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John Kerry.

© REUTERS

US-Außenminister: John Kerry: Allein unter Falken

Der amerikanische Außenminister John Kerry setzt alles auf Syrien-Deal mit Russland. Es geht um sein politisches Vermächtnis.

Mit einer einzigen spitzen Bemerkung legte Sergei Lawrow am vergangenen Wochenende die Zwänge seines Amtskollegen John Kerry bloß. Fünf Stunden brauche der amerikanische Außenminister, um sich mit der eigenen Regierung in Washington abzustimmen, sagte der russische Chefdiplomat am Rande der Genfer Gespräche über den neuen Waffenstillstand in Syrien. Während Lawrow stapelweise Pizza – von der amerikanischen Delegation – und flaschenweise Wodka – von den Russen – an die wartenden Reporter verteilen ließ, konferierte Kerry über eine gesicherte Videoverbindung mit US-Regierungsvertretern daheim am Potomac.

Kerrys Verhandlungen mit Washington waren fast noch schwieriger als die mit Lawrow. In der US-Regierung gibt es erheblichen Widerstand gegen den Deal. Das Verteidigungsministerium sträubt sich gegen den vorgesehenen Informationsaustausch mit den russischen Militärs: Sollte die Waffenruhe halten, sollen Amerikaner und Russen ab nächste Woche gemeinsam Ziele für Luftangriffe auf islamische Extremisten auswählen. Dazu ist eine bisher noch nie dagewesene Zusammenarbeit der beiden Gegner aus dem Kalten Krieg notwendig. Kein Wunder, dass es im Pentagon Verdruss gibt.

Tausende von Flugkilometern, viele Stunden schwieriger Gespräche und eine Menge politisches Kapital hat Kerry in das Syrien-Abkommen mit Lawrow gesteckt. Alle bisherigen Versuche des 72-jährigen Kerry, das Sterben in Syrien zu beenden, sind gescheitert. Auch jetzt, da alles unter Dach und Fach zu sein scheint und der Waffenstillstand einigermaßen hält, erlebt Kerry das Störfeuer aus den eigenen Reihen. US-Militärs wollen sich nicht festlegen, ob sie tatsächlich die Zusammenarbeit mit den Russen beginnen – obwohl dies fester Bestandteil der Einigung ist.

Auch Kerry selbst bleibt skeptisch. Im kleinen Kreis soll er zu erkennen gegeben haben, dass er nicht an einen Erfolg der Abmachung mit Lawrow glaubt. Doch Kerry wolle kurz vor dem Ende seiner Amtszeit nichts unversucht lassen, berichtete die „New York Times“.

Der ehemalige Vietnam-Soldat, Senator und Präsidentschaftskandidat der Demokraten, der im Jahr 2004 gegen George W. Bush unterlag, ist in seinen drei Jahren im Außenministerium nicht ohne Erfolge geblieben. So spielte er eine wichtige Rolle bei der Einigung zwischen den UN-Großmächten und dem Iran im Streit um das Teheraner Atomprogramm. Doch das Atom-Abkommen ist in den USA sehr umstritten; der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump will die Vereinbarung im Falle eines Wahlerfolges im November sofort aufkündigen.

Fleißig, aber nicht immer erfolgreich

Im Syrien-Krieg geht es für Kerry also auch um sein politisches Vermächtnis. Sollte es ihm und Lawrow gelingen, den Konflikt nach mehr als fünf Jahren und fast einer halben Million Toten einer Lösung näherzubringen, wäre das zudem nicht nur für ihn selbst bedeutsam, sondern auch für die Rolle der USA in Nahost insgesamt. Die „New York Times“ lobte in einem Leitartikel die Hartnäckigkeit und den Fleiß des Ministers, auch wenn sein Einsatz nach Meinung von Kritikern häufig „unerreichbaren Zielen“ gelte

Auch im Fall Syrien ist das so. Gegner der Abmachung von Genf verweisen auf die vielen Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten bei der Umsetzung der Vereinbarung. So sollen die USA dafür sorgen, dass sich gemäßigte Rebellengruppen in Syrien bis kommende Woche von der islamistischen Gruppe Jabhat Fatah al Sham, der umbenannten Al-Qaida-Truppe Nusra-Front, lösen und auf Distanz gehen. Denn die Nusra-Front sowie der "Islamische Staat" (IS) sollen bald zu Zielen der koordinierten amerikanisch-russischen Luftangriffe werden.

Das Problem ist jedoch, dass viele vom Westen oder Regionalmächten wie der Türkei unterstützten Gruppen ihre Zweckbündnisse mit der Nusra-Front nicht aufgeben wollen. Die Forderung nach Rückzug von den Frontpositionen werde als Verrat an „ihrer hart erkämpften Revolution“ verstanden, wandte Charles Lister, Experte am Washingtoner Nahost-Institut, auf Facebook ein.

Eine weitere Schwierigkeit für Kerry liegt darin, dass er sich mit der Vereinbarung von Genf in gewisser Hinsicht in die Hände Russlands begibt. Wenn Russland es unterlässt, wie vereinbart die Luftwaffe seines Partners, des syrischen Präsidenten Baschar al Assad, zum Stillhalten zu bewegen, ist der Deal von Genf geplatzt und Kerry gescheitert. Auch Akteure wie der Iran oder die libanesische Hisbollah, die auf Assads Seite kämpfen, oder die vielen kleinen Rebellengruppen und Kriegsfürsten könnten die Abmachung ins Wanken bringen.

Schwache Position

Kerrys Waffenstillstand schafft zudem ganz eigene Probleme. So ist unklar, was die USA und Russland unternehmen wollen, wenn eine der Kriegsparteien die Abmachung von Genf missachtet. Hier ist Kerry in einer besonders schwachen Position, denn seine eigene Regierung will sich erklärtermaßen nicht noch weiter militärisch in Syrien engagieren. Als Polizist für Syrien fallen die USA aus. Außerdem bleiben USA und Russland bei ihren gegensätzlichen Positionen, was eine Lösung für den Syrien-Konflikt angeht. Kerry strebt einen Neuanfang ohne Assad an, während Moskau den syrischen Präsidenten stützt.

Deshalb überwiegt in den USA der Pessimismus. Es sei bewundernswert, wie sich Kerry mit vollem Einsatz für das Zustandekommen der Waffenruhe stark gemacht habe, kommentierte die „Los Angeles Times“. Doch von langer Dauer werde die Kampfpause wohl nicht sein: „Es gibt zu viele Kriegsparteien, von Baschar al Assads Regierung bis zur Al-Kaida-Vertretung in Syrien, die nicht wollen, dass der Waffenstillstand hält.“

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