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Wladimir Putin bei seinem Besuch des russisch-weißrussisches Manöver Zapad 2021. (Archivbild)

© Foto: Imago/ Sergei Savostyanov/TASS

Moskaus Geheimdienst-Offensive: Wie Putins Spione in Deutschland und anderen Ländern agieren

Russische Nachrichtendienste führen eine regelrechte Offensive in Europa, mit Spionage in Politik und Wirtschaft, Hackerangriffen und Mord. Eine Analyse.

Der Mann, der auf dem „Ball der Luftwaffe“ einen deutschen Reserveoffizier kennenlernte, war offiziell Attaché an der russischen Botschaft in Berlin. Doch in Wirklichkeit soll er für Russlands Militärgeheimdienst GRU gearbeitet haben. Aus dem Treffen entstand ein langjähriger Kontakt.

Der Reserveoffizier Ralph G. gab zwischen 2014 und 2020 Informationen an seinen russischen Bekannten weiter, etwa über das Reservistenwesen der Bundeswehr und die „zivile Verteidigung“, also nichtmilitärische Maßnahmen im Falle eines Angriffs auf Deutschland.

„Daneben lieferte er Einblicke aus dem Bereich der Wirtschaft, etwa zu den Folgen der gegen Russland im Jahr 2014 verhängten Wirtschaftssanktionen für Deutschland und die Europäische Union und zur Gaspipeline Nord Stream 2“, so die Bundesanwaltschaft, die im März Anklage gegen Ralph G. erhob. Weil der Reserveoffizier beruflich „mehreren Ausschüssen der deutschen Wirtschaft“ angehörte, war er für seinen Führungsoffizier wahrscheinlich gleich doppelt wertvoll. Seit wenigen Wochen muss sich Ralph G. vor Gericht verantworten.

Seine Geschichte ist nur einer von mehreren Fällen mit Bezug zu russischen Nachrichtendiensten, die in den vergangenen Monaten die Bundesanwaltschaft und deutsche Gerichte beschäftigten. An der Universität Augsburg wurde 2019 ein wissenschaftlicher Mitarbeiter angeworben.

Regelmäßig traf sich der russische Staatsbürger mit seinem Führungsoffizier, der Moskaus Auslandsnachrichtendienst SWR angehörte und in Deutschland stationiert war. „Dem Auftrag des Führungsoffiziers entsprechend gab Ilnur N. bei zahlreichen Treffen Informationen aus dem Bereich Luft- und Raumfahrttechnologie, insbesondere den verschiedenen Entwicklungsstufen der europäischen Trägerrakete Ariane, weiter“, erklärte die Bundesanwaltschaft.

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Deutschland und andere Länder in Europa sind seit Jahren Ziel einer Offensive der russischen Dienste. Zu den Aktivitäten zählen Desinformation in den sozialen Medien, gezielte Spionage in Politik und Wirtschaft, Hackerangriffe, versuchte Einflussnahme auf politische Akteure und Parteien und sogar Mord. Mitten in Berlin wurde 2019 ein georgischer Staatsbürger erschossen. Die Spur führte zu Moskaus Inlandsgeheimdienst FSB, der einen Auftragskiller geschickt hatte.

Minidrohnen mit Kameras über Militärgelände in Deutschland

Auch nach dem russischen Überfall auf die Ukraine gingen die geheimen Aktivitäten in Deutschland weiter. So soll die Ausbildung ukrainischer Soldaten im Visier der Spione sein. Vor den Militäreinrichtungen in Grafenwöhr und Idar-Oberstein seien plötzlich „verdächtige Autos“ beobachtet worden, berichtete der „Spiegel“. Zudem seien dort „Minidrohnen mit Kameras“ gesichtet worden.

Recherchen der Investigativplattform „Bellingcat“, des russischen Mediums „The Insider“, der italienischen Zeitung „La Repubblica“ und des „Spiegel“ zeigen zudem, mit welchem Aufwand manche Spione unter falscher Identität in westlichen Gesellschaften platziert werden: Eine Frau, in deren Pass der Name Maria Adela Kuhfeldt Rivera stand und zu deren Legende eine bewegte Lebensgeschichte mit peruanischer Herkunft gehörte, hatte ein Juweliergeschäft in Neapel und eine eigene Schmucklinie. In ihrer Freizeit engagierte sie sich beim örtlichen Lions-Club, der von einem Nato-Offizier gegründet worden war und den viele Militärs unterstützten.

In Neapel befindet sich das Allied Joint Forces Command der Nato. Mit einem US-Soldaten hatte die Juwelierin eine Affäre. Doch 2018 verließ sie plötzlich Italien und flog nach Moskau. Einen Tag zuvor hatte „Bellingcat“ die beiden GRU-Agenten enttarnt, die den russischen Ex-Spion Sergej Skripal und seine Tochter in Großbritannien mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok vergiftet hatten.

Damals fand „Bellingcat“ heraus, dass die Spione des GRU falsche Pässe mit fortlaufenden Nummern besaßen. Der Pass der angeblichen Juwelierin wich nur in einer einzigen Ziffer von den Passnummern der mutmaßlichen Attentäter ab.

Deutscher Diplomat mit fragwürdiger Affäre

Dieser Fall erinnert an einen ähnlichen Skandal, in den ein deutscher Diplomat verwickelt war. In Großbritannien machte 2011 die Geschichte einer jungen Russin Schlagzeilen, die von britischen Diensten der Spionage verdächtigt wurde. Ekaterina Z. hatte eine ungewöhnliche Vorliebe für ältere Männer mit wichtigen Posten in Politik und Diplomatie. Zu ihren Liebhabern zählten ein britischer Abgeordneter, ein holländischer Diplomat und ein Deutscher, der bei der Nato in Brüssel tätig war.

In Mails und Kurznachrichten tauschte sich der deutsche Diplomat mit ihr auch über dienstliche Themen aus, beispielsweise Besuche von US-Politikern in Europa. Die Russin soll diese Informationen an den Geheimdienst SWR weitergegeben haben. Die britischen Behörden scheiterten jedoch vor Gericht damit, Ekaterina Z. abschieben zu lassen. Der Deutsche wurde nach Tagesspiegel-Informationen später auf einen Botschafterposten befördert.

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Die Fälle von sogenannten „Illegalen“, also Spionen mit über Jahre aufgebauter falscher Identität, sind eher selten, nach „Spiegel“-Angaben haben GRU und SWR weltweit bis zu 70 „Illegale“. Doch hinzu kommen die Nachrichtendienstler, die meist unter dem Deckmantel einer Diplomaten-Tätigkeit im Gastland spionieren – so wie der Führungsoffizier des deutschen Reservisten Ralph G.

Eine dreistellige Zahl von Russen, die in Deutschland als Diplomaten akkreditiert sind, soll in Wirklichkeit für einen der Dienste arbeiten. Die bekannt gewordenen Fälle bilden also nur einen Bruchteil der tatsächlichen nachrichtendienstlichen Aktivitäten Moskaus in Deutschland ab.

Lange wurde das Problem in Deutschland wenig beachtet. In der Amtszeit von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) stellte der BND die Gegenspionage komplett ein. Er verzichtete also darauf, die russischen Nachrichtendienste selbst auszuspähen, um zu verstehen, wie sie arbeiten und was sie planen. Im Prozess um den Mord im Kleinen Tiergarten in Berlin kamen die entscheidenden Beweise nicht von deutschen Diensten, sondern aus Recherchen von „Bellingcat“.

In mehreren Nato-Staaten wird nach Tagesspiegel-Informationen seit Jahren kritisch gesehen, dass Deutschland die Bedrohung durch russische Nachrichtendienste zu wenig ernst nehme.

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