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Athen: Griechenland beschließt neue Sparmaßnahmen

UPDATE Die Regierung in Griechenland hat Sparmaßnahmen in Höhe von 4,8 Milliarden Euro beschlossen. Bei den Protesten kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen jungen Demonstranten und der Polizei.

Die griechische Regierung hat am Mittwoch neue Sparmaßnahmen in Höhe von 4,8 Milliarden Euro beschlossen. Wie der  öffentlich-rechtliche Fernsehsender NET berichtete, soll die Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte angehoben werden. Außerdem sollen die Pensionen eingefroren und das Urlaubsgeld für Beamte gekürzt werden. Es handelt sich bereits um das dritte Sparprogramm, das die Regierung in Athen unter dem Druck der Europäischen Union auflegt.

In Athen ist es am Freitag bei einer Kundgebung gegen die Sparpläne der Regierung zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen jungen Demonstranten und der Polizei gekommen. Nach Angaben eines AFP-Reporters setzte die Polizei Tränengas gegen die Demonstranten ein, die sich im Zentrum der griechischen Hauptstadt versammelt hatten.

Bei einer Kundgebung vor dem Parlament attackierten junge Demonstranten den Chef des griechischen Gewerkschaftsbundes GSEE, Yannis Panagopoulos, und verletzten ihn durch Faustschläge. Der Gewerkschaftsboss hielt gerade eine Rede gegen die Sparpläne der Regierung.

Das Parlament wollte im Laufe des Freitags die am Mittwoch von der Regierung angekündigten Sparmaßnahmen in einem Eilverfahren verabschieden. Der Plan im Umfang von 4,8 Milliarden Euro sieht Gehaltskürzungen für Beamte und Steuererhöhungen vor und soll das Land vor einem Staatsbankrott bewahren.

Am Abend will sich Ministerpräsident Giorgos Papandreou in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) treffen. Merkel hatte deutlich gemacht, dass es bei dem Treffen nicht um mögliche Hilfszusagen geht. Papandreou will der Kanzlerin erläutern, wie er mit einem Milliarden-Sparpaket die Staatsverschuldung drastisch reduzieren will.

Jorgo Chatzimarkakis, FDP-Abgeordneter im Europaparlament, wandte sich scharf gegen die jüngsten Vorschläge deutscher Unions- und FDP- Politiker, Athen möge Staatsbesitz wie etwa unbewohnte Inseln verkaufen. Er sagte am Freitag im Deutschlandradio Kultur: „Der Vorschlag ist wirklich abenteuerlich. Die Griechen sind im Moment sehr sensibel. Und dann geht so was wirklich unter die Haut.“

Schock und Schrecken beherrschten gestern die griechischen Gazetten. Die Athener Zeitung „Eleftherotypia“ textete, der 3. März 2010 sei ein „unvergesslicher Tag“ – „schicksalhaft und traurig“. „Schock!“ stand in großen Lettern auf dem Titel des Massenblatts „Ta Nea“. Die Zeitung „Ethnos“ sieht ein „Armageddon“, ein jüngstes Gericht auf die Griechen zukommen. „Gott helfe uns“, fleht das konservative Blatt „Apogevmatini“ am Tag, nach dem die sozialistische Regierung ihre Sparbeschlüsse bekannt gab: Der griechische Mittelstand werde „dahingerafft“. Die konservative „Vradyni“ befürchtet eine tiefe Rezession. „Alle werden ärmer, damit das Land nicht pleitegeht“ meint die regierungsnahe „To Vima“.

Aber nicht alle wollen ärmer werden. So wird jetzt täglich von einzelnen Berufsgruppen, den Rentnern und den Schülern demonstriert, am Donnerstag besetzten Gewerkschafter das Finanzministerium, für den 8. und den 16. März haben die Gewerkschaften zu Streiks aufgerufen.

Ministerpräsident Giorgos Papandreou glaubt aber, dass die Mehrheit der Bevölkerung das Sparprogramm mitträgt. Er hat in den vergangenen Tagen ein drastisches Bild der Lage gezeichnet. Seine Botschaft: Die einzige Alternative wäre der Staatsbankrott. Er warnt, „dass der Staat schon bald keine Gehälter und Renten mehr zahlen kann“; er befinde sich im „nationalen Überlebenskampf“. Gehaltskürzungen und höhere Steuern auf alles: „Die nächsten Tage, Wochen und Monate werden nicht leicht werden“, weiß Papandreou.

Die Rentnerin Eleni Karagianni macht sich keine Illusionen: „Die Lage ist ernst, ich weiß es“, sagt sie. Aber bei ihr sei für Papandreou nicht viel zu holen: 550 Euro Rente bekommt die pensionierte Buchhalterin im Monat, „was soll ich davon abgeben?“ Bequemer lebt Evangelia Kalli: Mit 65 genießt sie seit 22 Jahren ihre Pension, die mit knapp 2500 Euro im Monat fast dem Gehalt entspricht, mit dem sie 1988 im Alter von 43 Jahren bei einer großen Staatsbank ausschied. Den langen Ruhestand verdankt sie einer inzwischen abgeschafften Regelung, wonach Mütter schon nach 15 Berufsjahren in Rente gehen können. Sie gehört zu der anspruchsvollen Kaste, die sich dank streikfreudiger Gewerkschaften und nachgiebiger Politik über Jahrzehnte Privilegien erkämpfte: Krisenfeste Jobs im Staatsdienst werden meist nach politischen Gesichtspunkten vergeben.

Ein Abgeordneter, der einem Schulabgänger eine Anstellung bei Post, Bahn oder Müllabfuhr besorgt, kann die Stimmen einer dankbaren Großfamilie erwarten. Unter der Regierung des konservativen Premiers Kostas Karamanlis stellte der Staat zwischen 2004 und 2009 rund 80 000 Menschen zusätzlich an. Um sie mit Jobs zu versorgen, wurden in fünf Jahren 200 neue Behörden und Institutionen geschaffen – oder sollte man sagen: erfunden? Hier setzt Papandreou den Rotstift an. Auch deshalb trägt Umfragen zufolge die Mehrheit der Griechen sein Sparprogramm mit. Jetzt stellt er ihre Leidensfähigkeit auf eine harte Probe: Die Verbrauchssteuern treffen alle, die Kürzung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld wird wohl auch die Wirtschaft übernehmen. (mit dpa/AFP))

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