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Da weht sie: die israelische Fahne vor dem Bundestag.

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Israel-Solidarität im Bundestag: „Das historische Bewusstsein bröselt an allen Ecken und Enden“

Immer lauter, immer schärfer wird in Deutschland die Kritik an Israels Vorgehen in Gaza. Doch einige Abgeordnete halten dagegen. Was sie bewegt und wie sie auf den Konflikt blicken.

Die Stimmung dreht sich. Immer lauter sind in den vergangenen Monaten im politischen Diskurs die Stimmen derjenigen geworden, die Israel laut kritisieren. Auch im Parlament. Was aber bewegt jene Abgeordneten, die die Solidarität mit Israel besonders tief empfinden, die auch öffentlich als Fürsprecher des jüdischen Staates in Erscheinung treten?

Einer von ihnen ist Markus Töns, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Gelsenkirchen. Die Solidarität mit Israel ist eine der langen Linien in seinem Leben, sie geht zurück bis zu dem Moment, als er als Achtjähriger vom Attentat auf die israelische Olympiamannschaft in München erfuhr. „Ich habe schon als Kind gespürt, dass da etwas besonders Furchtbares geschah“, sagt Töns.

Markus Töns vertritt für die SPD Gelsenkirchen im Bundestag.

© IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Als Erwachsener, politisch engagiert in seiner Heimatstadt, baute er engen Kontakt zu Judith Neuwald-Tasbach auf. Sie ist Tochter des Holocaust-Überlebenden Kurt Neuwald, der den Zentralrat der Juden in Deutschland mitgründete. Er überlebte als Einziger aus seiner Familie die Schoah, kehrte nach dem Krieg in seine Heimatstadt Gelsenkirchen zurück.

„Wenn ich heute mit Judith spreche, spüre ich, wie sehr die Sorge um unser Land sie umtreibt. Sie ist hier geboren und aufgewachsen, aber sie fühlt sich in ihrer Heimat nicht mehr sicher. Das finde ich dramatisch“, sagt Töns. Ähnliches nimmt er allgemein wahr: „Wenn man mit Menschen jüdischen Glaubens spricht, die in Deutschland leben, sagen sie mittlerweile: ‚Für uns ist Israel die letzte Hoffnung, in Sicherheit zu leben, wir glauben nicht mehr an Europa.‘ Das muss uns doch zu denken geben.“

Wenn man von Genoziden spricht, dann war es ein genozidaler Akt, der am 7. Oktober stattgefunden hat.

Markus Töns, SPD-Bundestagsabgeordneter

Der Sozialdemokrat spürt, wie in Deutschland alter Antisemitismus wieder aufkeimt. „Das Narrativ, dass immer der Jude schuld ist, ist wieder da. In dieser Weltsicht ist auch jeder Jude verantwortlich für das, was in Gaza geschieht. Das macht mich wirklich, wirklich nachdenklich.“

Gleichzeitig sagt er klar: „Es steht außer Zweifel, dass ich als Sozialdemokrat von Netanjahu nichts halte und seine Politik, besonders auch die seiner rechtsradikalen Minister, ablehne. Israel braucht eine andere Politik und einen anderen Ministerpräsidenten.“ Damit Deutschland etwas bewirken könne, sei der einzige Weg, so viele Gesprächskanäle offenzuhalten wie nur möglich.

Schwierige Debatten, auch in der eigenen Fraktion

Töns findet falsch, dass der Krieg in Gaza auch jetzt noch weitergeführt wird. Er sagt aber auch: „Wenn man von Genoziden spricht, dann war es ein genozidaler Akt, der am 7. Oktober stattgefunden hat.“ Die Bevölkerung in Gaza sei sicherlich vollkommen indoktriniert. „Aber sie hat eben die Männer als Helden gefeiert, die Frauen brutal vergewaltigt, Babys ermordet haben. Die Bilder dieses Jubels haben sich mir eingebrannt.“

In seiner eigenen Fraktion ist die Kritik an Israel deutlich härter, deutlich lauter als beim Koalitionspartner. „Wir haben in der Fraktion eine schwierige Debatte“, sagt dazu Töns. „Ich kann nicht sagen, wo die Mehrheit liegt, aber ich befürchte, dass sie bei denen liegt, die anders argumentieren als ich.“

Ich war wirklich erstaunt, dass er dieses Symbol nicht kennt.

Sozialdemokrat Markus Töns wurde von einem anderen Abgeordneten auf seine gelbe Schleife angesprochen.

Töns hält den Internationalen Strafgerichtshof, der Netanjahu per Haftbefehl sucht, für eine „gescheiterte Institution“. Francesca Albanese, umstrittene UN-Sonderberichterstatterin für die palästinensischen Gebiete, sieht er als „Antisemitin, wie sie im Buche steht“.

Es gebe Personen im Deutschen Bundestag, mit denen er über den Konflikt gar nicht reden könne. „Weil sie meine Haltung grundlegend ablehnen. Das gibt es leider auch in meiner eigenen Fraktion.“ Er habe gemeinsam mit anderen Abgeordneten Angehörige der Geiseln getroffen. „Es war für mich deutlich spürbar, dass diese Schicksale die Kollegen nicht so anfassten wie mich. Ich weiß nicht, warum.“

Töns trägt die gelbe Schleife am Revers, die an die Geiseln erinnert. Gerade vor ein paar Wochen erst sei er im Bundestag von einem anderen Abgeordneten gefragt worden, wofür die Schleife stehe. „Ich war wirklich erstaunt, dass er dieses Symbol nicht kennt.“

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Trotz solcher Erlebnisse sagt Töns: „Die Israel-Solidarität im Bundestag ist größer, als es scheint. Denn die Gegner Israels sind die Lautesten.“ Der Sozialdemokrat redet über Fraktionsgrenzen hinweg mit Abgeordneten, die die Dinge sehen wie er.

Nur bei der Linken gibt es niemanden, mit dem er im Austausch wäre. „Da nehme ich nur noch Verweigerung wahr, wenn es um die Belange Israels geht. Die politische Linke radikalisiert sich und zieht gemeinsam mit Islamisten in den Klassenkampf. Das ist brandgefährlich.“

Die Linkspartei kämpft mit dem Thema

In der Tat ist die Kritik an Israel im demokratischen Spektrum nirgends so scharf wie bei der Linkspartei. Mehrere prominente Mitglieder, darunter der frühere Berliner Kultursenator Klaus Lederer, sind unter Protest aus der Partei ausgetreten. Sie werfen der Linken vor, sich gegenüber Sympathisanten des Terrors nicht klar genug abzugrenzen.

Als einer derjenigen, die glaubwürdig solidarisch mit Israel sind, gilt jedoch der linke Bundestags-Vizepräsident Bodo Ramelow. Er betont Deutschlands besondere historische Verantwortung und sticht damit in seiner Partei heraus. Von der Bundesregierung fordert er mehr Engagement für die deutschen Geiseln in den Händen der Hamas.

Bundestagsvizepräsident Bodo Ramelow (Linkspartei)

© IMAGO/dts Nachrichtenagentur/IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Nach dem 7. Oktober sei er tagelang in Schockstarre gewesen, sagt Ramelow. Mittlerweile aber sieht er Israels Kriegsführung mit großer Skepsis. Und so hat Ramelow Verständnis dafür, dass sich viele Linken-Mitglieder stark für die Palästinenser engagieren.

Doch wo die Grenze ziehen? Mit dieser Frage kämpft die Linkspartei immer wieder, intern wie auf offener Bühne. Ramelow zieht für sich die Grenze dort, wo Hamas und Hisbollah nicht klar als Terrororganisationen benannt werden.

Damit macht er regelmäßig Erfahrungen, vor allem in den sozialen Netzwerken. Die schlimmsten Posts der der pro-palästinensischen Aktivisten lösche er sofort und blocke, wenn es Beleidigungen sind, sagt er.

Für uns galt nach dem Zweiten Weltkrieg: Nie wieder Krieg und nie wieder Nationalsozialismus. Wir haben aber lange übersehen, dass unsere Opfer für sich bilanziert haben, nie wieder wehrlos zu sein.

Roderich Kiesewetter, CDU-Bundestagsabgeordneter

Zum Beispiel nach dem Terroranschlag auf eine Synagoge in Manchester am 2. Oktober. Als Bodo Ramelow um die Opfer trauerte, wurde das von einer ganzen Menge dieser „Einstaaten-Aktivisten“ scharf kritisiert, weil ja auch in Gaza Menschen sterben würden und er dazu schweigen würde. „Mittlerweile habe ich auch Morddrohungen zugemailt bekommen, weil ich das Wort Genozid verweigern würde. Das ist der pure Antisemitismus“, sagt Ramelow und löscht und blockt.

In den vergangenen Tagen hat Ramelow gebannt verfolgt, was rund um die Friedensinitiative von Donald Trump passiert. Genauso wie der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz. „Die letzten Monate waren so schrecklich, dass man nach jedem Hoffnungsschimmer greift“, sagt er. Auch in Israel hätten viele Menschen die tiefe Sehnsucht, aus der Gewaltspirale herauszukommen.

Der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz

© IMAGO/Political-Moments/imago

Nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 stand von Notz lange mit Angehörigen von Geiseln in einem intensiven Austausch. Er habe die Verzweiflung dieser Familien erlebt, sagt er. Von Notz hat sich deshalb über jede Demonstration für die Freilassung der Geiseln und jeden Medienbericht gefreut, der ihr Schicksal thematisiert.

Man könne sich kaum vorstellen, wie sehr der Terrorangriff der Hamas Israel erschüttert habe, sagt er. Diesen Staat, „dessen ureigenste Aufgabe es ist, Juden nach dem Grauen der Schoah eine sichere Zuflucht zu bieten“. Er hält es deshalb für folgerichtig, dass die israelische Regierung „die Hamas zerschlagen will“.

Von Notz erinnert aber auch daran, Israel betone berechtigterweise regelmäßig, dass es die einzige Demokratie im Nahen Osten sei. Dann müsse es sich in einer solchen Situation auf rechtsstaatliche Kriterien besinnen.

Wenn das historische Bewusstsein nachlässt

Deutschland sollte jedoch bei der Kritik an der israelischen Regierung nicht an der Speerspitze stehen, ist von Notz überzeugt. Nachdem unter NS-Herrschaft sechs Millionen jüdische Männer, Frauen und Kinder ermordet wurden, sei eine besondere politische Solidarität mit Israel selbstverständlich. Für die Staatsräson will von Notz eintreten, gerade wenn es schwierig ist.

Die einzige Partei, die noch eindeutig klar an der Seite Israels steht, ist die CSU.

Roderich Kiesewetter, CDU-Bundestagsabgeordneter

Von Notz hofft inständig, dass es dem Bundestag zum zweiten Jahrestag des 7. Oktober gelingt, „dem Thema in einer gemeinsamen Debatte Raum zu geben und der Toten, Verletzten und Geiseln zu gedenken“.

Gesprächsbedarf sieht wohl auch der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter, eine prominente Stimme beim Thema Israel genauso wie in Sachen Ukraine. Das historische Bewusstsein, dass Israel seit dem Tag seiner Staatsgründung bedroht werde, habe auch im Parlament nachgelassen, beklagt Kiesewetter. „Es bröselt an allen Ecken und Enden.“

Roderich Kiesewetter, CDU-Bundestagsabgeordneter

© IMAGO/Bernd Elmenthaler/IMAGO/Bernd Elmenthaler

Die Hamas arbeite an einer Täter-Opfer-Umkehr und haben damit selbst in der Bundesregierung Erfolg. Kiesewetter kritisiert den Stopp deutscher Waffenlieferungen und Äußerungen von CDU-Außenminister Johann Wadephul, der vor einer „Zwangssolidarität“ mit Israel gewarnt hatte. „Ich sehe, dass Deutschland nur noch einseitig Druck auf Israel ausübt. Das finde ich falsch“, sagt Kiesewetter. „Die einzige Partei, die noch eindeutig klar an der Seite Israels steht, ist die CSU.“

Für sein entschiedenes Eintreten für Israel wurde er auch schon auf der Straße beleidigt. „Es gab mehrere Flugblätter, mit denen Jagd auf mich gemacht wurde, der Staatsschutz warnte mich eindringlich“, sagt Kiesewetter. Dass man in Deutschland – dem Land der Täter – für Solidarität mit Israel bedroht wird, bewegt ihn.

Schon als Kind habe ihn die deutsche Schuld gegenüber den Juden stark beschäftigt, erzählt Kiesewetter im Gespräch mit dem Tagesspiegel. In der Schule sollte er im Atlas die Standorte der Konzentrationslager suchen. „Ich konnte Dachau finden, aber nicht glauben, dass direkt neben der Kulturstadt München Menschen ermordet wurden. Ich habe ein anderes Dachau gesucht“, erinnert sich Kiesewetter. Später habe er mit seinen Eltern die Konzentrationslager Bergen-Belsen und Dachau besucht. „Das war ein Schlüsselerlebnis für mich.“

Kiesewetter war im Bundestag viele Jahre Berichterstatter für Israel und Mitglied der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe. Er hat das kleine Land vielfach bereist und seine Schlüsse gezogen. „Für uns galt nach dem Zweiten Weltkrieg: Nie wieder Krieg und nie wieder Nationalsozialismus. Wir haben aber lange übersehen, dass unsere Opfer für sich bilanziert haben, nie wieder wehrlos zu sein“, sagt er.

Hinweis der Redaktion: Wir haben das Zitat eines Gesprächspartners hinsichtlich der Frage, welche Gräueltaten am 7. Oktober begangen wurden, nachträglich angepasst.

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