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Jean Ziegler, 82, ist einer der bedeutendsten Globalisierungskritiker. Geprägt hat ihn vor allem seine Zeit als UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung (2000-2008).

© Thilo Rückeis

Globalisierungskritiker Jean Ziegler: „Trump ist ein permanenter Alptraum für uns alle“

Der Schweizer Globalisierungskritiker Jean Ziegler findet wenig Gutes am neuen US-Präsidenten – feiert aber den spontanen Widerstand gegen ihn. Im Interview zeigt er sich überzeugt, dass die UN eine Renaissance erleben.

Herr Ziegler, was würden Sie dem US-Präsidenten Donald Trump bei einer Begegnung als erstes sagen?
Er soll zurücktreten. Sofort.
Aha.
Ganz schlimm ist der Mann. Der Rassismus. Der Anti-Feminismus. Die kalte Arroganz des Multi-Milliardärs. Dass er an der Spitze der größten wirtschaftlichen und militärischen Macht der Welt sitzt, ist ein permanenter Alptraum für uns alle. Aber es gibt auch Vorteile.

Wirklich? Welche denn?
Amerika ist eine unglaublich lebendige Gesellschaft. Die total spontane Mobilisierung des Widerstands, die Frauenbewegung – wunderbar.

Also erst Trump hat das wieder sichtbar gemacht?
Es ist ein Mysterium der Geschichte, dass sie so dialektisch ist, besonders in Amerika. Der Vietnam-Krieg war ein ganz fürchterliches Massaker, gleichzeitig rief er eine Protestbewegung von höchster sozialer und künstlerischer Aktualität hervor. Glauben Sie eigentlich, dass Trump vier Jahre durchhält?

Nun ja. Welches Szenario halten Sie denn für wahrscheinlich?
Entweder kommt der Wagen aus der Psychiatrie und holt ihn ab. Es könnte aber auch sein, dass der Milliardär plötzlich zurücktritt und sagt: Es interessiert mich nicht mehr.

Dabei ist seine Argumentation gar nicht so weit weg von Ihrer: Ich gebe dem Volk die Macht zurück, hat er gesagt.
Oh mein Gott, nein. Er darf für sich nicht in Anspruch nehmen, im Namen des Volkes zu reden. Das ist doch alles total verlogen. Seine Devotionalien, T-Shirts und Kappen zum Beispiel, lässt Trump in Myanmar herstellen, von Billigsklaven.

Dennoch ist er gewählt worden. Und es gibt weitere Populisten, die an der Macht sind oder danach streben, Erdogan, Orban, Le Pen. Warum haben sie Erfolg?
Das ist die Sündenbock-Theorie. Wenn ich nach Frankreich fahre, sehe ich jedes Mal mehr Obdachlose auf den Metro-Gittern liegen. Dann kommt Marine Le Pen und sagt, Frankreich geht es schlecht wegen der Ausländer, der Flüchtlinge. Trump sagt, wir haben Deindustrialisierung, ihr habt eure Häuser verloren. Und wer ist schuld? Mexikaner, Muslime und ihre Komplizen, die sogenannte Elite. Diese Theorie funktioniert auch ohne Beweise. In Deutschland geht die AfD so vor.

Beim Freihandel sind Ihre Ansichten gar nicht so anders als Trumps.
Oh, gefährlich. Er hat den transatlantischen und den transpazifischen Vertrag gestoppt. Ich bin aber nicht nur gegen Globalisierung, sondern auch gegen die neoliberale Wahnidee, dass nicht mehr der Mensch Subjekt der Geschichte ist, sondern die Naturkräfte des Marktes. Diese Globalisierung führt zu einer unglaublichen Konzentration: Nach einer Weltbank-Statistik kontrollieren die 500 größten Privatkonzerne 52,8 Prozent des Weltbruttosozialprodukts. Gleichzeitig ist fast eine Milliarde Menschen schwerstens unterernährt.

"Der Freihandel entwaffnet die Konsumenten"

Herr Ziegler, sind Sie nur gegen etwas oder auch für etwas?
Ich bin für den Internationalismus. Zwischen der Globalisierung und dem Internationalismus gibt es einen radikalen Widerspruch: Der Freihandel entwaffnet die Konsumenten, das transatlantische Abkommen TTIP wäre ja nur ein Abbau gewesen von Bankaufsicht, Konsumentenschutz, Mindestlöhnen. Trump kämpft gegen einige Aspekte der Globalisierung, aber für den Internationalismus ist er ganz sicher nicht. Ich möchte den Aufbau einer Weltgemeinschaft, wo Staaten einen Teil ihrer Souveränität schrittweise in supranationale Organisationen überführen, gemeinsame Märkte schaffen mit sozialen Imperativen. Haben Sie jetzt immer noch den Eindruck, der Ziegler und der Trump sind auf einer Wellenlänge?

Immerhin teilen Sie sich einige Feindbilder. Genau wie Trump rechnen Sie etwa der EU nicht viel Gutes zu.
Die EU ist heute eine Clearingstelle der Konzerne. Geführt von einem Komplizen der internationalen Steuerhinterziehung, Jean-Claude Juncker. Er hat aus Luxemburg ein Steuerparadies gemacht. Und die Flüchtlingspolitik der EU ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Das müssen Sie erläutern.
1951 haben die UN ein neues, universelles Menschenrecht geschaffen, das Asylrecht. Orban und die Halunken in Polen, Bulgarien und der Slowakei bauen Stacheldrahtzäune, verhindern, dass Menschen ihr Asylrecht einfordern können, behandeln sie wie Delinquenten. Es gibt aber keine illegalen Asylsuchenden.

Wie beurteilen Sie denn Angela Merkel?
Diese Frau ist ganz großartig. Sie hat in der Flüchtlingspolitik das Richtige gesagt und getan. Dass sie unter dem Druck der Faschisten von der AfD das Vokabular ein wenig ändert, kann ich verstehen. Deutschland ist überhaupt exemplarisch in der Flüchtlingsfrage. Die Gastfreundschaft, selbst im stockkonservativen Bayern, die Unterstützung in den Städten und Dörfern, die auch jetzt noch weitergeht. Auch das ist großartig.

Asyl heißt, verfolgt zu sein, aber die meisten Menschen kommen derzeit, um eine bessere Lebensperspektive zu haben.
Ich rede von den Gewaltflüchtlingen, beispielsweise aus Syrien. Deren Menschenrecht wird mit Füßen getreten. Die EU-Kommission hätte die absolute Waffe in der Hand: 5,6 Milliarden Euro hat alleine Ungarn von der EU im vergangenen Jahr erhalten. Wenn die EU die Solidaritätszahlungen an die osteuropäischen Länder für 14 Tage aussetzen würde, wäre der Stacheldraht, wären die Gefängnisse und die fürchterlichen Lager weg.

Beim Flüchtlingsthema geht es doch auch um die Millionen von Menschen, die auf ihren Smartphones den westlichen Wohlstand sehen und der Perspektivlosigkeit entkommen wollen.
Die Ursachen dieser Migration sind in der Tat die Unterentwicklung und das Elend. Die ganze Nord-Süd- Politik ist eine Schande. Ich nehme Niger. Zweitgrößter Uran-Produzent der Welt, zweitärmstes Land der Welt. Areva, der französische Industriekonzern, beutet das zu hyperkolonialen Bedingungen aus. Der neue Präsident Issoufou, ein sehr kluger Mann, verlangt die Neuverhandlung von Rechten. Kommt natürlich nicht infrage, weil die französischen Geheimdienste Niger beherrschen. Die Ausbeutung Afrikas durch die westlichen Konzerne ist haarsträubend. Ich war kürzlich in der Demokratischen Republik Kongo, in Goma, eine Großstadt wie Lyon. Da gibt es kein funktionierendes Krankenhaus. Der Staat ist nicht präsent und zwanzig Kilometer weiter baut ein Konzern Coltan ab, das in unseren Handys steckt. Er hat eigene Milizen, lässt Kinder für sich arbeiten. Da kommen Lastwagen raus über die Grenze nach Ruanda, Kenia und ab aufs Schiff in Mombasa – direkte, totale Plünderung. Afrika ist ein Bettler, der auf einem Goldhaufen sitzt.

Was denken Sie, wenn europäische Regierungschefs sagen, sie bekämpfen die Fluchtursachen?
Dann lügen die. In Heiligendamm beim G-20-Gipfel wurden 28 Milliarden Euro als Soforthilfe für Afrika beschlossen. Bis jetzt sind erst sechs Milliarden gekommen, und Militärhilfe wird sogar noch in die Statistik eingerechnet. 37 Länder in Afrika sind reine Agrarstaaten. Die haben eine Auslandsschuld, die so erdrückend ist, dass sie nicht die mindeste Chance haben, in ihre Landwirtschaft zu investieren. Ein Kind, das jetzt am Hunger stirbt, wird also ermordet.

Haben da nicht auch die afrikanischen Eliten versagt?
Ja, einige sind Marionetten der Konzerne. Nehmen sie diesen fürchterlichen Joseph Kabila im Kongo. Der kongolesische Staat verzichtet auf Steuern, Ausfuhrzölle für die Konzerne, die Rohstoffe in seinem Land abbauen. Es ist die totale Korruption.

"Gerade jetzt habe ich wieder Hoffnung das der UN-Reformplan umgesetzt wird"

Gibt es für Sie nur das Schwarz des Jetzt und das Weiß der Entmachtung internationaler Konzerne und nichts dazwischen?
Es gibt die UN. Mit dem historischen Auftrag: Kampf gegen das Elend, kollektive Sicherheit und Menschenrechte. In meinem neuen Buch beschreibe ich, warum diese drei Säulen gebrochen sind. Aber die UN bleiben der sichtbare Horizont. Es kann keine Zivilisation, keinen Frieden auf Erden geben ohne die Verwirklichung der Prinzipien der Charta.

Die Vereinten Nationen scheinen aber gelähmt. Von der geplanten Reform hat man lange nichts gehört.
Gerade jetzt habe ich wieder Hoffnung, dass der Reformplan des früheren UN- Generalsekretärs Kofi Annan umgesetzt wird. Ein wesentlicher Punkt darin lautet: Wo Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden, darf das Vetorecht im UN-Sicherheitsrat nicht mehr greifen. Ein russisches Veto gegen einen UN-Friedenseinsatz in Syrien wäre dann nicht mehr möglich. Der Syrien-Krieg hat zum ersten Mal auch Konsequenzen für die Vetomächte selbst, denn er hat Dschihadisten hervorgebracht, die in Berlin, Paris, Nizza, Brüssel, London und bis nach Boston morden. Und er hat fünf Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Deshalb beraten gerade jetzt Kommissionen in Berlin, Paris und Washington, wie die UN wieder handlungsfähig gemacht und der Annan-Plan durchgesetzt werden kann.

Wo sehen Sie Ihre stärksten Verbündeten?
Das ist die Zivilgesellschaft. Wenn sie erwacht und Druck auf die Regierungen ausübt, wird sich die Welt ändern. Che Guevara hat gesagt, auch die stärksten Mauern fallen durch Risse. Diese Weltdiktatur des globalisierten Finanzkapitals wird eines Tages durch die Zivilgesellschaft gestürzt. Durch soziale Bewegungen wie die Frauenbewegung, Anti-Globalisierungsinitiativen wie Attac, Greenpeace oder Amnesty International. Beim letzten Weltsozialforum in Montreal waren mehr als 8000 solcher Bewegungen vertreten. Alle getrieben vom moralischen Imperativ. Immanuel Kant schreibt: ,Die Unmenschlichkeit, die einem anderen angetan wird, zerstört die Menschlichkeit in mir.’

Sind wir mächtiger als Verbraucher oder als Wähler?
Wenn Sie keine gentechnisch veränderte Nahrungsmittel essen oder faire Produkte kaufen, bewirkt das schon viel. Als freier Bürger haben Sie aber eine noch viel größere Macht. Durch Ihr Wählervotum können Sie beispielsweise verhindern, dass Grundnahrungsmittel zu Spekulationsobjekten werden. 1,3 Milliarden Menschen in den Elendsvierteln der Welt sehen sich mit mörderischen Preisexplosionen für Lebensmittel konfrontiert. Millionen sterben einen qualvollen Hungertod. Eine Ursache dafür ist die Spekulation mit Nahrungsmitteln wie Reis und Mais an Börsen. Doch Börsen existieren nicht im rechtsfreien Raum, sie unterliegen Gesetzen. Und die erlauben die Spekulation mit Grundnahrungsmitteln. Als Wähler können wir dafür sorgen, dass diese Gesetze von unseren Parlamenten geändert werden – und zwar sofort.

Gibt es Menschen, die Sie als Vorbilder bezeichnen würden?
Bertolt Brecht schreibt: ,Unglücklich ist der Mensch, der Helden braucht.’ Ich brauche keine. Trotzdem gibt es natürlich großartige Menschen. Ein Beispiel ist António Guterres, der neue UN-Generalsekretär. Nach seiner Absetzung als Premier in Portugal arbeitete er unentgeltlich als Lehrer in Lissabonner Armenvierteln. Dann der Jesuit aus Argentinien, heute Papst in Rom. Er sagt, Reichtum ist verweigerte Hilfeleistung. Schließlich möchte ich meine Frau nennen, die Kunsthistorikerin und Kommunistin Erica Deuber-Ziegler. Diese Drei sind für mich lebendige Wunder.

Jean Ziegler chauffierte einst in Genf Che Guevara. Danach wollte er ihm nach Kuba folgen, doch der Revolutionsheld riet, Ziegler solle den Kampf für Gerechtigkeit in den Institutionen führen. Ziegler machte zunächst in seiner Heimat, der Schweiz, Politik und übernahm später hohe Funktionen bei den UN. Er gilt als einer der bedeutendsten Globalisierungskritiker. In seinem neuen Buch „Der schmale Grat der Hoffnung – meine gewonnenen und verlorenen Kämpfe und die, die wir gemeinsam gewinnen werden“ rechnet Ziegler mit Konzernen und der internationalen Politik ab. Er baut auf die Zivilgesellschaft.

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