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Die von der Bundeswehr herausgegebene Aufnahme zeigt einen Kampfjet Tornado IDS ASSTA 3.0, bestückt mit dem Lenkflugkörper Taurus, der im Rahmen der Übung «Two Oceans» über See fliegt.

© dpa/Andrea Bienert

Marschflugkörper für die Ukraine?: Erster SPD-Politiker fordert Taurus-Lieferung

Die Ukraine hat vor mehr als zwei Monaten um deutsche Taurus-Lenkwaffen gebeten. Die Regierung ist zurückhaltend. Jetzt fordert der erste Politiker aus der Kanzlerpartei die Lieferung.

Die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern galt in der Ampel bisher als Tabu. Jetzt fordert der erste Politiker aus der SPD sie: Der für den Verteidigungsetat zuständige SPD-Haushaltspolitiker Andreas Schwarz sagte dem „Spiegel“, man dürfe jetzt keine Zeit verlieren. „Wie schon in der Panzerfrage lehnen wir jetzt die Abgabe von wichtigem Gerät ab, das am Ende wohl doch geliefert werden wird“, warnte er.

Die Gegenoffensive der Ukraine stocke, eine nennenswerte Luftwaffe zur Unterstützung habe das Land nicht. „Da bleiben nur Lenkwaffen wie Taurus-Marschflugkörper, mit denen die ukrainische Armee die von den Russen angelegten Minenfelder überwinden und Territorium zurückerobern könnte.“

In der zurückliegenden Woche äußerte sich Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) erneut zurückhaltend zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern, die „nicht unsere vorrangigste Priorität“ darstellten und auch von den Amerikanern nicht geliefert würden: „Unsere haben eine besondere Reichweite."

Ich schließe nicht aus, dass wir im Verbund mit den Amerikanern auch zusätzliche andere Systeme wie Taurus liefern werden.

Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion

Das war kein Nein auf alle Zeit, doch gibt es die Sorge, die Ukraine könnte mit deutschen Waffen nicht nur russische Stellungen auf besetztem ukrainischem Gebiet angreifen, sondern auch Ziele weit auf russischem Territorium.

Grüne und FDP sind schon länger für eine Taurus-Lieferung offen. „Wenn es technisch möglich ist, sollte es politisch möglich gemacht werden“, sagt die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Sara Nanni, die damit darauf anspielt, dass Taurus für Tornados oder Eurofighter konzipiert sind und nicht für F16-Kampfjets, auf die die Ukraine hofft. „Es gibt keinen wesentlichen Unterschied zu den Systemen, die andere liefern."

Kein Verständnis mehr bringt Kiews Berliner Botschafter Oleksii Makeiev dafür auf. „Die westliche Angst der Eskalation friert die Situation teilweise ein – zugunsten Russlands“, schrieb er am Freitag auf Twitter. Für seine Position wächst inzwischen auch im Bundestag die Unterstützung.

„Der Lenkflugkörper Taurus KEPD-350“, verkündet die Bundeswehr auf ihrer Internetseite, „knackt auch Bunker“. Das zugehörige Video zeigt, wie die High-Tech-Waffe am Rumpf eines Kampfjets der Luftwaffe befestigt ist, dann abgeschossen wird, elektronisch sein Ziel erfasst und zerstört.

Dazu heißt es: „Er hat eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern. Um ihn abzufeuern, müssen Piloten deshalb nicht in den feindlichen Luftraum eindringen.“

500
Kilometer Reichweite hat der Taurus-Lenkflugkörper der Bundeswehr maximal.

Damit ist fast schon alles darüber gesagt, warum die Ukraine gerne deutsche Marschflugkörper zur Unterstützung ihrer Gegenoffensive hätte. Im Mai ging der offizielle Antrag in Berlin ein – seither wird das Anliegen immer wieder vorgetragen, weil Frankreich und Großbritannien bereits den vergleichbaren Typ „Storm Shadow“ liefern.

Die Ampel-Fraktionen überlegen

In den Regierungsfraktionen von SPD, Grünen und FDP werden nun Überlegungen angestellt, unter welchen Umständen die Skepsis von Kanzleramt und Regierung überwunden werden könnte.

„Die Geodaten der Taurus-Marschflugkörper lassen sich so programmieren, dass sie nur in einem bestimmten Gebiet eingesetzt werden können“, erklärt etwa der FDP-Verteidigungsexperte Marcus Faber, der stets für eine stärkere Unterstützung der Ukraine eingetreten ist: „Eine derart eingeschränkte Lieferung ist nicht nötig, aber möglich, wenn dadurch die Bedenken überwunden werden.“

Dabei halte sich Kiew „bisher beeindruckend diszipliniert“ an die Vorgabe, westliche Waffen nur auf eigenem Staatsgebiet einzusetzen, wie Faber meint: „Das gilt auch für den Typ Storm Shadow.“

Diese Einschätzung teilt auch Pistorius‘ Parteifreund Nils Schmid, der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion. „Die Sorge, dass die Taurus auch gegen Ziele auf russischem Gebiet eingesetzt werden würden, habe ich nicht“, sagte er dem Tagesspiegel: „Wir haben uns bisher stets auf entsprechende Absprachen mit Kiew verlassen können.“

Er verteidigt zwar die Linie von Pistorius und seines sozialdemokratischen Kanzlers, nichts ohne die USA zu unternehmen und sich aktuell vor allem um die Lieferung der bereits zugesagten Waffen speziell für die Luftabwehr zu kümmern. Eine rote Linie aber ist das keineswegs.

„Ich schließe nicht aus, dass wir im Verbund mit den Amerikanern auch zusätzliche andere Systeme wie Taurus liefern werden“, so Schmid, der bereits eine Bedingung formuliert.

„Vorher muss sichergestellt werden, dass die Ukrainer selbst die Zielprogrammierung übernehmen können und nicht Bundeswehrsoldaten das tun – das würde uns gefährlich nahe an eine direkte Kriegsbeteiligung bringen.“

Der Liberale Faber findet es „gut“, dass weder sein sozialdemokratischer Parlamentskollege noch der Verteidigungsminister ein kategorisches Nein von sich geben: „Für mich hört sich das so an, als ob auch manche seiner militärischen Berater das für den nächsten logischen Schritt halten - in den Koalitionsfraktionen gibt es viel Unterstützung dafür.”

Die Bundeswehr verfügt über rund 600 Taurus-Lenkflugkörper. Angaben dazu, wie viele davon sofort gefechtsbereit wären oder gar an die Ukraine abgegeben werden könnten, gibt es nicht. „Zu der Einsatzbereitschaft einzelner Waffensysteme“, so Regierungssprecher Steffen Hebestreit Anfang Juli in der Bundespressekonferenz, „äußern wir uns hier aus guten Gründen nie.“

Nach Fabers sind inzwischen nur noch 150 der ursprünglich 600 Taurus-Marschflugkörper der Luftwaffe einsatzbereit, wie die Agentur AFP berichtete. Er geht demnach aber davon aus, dass die anderen 450 durch den Hersteller für den Export in die Ukraine wieder funktionsfähig gemacht werden könnten.

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