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Giorgia Meloni hat beste Chancen, Italiens erste Ministerpräsidentin zu werden.

© dpa/Zuma Wire/La Presse/Cecilia Fabiano

Italien vor der Wahl: Premierskandidatin Meloni ist stolz auf ihre faschistische Geschichte

Eine unvorsichtige Interviewantwort von Ex-Premier Berlusconi alarmiert Italien: Was wird aus der antifaschistischen Verfassung – unter einer Postfaschistin?

Der alte Herr redet in letzter Zeit wirr. So behauptete er kürzlich, er habe die Brüsseler Nach-Covid-Milliarden für Italien ins Land geholt haben - was nun tatsächlich nicht seiner bekannten Neigung zur Lüge geschuldet war, sondern vermutlich einer gewissen Verwirrtheit.

Dennoch hat das jüngste Interview von Silvio Berlusconi Italien aufgewühlt: In einem Radio-Interview erklärte der mehrfache Ex-Premier auf eine entsprechende Frage, natürlich werde man im Falle eines Wahlsiegs ein Präsidialsystem einführen, und das werde dann sehr rasch zum Rücktritt des aktuellen Amtsinhabers im Quirinalspalast führen, Staatspräsident Sergio Mattarella.

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Eine Enthüllung der Pläne Giorgia Melonis, wie einige Zeitungen titelten? Dass die mutmaßlich künftige Ministerpräsidentin Meloni, Vorsitzende der postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia, ebenso wie ihre Koalitionspartner Matteo Salvini und eben Berlusconi genau dies wollen, ist schon lange kein Geheimnis mehr: ein Präsidialsystem wie in den USA und Frankreich - und eins, in dem die Rechte den starken Mann stellt.

Auf einmal geht es ums Überleben der Verfassung von 1948

Verräterisch war aber die Reaktion aus dem rechten Lager, deren Exponenten vom Interview Berlusconis sichtlich peinlich berührt waren und wie auf frischer Tat ertappt reagierten: Er wolle "keinen Streit mit Präsident Berlusconi", sagte Ignazio La Russa, neben Meloni Mitgründer der "Fratelli". Aber es sei "verfrüht", das Thema jetzt in die Öffentlichkeit zu bringen, das schade "den gemeinsamen Zielen" der Rechten nach der Wahl am 25. September. Ein Dementi sieht anders aus.

Tatsächlich hat Berlusconi mit seiner Plauderei ein Eigentor geschossen, das geeignet ist, Wähler:innen in der Mitte und links davon zu mobilisieren. Derzeit ist Gegenlager in den Umfragen weit abgeschlagen, der sozialdemokratische PD ebenso wie die "Fünf-Sterne-Bewegung" haben viel Enttäuschung produziert und müssen eine hohe Wahlenthaltung in ihrer Klientel fürchten. Aber ein so weitgehendes Umkrempeln der Nachkriegsverfassung könnte das ändern - und die Reihen der Streithähne in den Parteien schließen helfen.

Nicht nur, weil Italiens Verfassung von 1948, wie der Philosoph Paolo Flores d'Arcais kürzlich schrieb, Italien selbst in dunklen Zeiten immer vor dem Schlimmsten bewahrt habe. Sondern auch wegen des derzeitigen Staatspräsidenten. Der Sizilianer Sergio Mattarella, ein persönlich bescheidener Jurist, von Haus aus Christdemokrat und Bruder eines Mafia-Opfers, hat mit seiner zurückhaltenden Amtsführung seit 2015 viel Sympathie im Land gewonnen.

Gleichzeitig hat er das Land geschickt durch zwei Regierungskrisen manövriert und bereits der ersten Regierung unter den Fünf Sternen 2018 ins Amt geholfen. Anders als in Deutschland haben Italiens Staatspräsidenten in Regierungskrisen eine wichtige Rolle.

Die Verfassung umstülpen und auch noch Mattarella verjagen - Berlusconis Ausfall hat so nun auch in der Führung des linkeren Lagers die Verfassungsfrage zum wichtigen Wahlkampfthema gemacht.

Die Partei der alten Kameraden

Das war es bisher eher in den Medien. Man werde es der Rechten nicht erlauben, Italien zu einem Staat wie Orbáns Ungarn zu machen, erklärte ungewöhnlich kämpferisch PD-Chef Enrico Letta, der bisher vor allem damit beschäftigt war, politisch heikle Allianzen zu schmieden und Wahlkreisabsprachen mit schwierigen Alliierten zu treffen.

Gut möglich, dass nun auch wieder mehr Scheinwerferlicht auf der aktuell stärksten Kraft im Rechtslager und deren Verhältnis zur Demokratie liegt, eben Melonis "Fratelli". Die Parteichefin ist zwar sehr bemüht, ihre "Fratelli" als neue konservative Kraft wie viele andere zu etablieren. Andererseits entstand FdL als Partei der alten Kameraden, die früher in den postfaschistischen Formationen MSI und Alleanza nazionale (AN) organisiert und mit der demokratischen Wende der AN unzufrieden waren.

Meloni bekannte sich, trotz aller Läuterungsschwüre, erst jetzt wieder zu genau dieser Geschichte und Politik. Gefragt, ob sie nicht die faschistische Flamme aus dem Parteisymbol tilgen wolle, beharrte sie, das komme überhaupt nicht infrage: "Ich bin stolz auf die Flamme."

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