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Finanzminister Christian Lindner bei der Vorstellung des Regierungsentwurfs für den Bundeshaushalt 2023.

© Foto: dpa/Kay Nietfeld

Lindners Pläne für den Euro: Mehr Disziplin wagen – auch bei sich selbst?

Mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche geht der Finanzminister in die Verhandlungen über die Euro-Defizitregeln. Erbitterter Streit unter den Mitgliedsstaaten droht.

Erst in der vergangenen Woche hat Christian Lindner noch einmal klargemacht, dass ihm das Miese-Machen in der EU vielerorts zu weit geht. „Das hohe Schuldenniveau in einigen Mitgliedstaaten muss gesenkt werden“, forderte der Finanzminister und FDP-Vorsitzende in einem Grußwort bei einer Tagung der Friedrich-Naumann-Stiftung in Berlin.

Linder nannte zwar keine Namen. Aber auch so war klar, wen er meinte. Da sind zum einen notorische EU-Sorgenkinder wie Italien und Griechenland. Aber auch Frankreich hat inzwischen eine schwindelerregende Gesamtverschuldung von 115 Prozent der Wirtschaftsleistung erreicht.

Die Senkung derart hoher Schuldenstände gehört zu den liberalen Kernthemen. Der FDP-Chef forderte in seinem Grußwort daher auch, dass man die EU-Mitgliedstaaten auf „verpflichtende Pfade zur Schuldenreduzierung“ bringen müsse.

Für Lindner steht dabei einiges auf dem Spiel. Vor allem die Älteren unter den FDP-Stammwählern haben nicht vergessen, wie Griechenland im vergangenen Jahrzehnt die Euro-Zone an den Rand des Zusammenbruchs brachte. Sie dürften genau verfolgen, ob sich der Finanzminister demnächst in Europa mit seinem Anspruch durchsetzt, dem Brüsseler Regelwerk zur Durchsetzung der Euro-Defizitziele mehr Biss zu verleihen.

Für Lindner geht es um viel

Lindner käme ein solcher Erfolg auf europäischer Ebene sehr gelegen – schon allein wegen der Schärfung des parteipolitischen Profils, das nach dem Debakel bei der Landtagswahl in Niedersachsen dringend nötig ist.

Auch auf der Ebene der EU geht es bei der Debatte ums Schuldenmachen um viel. Letztlich wird die Grundsatzfrage abgehandelt, ob sich die Gemeinschaft angesichts der hohen Gas- und Strompreise und der weiter bestehenden Lücke bei den erneuerbaren Energien weiter in die Krise hineinsparen oder den Mut zu mehr Investitionen aufbringen soll.

Zu denen, die sowohl die gegenwärtige innenpolitische Zwangslage der Liberalen als auch die europäische Ebene kennen, gehört Nicola Beer. Die stellvertretende FDP-Vorsitzende ist Vizepräsidentin des EU-Parlaments. Deshalb weiß sie, wie man in Ländern wie Griechenland oder Italien über Lindners Vorstellungen einer strikteren Durchsetzung der Sparziele denkt.

Beer und ihre liberalen Mitstreiter in Brüssel warten bereits gespannt auf den Auftritt von EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis und Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni, die Ende Oktober oder Anfang November einen ersten Vorschlag der Kommission für die fällige Reform des Euro-Stabilitätspakts vorlegen wollen. Der Pakt legt fest, welche Obergrenzen bei der Verschuldung die 19 Euro-Staaten innerhalb der EU anpeilen müssen.

Auch die stellvertretende FDP-Vorsitzende Nicola Beer will den EU-Ländern mehr Freiraum geben, wie sie die Defizitziele erreichen.

© Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Wenn Nicola Beer erklärt, wie die EU-Kommission den Pakt verändern will, dann beschreibt ihre Hand eine Schlangenlinie. Die gewundene Bewegung soll verdeutlichen, dass es künftig mehr Flexibilität für Athen, Rom oder Paris geben soll. In einem Punkt ändert sich aber am bisherigen Stabilitäts- und Wachstumspakt nichts: Es bleibt letztlich dabei, dass übermäßige Schulden abgetragen werden müssen.

Das Novum an den Kommissionsplänen besteht darin, dass die Brüsseler Behörde künftig für jedes Land maßgeschneiderte Lösungen anbieten will. Zudem soll die bisherige starre Regelung fallen, der zufolge Länder ihre übermäßigen Gesamtverschuldung innerhalb von 20 Jahren auf die eigentlich vorgeschriebene Marke von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung bringen müssen. Im Brüsseler Jargon heißt dieser Sparplan „Ein-Zwanzigstel-Regel“.

Erbitterte Diskussionen unter den Mitgliedsstaaten

Für die Reform der europäischen Defizitregeln, die wegen der Pandemie und des Ukraine-Krieges bis Ende 2023 ausgesetzt sind, hat sich die EU-Kommission ein ehrgeiziges Ziel gesetzt.

Nach dem ersten Aufschlag von Dombrovskis und Gentiloni will die Brüsseler Behörde anschließend im ersten Quartal 2023 einen Gesetzgebungsvorschlag vorlegen, über den die Euro-Staaten dann beraten können. Aber der Zeitplan gilt als unsicher, weil sich schon jetzt erbitterte Diskussionen unter den Mitgliedstaaten abzeichnen.

Vor allem die wohl nächste italienische Ministerpräsidentin, Giorgia Meloni, bereitet den Planern in Brüssel Sorgen. Die Wahlsiegerin hat bereits angekündigt, dass sie den Stabilitätspakt grundlegend ändern will. Wenn es nach der rechtsradikalen Politikerin geht, dann sollen beispielsweise Staatshilfen, die gegen die hohen Energiepreise eingesetzt werden, bei der Berechnung des Defizits ausgeklammert werden.

Giorgia Meloni, wohl die künftige Regierungschefin Italiens

© Foto: Reuters/Guglielmo Mangiapane

Lindner hat für den Fall, dass es zum großen Streit über die Defizitregeln kommen sollte, bereits vorgebaut. Im Kreis seiner europäischen Amtskollegen will er nicht als haushaltspolitischer Falke dastehen. Deshalb hat er schon akzeptiert, dass die „Ein-Zwanzigstel-Regel“ angesichts der milliardenschweren Schulden, die während der Pandemie aufgehäuft wurden, in der Praxis nicht mehr durchzusetzen ist.

Gleichzeitig wollen die Liberalen aber ihr Image als Wächter der europäischen Haushaltsdisziplin nicht aufgeben. „Gerade unter dem Eindruck der Krise darf Geld jetzt nicht in Krisen-Strohfeuern verschwinden, sondern muss strukturell eingesetzt werden, zum Beispiel in Bürokratieabbau, in neue Beschaffungsstrukturen, in zukunftsträchtige Infrastruktur, um die notwendigen Abwehrkräfte für die eigene Gesellschaft und für Europa maximal zu stärken“, fordert Nicola Beer.

Auch in Zeiten der Krise sei das Aufhäufen von immer mehr Schulden „kein finanzpolitischer Kavaliersakt“. Deshalb sei eine „geschärfte Umsetzung“ des Stabilitätspaktes nötig.

Fachleute finden die Regeln des Pakts zu verworren

Was das im Detail bedeutet, hat Lindner im August mit seinen eigenen Ideen zur Erneuerung der Stabilitätspaktes dargelegt. Alle Fachleute sind sich einig, dass Pakt, der in seiner bislang 25-jährigen Geschichte immer verworrener geworden ist, runderneuert werden muss.

Die beiden Grundpfeiler des Paktes – die Maastricht-Kriterien mit einer Obergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes bei der Neuverschuldung und die besagten 60 Prozent bei der Gesamtverschuldung – sollen aber nach den Vorstellungen Lindners erhalten bleiben.

Dem Finanzminister schwebt vor, bei der Durchsetzung der so genannten mittelfristigen Haushaltsziele die Daumenschrauben anzuziehen. Sprich: Mitgliedsstaaten müssen künftig verpflichtend dafür sorgen, dass die jährlichen Defizitziele unter Herausrechnung konjunktureller Einflüsse auch tatsächlich eingehalten werden. In der Vergangenheit waren diese mittelfristigen Etatziele in der Euro-Zone häufig nach dem Motto behandelt worden: Kann man machen, muss man aber nicht.

Gegen den Strich geht den Planern im Berliner Finanzministerium auch die bisherige Praxis, dass unter den EU-Ländern manche Staaten offenbar eine besondere Nachsicht in Brüssel genießen. So verzichtete der frühere Kommissionschef Jean-Claude Juncker auf die Durchsetzung des „Stabipakts“ gegenüber der Regierung in Paris, „weil es Frankreich ist“.

Kanzler Scholz, Wirtschaftsminister Habeck und Finanzminister Lindner (von links nach rechts) mit dem Bericht der Expertenkommission zur Umsetzung der Gaspreisbremse. Auf EU-Ebene ist der „Doppel-Wumms“ umstritten.

© Foto: dpa/Kay Nietfeld

Um sich innenpolitisch abzusichern, hat sich Lindner für seine Reformpläne in Berlin der Unterstützung durch die beiden anderen Ampel-Partner von SPD und Grünen versichert. Auf europäischer Ebene dürfte er trotzdem kein leichtes Spiel haben. Denn in Paris, Rom und Athen hat man genau registriert, dass sich die Bundesregierung im zurückliegenden Jahr beim Sparen alles andere als mustergültig verhalten hat.

An zusätzlichen Sonderausgaben ist in Deutschland einiges zusammengekommen: 60 Milliarden Euro für den Klimaschutz, eine Neuverschuldung von 140 Milliarden Euro, ein Sondervermögen von 100 Milliarden für die Bundeswehr und aktuell die Wiederbelebung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) aus der ersten Phase der Corona-Pandemie mit 200 Milliarden für den „Doppel-Wumms“.

Es ist eben wie immer in Europa. Als größte Wirtschaftsmacht steht Deutschland besonders im Fokus. Als der „Doppel-Wumms“ publik wurde, war der Aufschrei in Ländern wie Italien groß. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron wirft der Bundesregierung vor, den Wettbewerb zu verzerren. Schulmeister Europas – so könnte demnächst der Vorwurf lauten, falls Lindner mit seinen Forderungen zum verbindlichen Einhalten der mittelfristigen Haushaltsziele allzu forsch auftritt.

Es ist immer so in der EU, dass sich nicht ein Land mit seinen Vorstellungen 1:1 durchsetzt.

Sven-Christian Kindler, Grünen-Haushaltspolitiker

Dabei sehen in Berlin auch Experten wie der Grünen-Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler einen dringenden Bedarf zur Reform des Stabilitätspaktes. „Das Regelwerk ist viel zu kompliziert und muss einfacher, verbindlicher und transparenter werden“, sagt er. Für den bevorstehenden Brüsseler Verhandlungen mit Italien, Frankreich und Co. sagt Kindler voraus: „Es ist immer so in der EU, dass sich nicht ein Land mit seinen Vorstellungen 1:1 durchsetzt, sondern am Ende gibt es einen gemeinsamen Kompromiss.“

Nach der Einschätzung des Grünen-Politikers hat die EU zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts in der Griechenland-Krise den Fehler gemacht, mit einer „dogmatischen Sparpolitik“ die Rezession zu verschärfen. „Diesen Fehler hat Europa in der Corona-Krise zum Glück nicht wiederholt.“ Diese Linie müsse die Gemeinschaft auch in der gegenwärtigen Energie- und Klimakrise beibehalten: „Europa muss jetzt in die Transformation investieren und wird sich nicht in die Krise sparen“, so Kindler. Gefordert sei „eine investitionsfreundliche Reform des Stabilitätspakts“.

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