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Hintergrund: Religiöse Minderheiten haben es in der Türkei schwer

Armenische, jüdische und griechisch-orthodoxe Bürger können in der Türkei ungestört ihren Glauben leben, sagt deren Europaminister Bagis angesichts der Minarett-Abstimmung in der Schweiz. Ganz so harmonisch ist die Realität aber nicht.

Egemen Bagis konnte der Versuchung offenbar nicht widerstehen. Als türkischer Europaminister muss sich Bagis immer wieder Klagen der EU über Demokratie-Defizite im Beitrittsbewerberland Türkei anhören. Das Schweizer Minarett-Votum gab ihm jetzt die Gelegenheit, die Eidgenossen einmal grundsätzlich über europäische Werte aufzuklären. Der Minderheitenschutz sei für die EU sehr wichtig, dozierte Bagis mit Blick auf das Neubau-Verbot für Minarette in der Schweiz. In der zu 99 Prozent muslimischen Türkei könnten armenische, jüdische und griechisch-orthodoxe Bürger jedenfalls ungestört ihren Glauben leben. Ganz so harmonisch ist die Realität in der Türkei aber nicht.

Neben den knapp 80.000 sunnitischen Moscheen für die Bevölkerungsmehrheit gibt es in der Türkei nach offiziellen Angaben 321 Kirchen und 39 Synagogen. Hinzu kommen 900 so genannte Cem-Häuser, Versammlungsräme der Alewiten, Anhänger einer liberalen Strömung des Islam, die von der sunnitisch geprägten Religionsbehörde in Ankara bisher nicht anerkannt wird.

Positive Beispiele sind nur ein Teil der Wahrheit

In einigen Stadtteilen von Istanbul sind nach wie vor Kirchenglocken zu hören, Armenier und Griechen versammeln sich in einigen prächtigen Gotteshäusern zum Gebet. Auch entstanden in den vergangenen Jahren mehrere Kirchen neu. So erhielten die deutschen Katholiken im Ferienort Antalya ein Gotteshaus. Im zentralanatolischen Kayseri wurde vor einigen Wochen eine restaurierte armenische Kirche neu geweiht, was von der Presse als Beweis religiöser Toleranz bejubelt wurde. In Ankara prüft die Regierung den Wunsch Russlands nach Einrichtung einer Kirche für die wachsende Zahl russischer Urlauber.

Doch diese positive Beispiele sind nur ein Teil der Wahrheit. „Die Schweiz hat etwas Schlechtes getan“, kommentierte die liberale Tageszeitung „Radikal“ am Mittwoch. „Aber sind die Kirchen in der Türkei etwa frei?“ Nicht so ganz, lautete die Antwort. „Die christlichen Minderheiten in der Türkei befinden sich in einer miserablen rechtlichen Situation“, sagt Holger Nollmann, der Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde in Istanbul. Auch EU und USA kritisieren, dass Nicht-Muslime in der Türkei auf viele Probleme stoßen.

Gewalt gegen Nicht-Muslime ist der Türkei nicht fremd

Dabei geht es häufig um Schwierigkeiten, einen Gebets- oder Versammlungsraum von den Behörden genehmigt zu bekommen. Nach einer kürzlich veröffentlichten Umfrage wollen vier von zehn Türken keinen Juden als Nachbarn, jeder Dritte lehnt es ab, neben einem Christen zu wohnen. Vize-Premier Bülent Arinc nannte die Resultate der Studie „erschreckend“.

Auch Gewalt gegen Nicht-Muslime ist der Türkei nicht fremd. Vor sechs Jahren jagten radikale Islamisten zwei Istanbuler Synagogen in die Luft. Vor zwei Jahren ermordeten Rechtsnationalisten im ostanatolischen Malatya drei christliche Missionare, darunter einen Deutschen. In Trabzon an der Schwarzmeerküste starb ein italienischer Pfarrer durch die Waffe eines anderen Rechtsextremisten.

Deshalb sollte sich die Türkei mit Kritik an der Schweiz etwas zurückhalten, finden einige Türken. „Respekt vor den Religionen ist ja schön und gut“, schrieb ein „Radikal“-Leser. „Aber wir täten gut daran, damit bei uns selbst anzufangen.“

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