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Eine Mutter und ihr Sohn schlafen an der Grenze zwischen Serbien und Ungarn auf der Straße.

© AFP

Europa und die Flüchtlinge: Europäischer Ungeist

Die Europäische Union schafft es nicht, sich bei der Verteilung von mehreren zehntausend Schutzsuchenden einig zu werden. Das ist fatal. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Europa steht derzeit vor seiner größten Herausforderung der vergangenen Jahrzehnte. Die Frage, wie Europa die Flüchtlinge aufnehmen und gleichzeitig die Außengrenzen sichern kann, ist eine klassische grenzüberschreitende Aufgabe. Sie kann nur von allen EU-Staaten gemeinsam gemeistert werden. Wenn man sie an dieser Anforderung misst, liefern die EU-Staaten in diesen Tagen eine enttäuschende Vorstellung ab. Wo es eigentlich eine gemeinsame Linie geben sollte, herrscht nationaler Eigensinn. Eine gesamteuropäische Strategie ist weiter nicht in Sicht.

Aber bitte nicht bei uns

Beim Treffen der EU-Innenminister am Montag wurde erneut sichtbar, dass einige Mitgliedstaaten in der Flüchtlingskrise immer noch nach dem Sankt-Florians-Prinzip vorgehen: Die Flüchtlinge sollen bitteschön in andere Länder weiterziehen, aber nur nicht bei uns bleiben. Der Vorwurf trifft vor allem die osteuropäischen Staaten Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn. Sie verweigern sich weiter einer festen Quotenregelung zur Verteilung der Schutzsuchenden. Hinterher redete sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière das Ergebnis des Treffens mit den Worten schön, es gebe immerhin eine „politische Einigung“ über die Verteilung von 160.000 Flüchtlingen in der EU.

Die EU ist kein Schönwetterclub

Nun wollen die Innenminister am 8. Oktober erneut einen Anlauf nehmen, um die Details der Flüchtlingsregelung zu besprechen. Doch derzeit spricht wenig dafür, dass die osteuropäischen Mitgliedstaaten ihren Widerstand gegen ein verbindliches Quotensystem aufgeben. Dabei geht es nur um eine vergleichsweise geringe Zahl von Flüchtlingen, über deren Verteilung die Mitgliedstaaten sich nun schon seit Monaten streiten. Gerade eben hat SPD-Chef Sigmar Gabriel prognostiziert, dass in diesem Jahr insgesamt eine Million Schutzsuchender in Deutschland erwartet werden. Und da gelingt es den EU-Ländern nicht einmal, einen festen Verteilungsschlüssel für 120.000 Flüchtlinge festzulegen? Schon als die EU-Kommission im Mai eine Quote für 40.000 Flüchtlinge vorschlug, wollten sich die Osteuropäer und Großbritannien nicht zu einem verbindlichen System zwingen lassen. Inzwischen hat die Flüchtlingskrise den Kontinent, und vor allem Deutschland, mit voller Wucht erfasst. Und einige Länder tun so, als handele es sich bei der EU um eine reine Schönwetterorganisation – ein Club, der zwar Fördergelder verteilt, aber keine Pflichten auferlegt.

Ungarns Ministerpräsident Orban will die Flüchtlinge los sein

Vor allem der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban tut sich damit hervor, die Flüchtlinge möglichst aus seinem Land fernzuhalten. Obwohl die Registrierung der Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen derzeit eigentlich eine solidarische Gemeinschaftsaufgabe für Griechenland, Italien und Ungarn sein müsste, stellt sich Orban auf den Standpunkt, dass die über die Balkanroute ankommenden Flüchtlinge zunächst einmal in Griechenland registriert werden müssten. Und die Flüchtlinge, die bereits in Ungarn sind, schickt er nach Österreich und Deutschland weiter.
Es ist dieser europäische Ungeist, der derzeit überall Schule macht. Keine Frage, die Flüchtlingskrise stellt für die EU einen bisher nicht gekannten Belastungstest dar. Dass es angesichts der täglich neuen Lage schwer fällt, eine stringente Linie einzuhalten, hat auch das Beispiel Deutschlands in den vergangen Wochen deutlich gemacht: Erst wurde den syrischen Flüchtlingen signalisiert, dass sie alle kommen könnten, dann führte Berlin wieder Grenzkontrollen ein – Kontrollen, über die sich der Rechtspopulist Orban freut, weil er sich damit in seiner Abschottungsstrategie bestätigt sieht.

Gipfel soll Änderung bringen

Es fehlt an Europa in dieser Europäischen Union, und es fehlt an Union in dieser Europäischen Union, hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am vergangenen Mittwoch in Straßburg gesagt. Damit sich daran etwas ändert, sollten die Staats- und Regierungschefs schleunigst zu einem Gipfel zusammenkommen. Sie sollten demonstrieren, dass die europäische Solidarität ihnen doch noch etwas wert ist.

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