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Jens Spahn hat mit seinen Äußerungen über Hartz-IV-Empfänger für Empörung gesorgt.

© Tobias Schwarz/AFP

Armut in Deutschland: Jens Spahn liegt nicht nur falsch

Seine Äußerungen über Hartz IV sind im Ton empörend, könnten aber der Anstoß zu einer dringend notwendigen Debatte sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Nowakowski

Soziale Kälte, dein Name ist Spahn. So von oben herab als Besitzender darüber zu reden, dass Hartz-IV-Bezieher ausreichend versorgt seien, geht gar nicht. Das erinnert an Thilo Sarrazin, der auf akribisch-abfällige Weise vorrechnete, wie mit dem Regelsatz hinzukommen sei. Spahn hat dafür zu Recht aus der eigenen CDU die entsprechenden Kommentare geerntet.

Den Armen noch zu erklären, wie sie sich fühlen sollen, während in Deutschland die Kluft zwischen Reichen und Abgehängten wächst, ist brutaler Neoliberalismus. Ein Zufall, dass vor genau 15 Jahren, am 14. März 2003, Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder die „Agenda 2010“ ankündigte. Vor allem die Hartz-Reformen haben der SPD böse Wahlschlappen beschert, die Partei bis heute zerrissen, Oskar Lafontaine zum Austritt getrieben und die Linkspartei etabliert. Wen wundert’s, dass aus der noch immer davon traumatisierten SPD die härtesten Worte für Spahn kommen.

Der geltende Armutsbegriff ist fragwürdig

Falls dieser eine ernsthafte Debatte über die Lage der Hartz-IV- Bezieher anstoßen wollte, hat er es grundfalsch angestellt. Dabei ist einiges richtig von dem, was er sagt. Tatsächlich sind die Sätze ausreichend, um über die Runden zu kommen. Aber die bloße Feststellung, hier müsse niemand verhungern, kann in einem der reichsten Länder der Erde nur empören. Dabei ist der in Deutschland geltende Armutsbegriff fragwürdig – wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens hat, gilt als arm. Je mehr der Wohlstand zunimmt, je mehr die Wirtschaft boomt und die Arbeitslosigkeit sinkt, umso größer wird absurderweise die Zahl der Armen.

Ein alleinstehender Hartz-IV- Empfänger erhält 416 Euro monatlich plus Wohn- und Heizkosten – das sind in Berlin insgesamt rund 900 Euro. Das ist nicht viel; leben kann man davon schon. Es gibt in Berlin viele ältere Menschen, die von noch niedrigeren Renten leben, weil sie sich nicht trauen oder zu stolz sind, staatliche Hilfe zu suchen. Auch Verkäuferinnen haben teilweise wenig mehr als 1000 Euro netto. Wenn die Linkspartei einfach fordert, die Hartz-IV-Sätze um 30 Prozent zu erhöhen, dürften sich Menschen fragen, warum sie eigentlich arbeiten gehen.

Fördern und Fordern muss tatsächlich gelten - für die Politik

Schröders Agenda, da sind sich die meisten Fachleute einig, hat die Langzeitarbeitslosigkeit stark verringert. Notlagen aber gibt es immer wieder. Auch wenn die Hilfe für zentrale Bedürfnisse in Zeiten persönlicher Not oder längerer Arbeitslosigkeit reicht – Hartz kann nur ein Instrument einer sozialverantwortlich handelnden Gesellschaft sein, aber keine Lösung. Der Bezug darf vor allem kein Dauerzustand sein. Gerade für Familien oder Alleinerziehende mit Kindern ist die Situation belastend, dem Nachwuchs jeden Wunsch abzuschlagen, weil es dafür mit Hartz IV nicht reicht. Es geht um fehlende soziale Teilhabe und geminderte Zukunftschancen von Kindern und Erwachsenen. Das ist ein unerträglicher Zustand. Aber viel zu wenig wird getan, um Betroffene auf dem Weg zu einem Leben mit eigenem Einkommen zu unterstützen. Fördern und fordern, diese so zynisch klingende Parole, muss tatsächlich gelten – für die Politik. Gefordert ist die Regierung, mehr Anreize zu schaffen, damit Hartz-Bezieher möglichst schnell wieder Arbeit finden. Dabei kann Jens Spahn im neuen Kabinett gerne mithelfen.

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