheiten zugesagt. Das war bei Scholz anders.

Prinzipien sollten besser erst herumposaunt werden, wenn sie solide sind. Dass diese Banalität in Sachen Impfpflicht ignoriert wurde, kann man sicher auch mit dem Wunsch nach Selbstvergewisserung erklären. Und dem Wunsch, der Bevölkerung Ängste zu nehmen. Aber die Bevölkerung ist nicht blöd, sie erkennt meist ganz gut, wenn Versprechungen nichts wert sind.

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