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Über das Internet könnten Senioren in der Coronakrise in Kontakt mit der Außenwelt bleiben. (Symbolbild)

© Tim Brakemeier/dpa

Gegen Isolation in der Coronakrise: FDP fordert Videotelefonie für alle 15.000 Alten- und Pflegeheime

Übers Internet könnten Senioren in Kontakt bleiben, doch in den meisten Heimen gibt es kein W-Lan. Die FDP fordert ein millionenschweres Förderprogramm, um das zu ändern.

Dirk Niebel ist kürzlich der Kragen geplatzt, weil seine Tante zum Geburtstag keinen Besuch empfangen durfte. „Sie ist körperlich und geistig gesund. Eine rüstige 99-jährige sitzt also an ihrem Geburtstag alleine im Altenheimzimmer, in dem sie wie alle Mitbewohner aus Sicherheitsgründen auch die Mahlzeiten alleine einnehmen muss“, schrieb der frühere FDP-Entwicklungshilfeminister bei Facebook. „Sie wird, ohne es zu wollen, faktisch in Schutzhaft genommen.“ Niebel sieht darin einen Verstoß gegen Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Einzelhaft und Zwangsisolation ohne Straftat, Prozess oder Urteil sei laut Bundesverfassungsgericht nur in Einzelfällen zulässig. „Meine Tante würde lieber im engsten Familienkreis ihren 99. Geburtstag feiern, als eine zweifelhafte Option auf den 100sten zu buchen.“ Das Selbstbestimmungsrecht werde mit Füßen getreten.

So wie Niebel geht es vielen Bürgern, die alten Menschen in den Heimen sind besonders getroffen von der Coronakrise. Dabei Maß und Mitte zu wahren, ist besonders schwierig. Daher wächst der Druck auf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Länder, auch hier mehr zu lockern. In Bayern wird ab dem 9. Mai der Besuch „einer festen, registrierten Kontaktperson oder eines Familienmitgliedes mit fester Besuchszeit, der Einhaltung des Mindestabstandes von 1,5 Metern und der Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes für Besucher und besuchte Person“ erlaubt.

Auch Niedersachsen will Besuche mit Schutzausrüstung, Abstandsregeln und maximal einem Besucher im Bewohnerzimmer ermöglichen. „Die so belastende Isolation der älteren Menschen möglichst bald zu beenden, ist uns ein großes Anliegen“, betont Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Auch die Stiftung Patientenschutz pocht auf die Rückkehr zu Besuchen, 810.000 Heimbewohner „einzusperren“ sei kein Konzept, wetterte jüngst Vorstand Eugen Brysch.

Stattdessen seien flächendeckende Tests in Heimen, eine lückenlose Dokumentation von Kontakten und ein strenges Hygienekonzept der richtige Weg. Klar ist aber auch hier: Es wird noch lange die „neue Normalität“ durch die Corona-Pandemie geben. Das treibt auch den FDP-Haushaltsexperten Otto Fricke um. Er erlebt gerade bei seiner 82 Jahre alten Mutter, welche Freude es bringen kann, wenn Senioren die Möglichkeiten von Skype, Whatsapp und Facetime entdecken.

Mit 70 Millionen Euro könnten alle Heime W-Lan bekommen

„Während für Geschäfte, Unternehmen und Bildungseinrichtungen langsam Möglichkeiten zur Öffnung bestehen, ist damit zu rechnen, dass die strengen Vorschriften in Seniorenheimen länger gelten werden“, betont Fricke. „Was die Bewohnerinnen und Bewohner vor einem schweren Covid-19-Verlauf schützt, führt jedoch in vielen Fällen zu Einsamkeit, Angst, Verzweiflung und weiteren medizinischen Problemen, die mit sozialer Isolation einhergehen.“

Die Lösung für etwas mehr Kontakt liegt für Fricke daher in den großen Möglichkeiten, die zum Beispiel die Videotelefonie bietet. Doch viele Heimbewohner seien offline. Fricke verweist auf eine Umfrage, wonach nur 37 Prozent der befragten Pflegeheime W-Lan-Nutzung anbieten. 80 Prozent davon berechneten diese Leistung extra.

„Der Internetzugang versorgt mit Fotos und Filmen der Enkel. Über Videochat kann man Kontakt zu Familie und Freunden halten – egal wie weit sie im Leben weg sind“, sagt Fricke und fordert: „Seniorenheime sollten schnell und flächendeckend Internetzugang anbieten – unabhängig von der individuellen finanziellen Situation ihrer Bewohner.

„Wo Milliarden zur Stützung der Wirtschaft ausgegeben werden, könne mit einem Förderprogramm von 70 Millionen Euro in den knapp 15.000 Heimen überall eine W-Lan-Verfügbarkeit und Videotelefonie ermöglicht werden. Fricke fordert von der zuständigen Seniorenministerin Franziska Giffey (SPD), sich der Sache anzunehmen. „Im globalen Dorf ermöglicht die Digitalisierung einen Teil der Nähe, den unsere Gesellschaft an anderer Stelle verloren hat.“

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