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Zwei Mitglieder der ukrainischen Verteidigungskräfte stehen neben einem Schild mit der Aufschrift „Region Cherson“ am Stadtrand.

© Foto: dpa/ Bernat Armangue

Mögliche Kriegsverbrechen in Luhansk: Videos zeigen erschossene russische Soldaten – das ist darüber bekannt

Verschiedene Videos zeigen eine blutige Szene bei der Rückeroberung eines Ortes in Luhansk durch die Ukraine. Kiew spricht von Verteidigung gegen eine vorgetäuschte Kapitulation.

Seit Tagen kursieren in den sozialen Netzwerken Videos aus dem russischen Invasionskrieg, die Spekulationen über ukrainische sowie russische Kriegsverbrechen befeuern. Es geht um mehrere erschossene russische Soldaten. Die US-amerikanische Zeitung „New York Times“ prüfte eine Reihe an Material auf Echtheit und veröffentlichte nun eine Analyse.

Demnach spielt die zu sehende Szene an einem Bauernhaus in Makijiwka in der Region Luhansk im Osten der Ukraine während dessen Rückeroberung durch die Ukraine. Für die Verifizierung glich die „Times“ die kursierenden Smartphone-Videos eines ukrainischen Soldaten mit Satellitenbildern sowie Drohnenvideos von der Rückeroberung der Region ab.

Ursprünglich wurden die Videos in den sozialen Netzwerken von der Ukraine selbst verbreitet, um die militärischen Leistungen ihrer Truppen zu präsentieren und die Rückeroberung der von Russland besetzen Gebiete zu feiern.

Auch die Analyse der „New York Times“ beschreibt das Video eines ukrainischen Soldaten zunächst als Festnahme ohne ungewöhnliche Zwischenfälle. Vier bewaffnete ukrainische Soldaten nähern sich dem Nebengebäude eines Bauernhauses, in dem sich offenbar russische Soldaten versteckt halten.

Die ukrainische Einheit geht auf das Gebäude zu und drängt die russischen Soldaten mit erhobenen Händen hinaus. Auf dem Video sind Schüsse zu hören, es bleibt aber unklar, wer sie in welche Richtung abgefeuert hat.

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In einer nächsten Szene scheinen die Russen sich ergeben zu haben, es liegen sechs der Soldaten vor dem Gebäude, bei vier von ihnen ist auf dem Video keine Regung zu sehen.

Genaue Abfolge unklar

Doch die Szene eskaliert, als ein weiterer russischer Soldat aus dem Gebäude kommt und beginnt, auf einen ukrainischen Soldaten zu schießen. Das Smartphone-Video bricht ab, doch eine Satellitenaufnahme zeigt den Hof kurz nach der Szene als blutigen Tatort.

Auf dem Satellitenbild, so die Analyse der „New York Times“, befindet sich der russische Schütze am gleichen Standpunkt wie zuvor, offenbar erschossen. Auch die Soldaten, die sich zuvor ergeben hatten, scheinen nun tot.

Ein UN-Sprecher erklärte auf Anfrage von AFP, die Vereinten Nationen haben „Kenntnis von den Videos“ und „untersuche sie“. Die UN-Mission zur Überwachung der Menschenrechte in der Ukraine hatte vor Kurzem mitgeteilt, ihr lägen glaubwürdige Berichte über Folter und Misshandlungen von Kriegsgefangenen auf beiden Seiten vor.

Beide Parteien könnten wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden

Da die russischen Soldaten sich offensichtlich ergeben hatten und unbewaffnet waren, könnte von ukrainischer Seite eine Verletzung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes vorliegen. Demnach gilt das Verletzen oder Töten eines Unbewaffneten als Verstoß gegen das Internationale Kriegsrecht. Die Ukraine hat dieses Statut bis heute nicht ratifiziert, sodass das Statut für sie allerdings nicht bindend ist.

Auch der Schuss des letzten russischen Soldaten könnte aber unter der Genfer Konvention als Kriegsverbrechen gelten. Demnach wird auch das Vortäuschen einer Kapitulation geahndet.

Menschenrechtsexpert:innen bezeichnen die Szene insgesamt als schwierigen Grenzfall. Ob und von wem Kriegsverbrechen begangen wurden oder nicht, hinge stark vom Zeitpunkt der Tötung der russischen Soldaten ab.

Das Videomaterial sorgt nun vor allem in Russland, wo man sich in den Ansichten über die Ukraine bestätigt fühlt, für Wut. Der staatliche Fernsehsender Rossiya-1 etwa sprach von „organisiertem Schweigen“ des Westens bezüglich ukrainischer Kriegsverbrechen.

Ähnlicher Fall aus Butscha bekannt

Von russischer Seite sind bereits eine Vielzahl an Kriegsverbrechen bekannt. Erst in der vergangenen Woche waren nach der Befreiung der Region Cherson erneut Hunderte Fälle von Folter an Kriegsgefangenen bekannt geworden.

Von ukrainischer Seite war ein ähnlicher Fall wie die Szene in Luhansk bereits im April aus Butscha öffentlich geworden. Dort hatten ukrainische Soldaten die Tötung eines russischen Soldaten nach dem Abzug aus der Region gefilmt.

Kiew hat die Vorwürfe zu den Videos indes zurückgewiesen. Die ukrainischen Truppen hätten sich vielmehr gegen russische Soldaten zur Wehr gesetzt, die ihre Kapitulation nur vorgetäuscht hätten, erklärte der Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Dmytro Lubinez, am Sonntag auf Telegram.

Angesichts der kursierenden Videos hat Russland angekündigt, das Material an verschiedenste internationale Organisationen zu senden, um Kriegsverbrechen der Ukrainer zu beweisen. Solche Untersuchungen dürften allerdings eine Weile dauern, da die Videobeweise etwa für den Internationalen Strafgerichtshof nicht ausreichen. Für eine vollständige Aufarbeitung wäre eine Untersuchung vor Ort sowie eine Obduktion der Leichen nötig. (mit AFP)

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