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Wahl in Berlin: Kämpft Renate Künast noch?

Sie wollte gewinnen. So war Renate Künast in Berlin angetreten. Nun knickte sie ein - um den Grünen wenigstens das Mitregieren an der Seite der SPD zu sichern.

Von
  • Sabine Beikler
  • Ulrich Zawatka-Gerlach

Für die Berliner kam die Wendung überraschend: Im RBB-Fernsehduell der beiden Spitzenkandidaten zur Berliner Abgeordnetenhauswahl am Donnerstagabend hat Renate Künast ihren Führungsanspruch aufgegeben. Sie gab zu erkennen, dass die Grünen sich nach der Wahl mit der Juniorrolle in einer rot-grünen Regierung zufrieden geben.

Was hat zu Künasts Schwenk geführt?

Die Werte für die Grünen bei Meinungsumfragen sind von 30 Prozent im Herbst 2010 kontinuierlich gesunken. Jetzt liegen die Grünen in Berlin bei rund 20 Prozent. Und es war offensichtlich, dass die Spitzenkandidatin Renate Künast im Direktvergleich bei Weitem nicht mehr an den SPD-Spitzenkandidaten Klaus Wowereit herankam. In dieser prekären Situation hielt die Partei zunächst an ihrer Option fest, dass die CDU als möglicher Koalitionspartner nicht ausgeschlossen sei. Aber das sorgte zunehmend für Unruhe beim starken linken Flügel im 5300 Mitglieder zählenden Landesverband. Vor allem die wichtige Stammwählerschaft der Grünen zeigte sich mehr und mehr irritiert. „Warum sollen wir euch wählen, wenn ihr dann mit der CDU zusammengeht?“, hörten grüne Wahlkämpfer an vielen Ständen. Es drohte die Gefahr, dass enttäuschte Grünen-Wähler zu den Piraten abwandern könnten. Die Befürchtung, dass genau diese Prozentpunkte dann fehlen, um bei der Abgeordnetenhauswahl wenigstens den zweiten Platz hinter der SPD zu erringen, war für Künasts Schwenk ausschlaggebend.

Hat Künast selbst diese strategische Wahlkampfentscheidung getroffen?

Offiziell heißt es, dass das eine von der Parteispitze und dem Beraterteam von Künast gemeinsam gefällte Entscheidung war. „Die Stadt tickt rot-grün“, sagte Fraktionschef Volker Ratzmann, „und das mussten wir jetzt deutlich sagen.“ Dass es die „größeren Schnittmengen“ mit der SPD gibt, sagte auch Künast im Wahlkampf mehrfach. Aber der Druck der Parteibasis auf die Spitze, sich klar und eindeutig zu positionieren, wurde von Tag zu Tag größer. Die Basis grummelte bereits laut, als das Wahlprogramm vorgelegt wurde. Mehr Profil, klare Positionen und eine größere inhaltliche Abgrenzung von den Christdemokraten wurde schon vor Monaten gefordert. Das Bedürfnis zu einer klaren Positionierung der Grünen gegenüber der CDU wurde mit schlechter werdenden Umfragen noch größer. Eines kristallisierte sich auch heraus: Eine grün- schwarze und erst recht eine schwarz- grüne Koalition ließe sich bei den Grünen-Mitgliedern nicht durchsetzen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie SPD und CDU auf Künasts Beinahe-Koalitionsangebot reagieren.

Wie reagiert die SPD?
Der SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller versteht die Äußerungen von Künast noch nicht als Koalitionsangebot. „Die Grünen sind momentan in einer Verfassung, die schwer einzuordnen ist“, sagte er dem Tagesspiegel. Klar sei jetzt nur, dass deren Spitzenkandidatin ihren Anspruch auf das Regierungsamt in Berlin aufgegeben habe. Zu den Optionen der SPD wiederholte Müller die bekannten Positionen: Es gebe große Schnittmengen mit den Grünen und: Ein Bündnis mit der CDU „wird von der SPD nicht angestrebt“. Der SPD-Landeschef rechnet ebenfalls damit, dass die Piraten ins Abgeordnetenhaus einziehen werden. Er hält es auch für möglich, dass die CDU in der Wählergunst vor den Grünen landet. Aber es gebe bei der Meinungsfindung der Wähler „noch viel Bewegung und deshalb lehnen wir uns nicht zurück, sondern kämpfen bis zum 18. September um jede Stimme, um in Berlin eine Regierungsbildung gegen die SPD zu verhindern“, sagte Müller.

Vor allem in den großen SPD-Bezirksverbänden im Westen der Stadt stand eine rot-grüne Koalition schon bei der letzten Wahl 2006 oben auf der Wunschliste. Trotzdem bekam die Linkspartei den Zuschlag, weil Rot-Rot in zweiter Auflage ein harmonisches Weiterregieren versprach. Die politischen Schnittmengen waren sehr groß und die Chemie zwischen den politischen Akteuren stimmte. Gäbe es bei der Wahl 2011 erneut eine Mehrheit für Rot-Rot, würden Regierungschef Klaus Wowereit und SPD-Landeschef Müller gewiss versuchen, dieses Bündnis fortzusetzen. Aber die jüngsten Meinungsumfragen schließen diese Möglichkeit aus.

Was sagt die CDU dazu?
Der CDU-Spitzenkandidat und Landeschef Frank Henkel ging mit Künast hart ins Gericht. Sie habe „das letzte bisschen Glaubwürdigkeit verspielt“ und jetzt kampflos aufgegeben, „um Wowereit anzubetteln, ihr einen Rettungsring zuzuwerfen“. Das sei die endgültige Selbstdemontage und ein Akt der Verzweiflung, sagte Henkel am Freitag in einer Wahlkampfrede. Jetzt sei auch dem Letzten klar, dass es den Grünen nur um Dienstwagen und Posten gehe und nicht um eine andere Politik für Berlin. Die CDU sei nun für die Wähler die einzige bürgerliche Alternative.

Auf der nächsten Seite: Die Rolle der Piratenpartei.

Wie sieht nun Künasts Zukunft bei den Grünen aus?
Die Pragmatiker bei den Grünen im Bund werden Künast nach der Wahl in Berlin nicht als Verliererin empfangen. Im Gegenteil: Als Pendant zum Parteilinken Jürgen Trittin an der Spitze der Bundestagsfraktion werde sie von den Reformern mit viel Applaus zurückerwartet, verlautete aus der Partei. Ihre Chancen auf eine weitergehende Karriere auf Bundesebene habe sie nicht verspielt. Dass Künast in Berlin gegen Wowereit angetreten ist, rechnet man ihr auf Bundesebene schon jetzt hoch an. „Wer wenn nicht sie hätte gegen Wowereit bestehen können“, heißt es. Künast wird sich nach der Wahl voraussichtlich nicht sofort Richtung Bund verabschieden. Neben den beiden Fraktionschefs Volker Ratzmann und Ramona Pop und den Landesvorsitzenden Bettina Jarasch und Daniel Wesener soll sie an den ersten Sondierungsgesprächen teilnehmen. Ob sie dann auch noch die Koalitionsverhandlungen begleiten wird, ist völlig offen und hängt wohl auch vom Wahlergebnis für die Grünen am 18.September ab. Künast ist eine erfahrene Unterhändlerin und könnte eine wichtige Position bei den Gesprächen mit der SPD einnehmen.

Welche Rolle spielt die Piratenpartei?
Der Einzug der Piraten ins Berliner Abgeordnetenhaus hätte den Effekt, dass die Zahl der rechnerisch möglichen Regierungskonstellationen stark schrumpft. Nach den jüngsten Umfragen (ZDF-Politbarometer und Infratest für ARD) hätten nur folgende Koalitionen eine parlamentarische Mehrheit: SPD und Grüne oder SPD und CDU. Ein Bündnis zwischen Union und Grünen, aber auch Rot-Rot fände demnach keine Mehrheit. Rein theoretisch betrachtet wären SPD, Linke und Piraten oder CDU, Grüne und Piraten in der Lage, ein Dreierbündnis einzugehen. Aber das ist politisch ausgeschlossen.

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