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Abstimmungsbedarf. Mehr als 2600 Änderungsanträge zum Wahlprogramm liegen dem Parteitag vor.

© dpa

Bündnis 90/Die Grünen: In Berlin startet der Grünen-Bundesparteitag

Die Grünen beginnen am Freitag ihren Parteitag in Berlin und wollen ihr Wahlprogramm verabschieden. Diskussionen dürfte es über die strategische Ausrichtung geben. Wollen die Grünen regieren oder sich als Oppositionspartei profilieren?

Grünen-Wahlkampfmanagerin Steffi Lemke ist voll des Lobes: Die Mitglieder wüssten, dass es im Herbst ernsthaft um etwas gehe, sagt sie. Und das zeigen aus ihrer Sicht die mehr als 2600 Änderungsanträge zum Wahlprogramm, die dem Parteitag am Wochenende in Berlin vorliegen. Drei Tage lang will die Ökopartei debattieren. Auseinandersetzungen zeichnen sich vor allem im Bereich Wirtschaft, Finanzen und Arbeit ab.

Die Grünen beschreiben in ihrem Programm den „grünen Wandel“: Dazu gehört nach Ansicht der Ökopartei der ökologische Umbau der Wirtschaft, aber auch eine gerechtere Verteilung des Wohlstands. Kleine und mittlere Einkommen bis 60000 Euro sollen durch eine Anhebung des steuerfreien Existenzminimums entlastet werden. Menschen mit einem höhere Einkommen sollen mehr zahlen, der Spitzensteuersatz soll ab einem Jahreseinkommen von 80000 Euro von 42 auf 49 Prozent angehoben werden.

Mit einer Vermögensabgabe soll die Verschuldung des Bundes, die durch die Bankenrettung stark gestiegen ist, in den nächsten zehn Jahren um etwa 100 Milliarden Euro reduziert werden. Die Abgabe von 1,5 Prozent im Jahr soll bei Vermögen ab einer Million Euro fällig werden. Für Betriebe ist ein Freibetrag von fünf Millionen Euro vorgesehen. Die Erbschaftsteuer soll verdoppelt werden, damit die Länder mehr Geld in Bildung investieren können. Die Grünen wollen außerdem das Ehegattensplitting abschmelzen und durch eine Individualbesteuerung ersetzen. Die frei werdenden Mittel sollen in den Ausbau von Kitas und Ganztagsschulen sowie den Aufbau einer Kindergrundsicherung gesteckt werden. Außerdem sollen ökologisch schädliche Subventionen reduziert werden – etwa bei der Dienstwagenbesteuerung.

Die Grünen fordern außerdem einen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro pro Stunde, eine Garantierente von 850 Euro im Monat und eine Bürgerversicherung in Gesundheit und Pflege. Der Regelsatz für Hartz-IV-Empfänger soll von 382 auf 420 Euro angehoben werden. Auf Drängen des Berliner Landesverbands soll außerdem der Kampf gegen steigende Mieten zum Thema gemacht werden. In die Energiewende wollen die Grünen 3,5 Milliarden Euro stecken sowie weitere zwei Milliarden Euro in die energetische Gebäudesanierung. Wenn im Jahr 2022 in Deutschland das letzte Atomkraftwerk vom Netz geht, soll mindestens die Hälfte der Stromversorgung durch erneuerbare Energien abgedeckt werden, acht Jahre später sollen es bereits 100 Prozent sein. Um „faire Strompreise“ zu ermöglichen, wollen die Grünen die Befreiungen der Industrie von den Umlagen für Stromnetze und erneuerbare Energien deutlich reduzieren.

Seit ihrer Gründung 1980 ist es das erste Wahlprogramm, in dem die Grünen nicht den Ausstieg aus der Atomenergie fordern. Schließlich ist dieser seit 2011, nach der Atomkatastrophe in Fukushima, beschlossene Sache. Stattdessen steht nun die Energiewende an erster Stelle. Doch die ökologische Frage wird auf dem Parteitag nicht im Zentrum der Konflikte stehen. Die meisten Änderungsanträge beziehen sich auf Wirtschafts-, Arbeits- und Finanzthemen. Für Bundesgeschäftsführerin Lemke ist das ein Beleg für die inzwischen stärkere „inhaltliche Breite“ der Grünen. Deutlich wird, wie weit die Vorstellungen über die strategische Aufstellung der Partei auseinandergehen: Sollen die Grünen sich eher als Regierungspartei präsentieren, die all ihre Vorhaben gegenfinanziert hat? Und die lieber keinen Rechtsanspruch auf eine ganztägige Kinderbetreuung verspricht, solange die West-Bundesländer noch mit dem Kitaausbau für Kinder unter drei Jahren beschäftigt sind? Entsprechende Forderungen gibt es etwa aus Baden-Württemberg und Bayern. Oder können die Grünen einen Oppositionswahlkampf machen?

Differenzen gibt es außerdem bei der Frage, wie ernst man Befürchtungen aus der Wirtschaft und der Bevölkerung nehmen muss, sie könnten durch die grünen Steuer- und Abgabenpläne zu stark belastet werden. In die Präambel soll nun wohl eine Kompromissformulierung aufgenommen werden: Sinngemäß soll es heißen, dass die Grünen auch künftig darauf achten werden, dass keiner überfordert wird. Die Grünen bekennen sich klar zu ihrem Wunschpartner SPD. „Wir wollen den grünen Wandel mit einer rot-grünen Koalition erreichen“, heißt es im Entwurf für die Präambel. Auch wenn andere Bündnisse (Schwarz-Grün, eine Ampel mit der FDP oder Rot-Rot-Grün) nicht explizit ausgeschlossen werden, listen die Grünen konkret auf, was sie an CDU, CSU, FDP und Linkspartei stört und warum sie mit diesen Parteien nicht koalieren wollen.

Dass die SPD bei der Suche nach einem Koalitionspartner die erste Wahl wäre, bestreitet kaum jemand. Doch mit der starken Fixierung auf die Sozialdemokraten sind nicht alle glücklich. Vor allem Politiker aus dem Reformerflügel hätten lieber die grüne Eigenständigkeit betont – eine Formel, auf die sich die Partei 2009 verständigt hatte, nachdem es damals bei der Bundestagswahl für Rot-Grün nicht reichte. Ernsthafte SchwarzGrün-Debatten sind aber auf dem Parteitag nicht zu erwarten. Selbst Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, der diese Option gerne offenhalten würde, hat keinen entsprechenden Antrag eingebracht.

Dass die Grünen mit der SPD koalieren wollten, geschehe „nicht aus Liebe oder Sentimentalität“, sondern sei begründet durch die Inhalte, sagt Lemke. Tatsächlich gibt es deutliche Überschneidungen bei den Wahlprogrammen. Etwa in der Steuer- und Sozialpolitik, wo die Unterschiede zu Schwarz-Gelb am deutlichsten werden. Zudem wollen beide Parteien eine Bürgerversicherung. Auch gesellschaftspolitisch verfolgen sie gemeinsame Ziele: von der Einführung einer Frauenquote bis zur gleichwertigen Ehe für schwule und lesbische Paare, inklusive Steuervorteilen und vollem Adoptionsrecht. In der Energiepolitik dürfte es schwieriger werden: Zwar fordern SPD und Grüne beide ein Klimaschutzgesetz. Aber bei der Frage, auf welche Energieträger in den nächsten Jahren gesetzt werden soll, gehen die Meinungen auseinander. Die Grünen sprechen sich gegen den Bau neuer Kohlekraftwerke aus, bis 2030 wollen sie komplett aus der Kohle aussteigen. Die SPD aber hält die Kohleförderung bis auf Weiteres für notwendig.

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