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Wolfgang Kubicki, stellvertretender FDP-Parteivorsitzender und Bundestagsvizepräsident.

© dpa/Kay Nietfeld

Gesteuerte Pandemie-Berichterstattung?: Kubicki rügt Merkel-Regierung für Medienrunden

Der FDP-Politiker nennt Journalisten-Gespräche vor Bund-Länder-Konferenzen „rechtlich fragwürdig“ und beruft sich auf ein neues Bundestags-Gutachten.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) wirft der früheren Bundesregierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, die Medienberichterstattung in der Hochphase der Corona-Pandemie durch Presse-Hintergrundgespräche mit ausgewählten Journalisten teilweise gesteuert zu haben. „Ich halte das damalige Vorgehen für rechtlich fragwürdig, zumal niemand nachvollziehen kann, welche Kriterien die Bundesregierung bei der Auswahl ihrer Gesprächspartner angelegt hat“, sagt Kubicki dem Tagesspiegel auf Anfrage.

Bei seiner Einschätzung beruft sich der Politiker auf ein von ihm beauftragtes und am Dienstag veröffentlichtes Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags mit dem Titel „Zur Informations- und Pressearbeit staatlicher Stellen“, mit dem er klären wollte, ob solche Informationstätigkeiten zulässig gewesen seien.

In dem Gutachten heißt es, die Informationsweitergabe staatlicher Stellen sowohl auf eigene Initiative wie auch aufgrund eines journalistischen Auskunftsersuchens dürfe „nicht auf eine Reglementierung oder Steuerung der Medien oder eines Teils von ihnen hinauslaufen“.

Sowohl die Informationsweitergabe auf eigene Initiative als auch aufgrund eines Auskunftsersuchens darf nicht auf eine Reglementierung oder Steuerung der Medien oder eines Teils von ihnen hinauslaufen.

Aus dem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags zur Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung

Dies sei laut Kubicki in diesem Fall aber gegeben, „wenn Corona-Schilderungen in der vertraulichen Journalisten-Runde so eindringlich von Regierungssprecher Steffen Seibert dargestellt wurden, dass Druck auf die Ministerpräsidenten aufgebaut wurde“.

„Auf eine Mauer des Schweigens gestoßen“

Anlass, das Gutachten erstellen zu lassen, war nach Angaben des FDP-Politikers ein Tagesspiegel-Bericht vom vergangenen Juli, wonach die Regierung am Tag vor wichtigen Bund-Länder-Konferenzen zur Diskussion von Corona-Maßnahmen einer „zusammengerufenen Journalistengruppe“ die Sichtweise des Kanzleramts erläutert wurde, dass strenge Lockdown-Maßnahmen nötig seien. Die sei so deutlich erfolgt, „dass es zum Gipfeltag in Zeitungen und Onlineportalen stand – und Druck auf die Bundesländer aufbaute“.

Kubicki betonte, er habe von diesem Tagesspiegel-Bericht erst kürzlich erfahren, sonst hätte er Anfragen an die Regierung dazu schon im vergangenen Jahr gestellt. Allerdings sei er auch damals bei einer vergleichbaren Anfrage zu den wissenschaftlichen Expertenanhörungen vor den Bund-Länder-Konferenzen „auf eine Mauer des Schweigens gestoßen“.

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In einem Gastbeitrag für die „Berliner Zeitung“ hatte der FDP-Vizevorsitzende zuvor gefordert, neben den aus seiner Sicht zu weit gehenden Schutzmaßnahmen auch die Medien-Berichterstattung zu Corona aufzuarbeiten. Viele Journalisten hätten nur eine corona-politische Erzählung verteidigt, statt der Wahrheit auf den Grund zu gehen, hieß es.

Kubicki sieht darin ein „beispielloses Versagen“, das „politisch kultiviert“ wurde: „Die regelmäßigen journalistischen Hintergrundgespräche von Regierungssprecher Steffen Seibert an den Tagen vor den unsäglichen Bund-Länder-Runden waren dazu da, eine öffentliche Stimmung zu erzeugen, die die politische Linie Angela Merkels stützte.“ Journalisten hätten sich damit „zu Verkündern des Regierungsnarrativs“ gemacht.

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Bund-Länder-Treffen gab es in der Hochphase der Pandemie von März 2020 bis Ende 2021

Vertrauliche Hintergrundgespräche mit ausgewählten Journalisten gehören zur üblichen Informationspraxis von Behörden. Das Bundesverwaltungsgericht hat 2019 entschieden, dass Themen und Auswahl von Beteiligten grundsätzlich transparent gemacht werden müssen.

Das Bundeskanzleramt sperrt sich jedoch dagegen, auch unter der neuen Regierung. Einen gerichtlichen Antrag des Tagesspiegel auf Auskunft zu Einzelheiten eines mutmaßlichen Corona-Hintergrundgesprächs wies das Verwaltungsgericht Berlin im Frühjahr 2021 mangels Eilbedarf zurück (Az.: VG 27 L 2/21). Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg bestätigte die Entscheidung (Az.: OVG 6 S 15/21).

Eine weitere Aufklärung der Informationspraxis in der Pandemie dürfte – ohne die seinerzeit beteiligten Journalisten – damit voraussichtlich nicht mehr möglich sein. Eine weitere Klage des Tagesspiegel zur Aufklärung über Hintergrundgespräche des Kanzleramts aus der Merkel-Zeit wies das OVG erst im Juni dieses Jahres mit dem Hinweis ab, dass keine presserechtlichen Auskunftsansprüche mehr bestehen könnten: Seibert und Kanzlerin Merkel seien aus ihren Behörden ausgeschieden, die Informationen seien damit unerreichbar geworden (Az: 6 B 1/21).  

Tatsächlich sind sowohl Merkel wie auch Seibert weiterhin in Behörden der Bundesrepublik Deutschland eingegliedert: Seibert als Botschafter in Israel, der dem Auswärtigen Amt untersteht. Und Merkel als Ex-Kanzlerin, deren Büro nach Rechtsprechung des OVG als eigenständige Bundesbehörde anzusehen ist.

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