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Die Auflösung des Landtags in Nordrhein-Westfalen war ein Überraschungscoup. Die Begründung der Beteiligten ist aber fadenscheinig.

© dapd

Kurze Lesung: Die Auflösung des Landtags in NRW war nicht koscher

Der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat sich aufgelöst. Haushalt gescheitert, Minderheitsregierung am Ende, Wahl vorgezogen. Der Fall ist einmalig - und wirft Fragen auf.

Mit den Umständen der Parlamentsauflösung werden sich zweifellos schon bald juristische und politikwissenschaftliche Seminare beschäftigen, auch für Historiker wird einiges übrig bleiben. Denn der Weg zur Auflösung des Parlaments war nicht koscher, auch wenn die politische Entscheidung des Landtags letztlich klar, einstimmig, verfassungskonform war. Zwangsläufig war sie nicht.

Die wesentliche Rolle spielte ein dreiseitiges Gutachten von Landtagsjuristen. Laut dem Vermerk vom 13. März (dem Tag vor der Selbstauflösung) führt eine Ablehnung von Einzelplänen des Etats in zweiter Lesung zu einem Scheitern des Gesamthaushalts, weil das in der dritten Lesung nicht mehr zu korrigieren sei. Genau darauf hatte die FDP aber gezielt: Ablehnung in zweiter Lesung, nach erhofften Zugeständnissen durch Rot-Grün dann Durchwinken in dritter Lesung. Doch die Juristen kamen zum Schluss: geht nicht. Beschlüsse des Landtags seien unverrückbar. Was in zweiter Lesung sozusagen von Bord geht, kann nie mehr zurückgeholt werden. In der zweiten Lesung dürften keine Fakten geschaffen werden. Sonst, so der Tenor, ist hier Endstation.

Das klingt schon etwas merkwürdig. Zudem passt dieser Schluss (verfasst von einem der SPD angehörenden Referatsleiter) nicht so recht zu einem Vermerk eben dieses Referatsleiters („nur für den Dienstgebrauch“) vom 15. August, der auch als Grundlage für die aktuelle Ausarbeitung diente. Damals lautete das Ergebnis der Prüfung, dass nach der Geschäftsordnung des Landtags eine dritte Lesung beim Haushaltsgesetz zwingend ist (im Gegensatz zu „normalen“ Gesetzen, bei denen nur zwei Lesungen vorgesehen sind). Und das selbst dann, wenn der Etat in zweiter Lesung abgelehnt wurde. Denn erst in der dritten Lesung findet die „Schlussabstimmung“ statt.

Kann dann aber ein Haushalt schon in zweiter Lesung endgültig scheitern? Um das plausibel zu machen, wurde ein Vermerk des zuständigen Abteilungsleiters (CDU-Mitglied) vom 19. Oktober herangezogen, wonach in der nötigen „Gesamtabstimmung“ über ein Gesetz, wenn dessen Teile schon einzeln abgestimmt wurden, nur jene Teile noch anstehen, die nicht abgelehnt sind. Bei der Ablehnung aller Teile stünde dann sozusagen nur noch ein leerer Torso zur Abstimmung, „inhaltlich ohne weitergehenden Aussagewert“. Tot ist tot.

Freilich bezog sich dieser Vermerk vom Oktober gar nicht auf den Haushalt und dessen besonderes Verfahren, sondern auf ein „normales“ Gesetz, also allein auf die zweite Lesung. Damit stellt sich aber die Frage: Kann man das Prozedere der zweiten und endgültigen Lesung bei einem normalen Gesetz zum Maßstab machen für das Etatgesetz, bei dem eine dritte Lesung zwingend ist? Und die ja dann einen Sinn haben muss?

Solche Fragen haben aber nicht mehr interessiert. Es ging wohl einfach nur darum, eine juristische Argumentation herumreichen zu können, die den Interessen derjenigen entgegenkam, die den Landtag unbedingt auflösen wollten. Und es musste schnell gehen – sonst funktioniert ein Überraschungscoup ja nicht.

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