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Ein Polizist in zivil geht auf einen Reuters-Fotografen zu, der Bilder vom US-Konsulat in Chengdu macht.

© REUTERS/Thomas Peter

Monatelange Gängelung: Was wirklich hinter der Schließung des US-Generalkonsulats in Chengdu steckt

Das US-Generalkonsulat in Chengdu war den Machthabern in Peking schon lange ein Dorn im Auge – als ein Außenposten westlicher Werte. Eine Analyse.

Am vergangenen Freitag verkündete die chinesische Regierung, dass im Gegenzug zur Schließung des chinesischen Generalkonsulats in der texanischen Stadt Houston die amerikanische Vertretung in Chengdu schließen muss. Räumungsfrist: 72 Stunden.

Am Montag wurde das Konsulatsgebäude von chinesischen Sicherheitskräften abgeriegelt. Die US-Flagge war bereits in den frühen Morgenstunden eingeholt worden.

In der „Washington Post“ stand, diese Vergeltung sei „measured“ („maßvoll“). Im ZDF hieß es, Pekings Reaktion sei „verhalten“. Wirklich?

Das US-Generalkonsulat in Chengdu ist der KP seit langem ein Dorn im Auge. Mit dessen Schließung hat Peking sich die vielleicht nicht wichtigste oder wirtschaftlich bedeutsamste ausländische Vertretung vom Hals geschafft, aber mit Sicherheit die aus seiner Sicht widerborstigste und störendste. Hinter der angeordneten Maßnahme steckt weit mehr als das übliche diplomatische Wie-du-mir-so-ich-dir.

Zu einem beispiellosen Eklat kam es, wie Beobachter berichten, vor genau einem Jahr. Das US-Generalkonsulat hatte im Juli 2019 offiziell zum amerikanischen Nationalfeiertag eingeladen. Alle Texte - von der Einladung selbst über die Menü-Hinweise am Büfett bis zur Übersetzung der Rede des Generalkonsuls – waren in drei Sprachen verfasst worden: Chinesisch, Englisch, Tibetisch.

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Die Begründung: Das US-Generalkonsulat ist, anders als etwa die deutsche oder französische Vertretung, auch für die autonome Region Tibet zuständig. Zahlenmäßig leben mehr ethnische Tibeter in der Provinz Sichuan, deren Hauptstadt Chengdu ist, als in Tibet selbst.

Das war einmalig in den Annalen der Diplomatie

Chinas Führung verlangte einen Verzicht auf jede Verwendung des Tibetischen. Die USA weigerten sich. Daraufhin boykottierte China den Empfang. Kein einziger Vertreter von Provinzregierung, Partei oder Stadt erschien.

Die „normale“ Sanktion für - aus chinesischer Sicht - unbotmäßiges Verhalten hätte darin bestanden, die Amerikaner durch „niedrigrangige Wahrnehmung“ zu bestrafen. Statt Parteisekretär oder Gouverneur hätte zum Beispiel ein stellvertretender Abteilungsleiter aus dem „Amt für Internationale Beziehungen“ entsandt werden können.

Die Komplettabsage erreichte den US-Generalkonsul zehn Minuten nach Beginn des Empfangs. Das war wohl einmalig in den Annalen der Diplomatie: Es ist weltweit kein anderer Fall bekannt, in dem ein Gastland den Nationalfeiertag einer diplomatischen Mission derart brachial abstraft.

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Obwohl dies natürlich das Thema jenes Abends war, tat es der Stimmung unter den Hunderten von Gästen aus Wirtschaft und Kultur spätestens dann keinen Abbruch mehr, als US-Generalkonsul Jim Mullinax auf die Bühne ging und „Route Sixty-Six“ sang. Asien-Spezialist Mullinax gilt als besonnener Mann, er ist kein Hetzer oder Hardliner.  

Ein engerer Kreis von „Gleichgesinnten“

In Menschenrechtsfragen arbeiteten in Chengdu die USA, Deutschland, Australien und Neuseeland besonders eng zusammen. Kanada und Großbritannien zählten ebenfalls zum engeren Kreis der „Gleichgesinnten“, der „like-minded“, die sich immer wieder gefährdeter Aktivisten annahmen.

Abmontiert. Peking sagt, die USA hätten in Chengdu die "nationalen Sicherheitsinteressen verletzt".

© Thomas Peter, Reuters

Die diplomatischen Vertretungen in Chengdu sind zuständig für den gesamten Südwesten des Landes. Die Spannungen rund um das amerikanische Generalkonsulat in der 23-Millionen-Stadt haben indes eine lange Tradition. Das schließt dramatische Verläufe durchaus ein.

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Ein Vorfall schaffte es im Frühsommer 2012 sogar bis auf die Titelseite von „Newsweek“. In Präsident Xi Jinpings entscheidendem Machtkampf gegen Bo Xilai - damals Parteichef in Chongqing, einer 36-Millionen-Metropole im Zuständigkeitsbereich der Vertretungen in Chengdu - hatte sich Bos Polizeichef Wang Lijun in das US-Generalkonsulat geflüchtet. Er bat um Asyl in den USA und gab an, um sein Leben zu fürchten, da er zu viel über den der Frau von Bo Xilai zugeschriebenen Mord an einem britischen Geschäftsmann wisse.

Selbst eine Baseball-Vorführung wurde untersagt

Gegen die Zusicherung, nicht zum Tode verurteilt zu werden, ergab sich Wang später den chinesischen Behörden. Seitdem standen vor dem US-Generalkonsulat bewaffnete Militärpolizisten und kontrollierten auf dem Bürgersteig jeden, der in die Mission wollte. Vor keiner anderen diplomatischen Vertretung in Chengdu gibt es eine vergleichbare Einschüchterung.

Den Alltag prägender als die Staatsaffäre um Bo Xilai sind allerdings die Hürden, die dem Team von Jim Mullinax in jüngster Zeit in den Weg gestellt worden waren. Auftritte an Universitäten wurden von Sichuans Kommunisten seit langem nicht mehr genehmigt. Doch selbst eine gänzlich unpolitische Baseball-Vorführung, die Mullinax im Rahmen seiner amerikanischen Kulturwochen veranstalten wollte, wurde kurzfristig „aus Sicherheitsgründen“ verboten, wie die Standard-Begründung lautet, wenn der KP irgendetwas nicht passt.

Zermürbender Alltag des US-Diplomaten

Das sind nur einige der Schikanen, von denen Beobachter berichten, wenn sie den zermürbenden Alltag des US-Generalkonsulats in Chengdu schildern. Auf die Frage, warum Chengdu und nicht etwa das derzeit Corona-bedingt verwaiste US-Konsulat in Wuhan geschlossen werde, sagte Chinas Außenministeriums-Sprecher, in Chengdu hätten einige Amerikaner sich in innere Angelegenheiten Chinas eingemischt und „die nationalen Sicherheitsinteressen verletzt“.

Das ist diplomatisch codierte Sprache. Im Klartext: Die US-Diplomaten hätten sich zu viel um Menschenrechte und Tibet gekümmert.

Chinas Vertretung in Texas wurde nicht wegen Spionage geschlossen. Sondern wegen zu viel und zu offenkundiger Spionage. Mit dem amerikanischen Generalkonsulat in Chengdu verliert der Westen einen entscheidenden Außenposten im Einsatz für seine Werte - einem Einsatz, der offen und eben nicht klandestin war. Eben das machte ihn für Chinas KP so gefährlich.

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