zum Hauptinhalt
Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan in Köln

© Reuters/Thilo Schmuelgen

Update

Nach der Erdogan-Kundgebung in Köln: Türkischer Vize-Premier wirft Deutschland Doppelmoral vor

Die Erdogan-Demonstration in Köln hat ein diplomatisches Nachspiel. Die Türkei bestellte den Gesandten der deutschen Botschaft ein, weil die Livezuschaltung des Präsidenten verboten worden war.

Nach dem Verbot einer Zuschaltung von Rednern wie Staatschef Recep Tayyip Erdogan bei der Großdemonstration in Köln hat die türkische Regierung den Geschäftsträger der deutschen Botschaft ins Außenministerium zitiert. Der Termin fand am Montag statt, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Einzelheiten des Gesprächs wurden zunächst nicht bekannt. Botschafter Martin Erdmann ist im Urlaub, daher nahm der Gesandte Robert Dölger - sein Stellvertreter - den Termin wahr.

Die Bundesregierung reagierte gelassen auf die Einbestellung. Der Vorgang sei "zunächst einmal nichts Außergewöhnliches", sagte Außenamtssprecher Martin Schäfer am Montag in Berlin. Im Geschäftsverkehr zwischen Staaten sei es eine täglich vorkommende "Normalität", dass der Vertreter in seinem Gastland ins Außenministerium gebeten werde. Regierungssprecherin Ulrike Demmer wollte die türkische Kritik nicht kommentieren.

Das Bundesverfassungsgericht hatte einen Antrag der Veranstalter, türkische Redner bei der Demonstration von Erdogan-Anhängern in Köln per Videoleinwand zuzuschalten, am Samstagabend aus formalen Gründen abgelehnt. Die türkische Regierung hatte sich darüber empört.

Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus warf Deutschland am Montag Doppelmoral vor. Die deutschen Behörden beschwerten sich „bei jeder Gelegenheit“ darüber, dass die Demokratie in der Türkei eingeschränkt werde, im Falle der Demonstration in Köln behinderten sie jedoch die Meinungsfreiheit, sagte Kurtulmus in Ankara. Mit Blick auf das Verbot der Live-Zuschaltung von Präsident Recep Tayyip Erdogan fügte er hinzu: „Ich möchte offen ausdrücken, dass die Entscheidung, die sie getroffen haben, keiner Rationalität entspricht.“

Zuvor hatten Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin und Justizminister Bekir Bozdag den Beschluss scharf kritisiert. Das Verbot der Übertragung sei auf „widerrechtliche und unhöfliche Art“ erfolgt und eine „Schande“ für Demokratie und Recht, schrieb Bozdag am Sonntagabend auf Twitter. Es sei von nun an inakzeptabel, wenn Deutschland gegenüber der Türkei die Begriffe Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte und Freiheit auch nur in den Mund nehme. Zudem warf der Justizminister Deutschland eine ungerechte Behandlung der hierzulande lebenden Türken vor. Deutschland sei für viele „ernste Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten“ verantwortlich.

Der türkische EU-Minister Ömer Celik kommentierte das Verbot der Zuschaltung ebenfalls auf Twitter und bezeichnete es als „Abweichung von der Meinungsfreiheit und Demokratie“.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Nach Angaben der Polizei nahmen am Sonntag 30.000 bis 40.000 Deutschtürken an der Kundgebung teil. Anstelle der geplanten Übertragung einer Erdogan-Rede wurde dabei eine Botschaft des Präsidenten verlesen.

Gabriel weist Drohung zur Visaliberalisierung zurück

Ausdruck der Spannungen war am Wochenende auch die Drohung des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu, den Flüchtlingspakt aufzukündigen, sollte die EU türkischen Staatsbürgern nicht spätestens ab Oktober Visafreiheit gewähren. Regierungssprecherin Demmer sagte dazu am Montag, die Bundesregierung "geht nach wie vor davon aus, dass die Türkei die Vereinbarung weiter erfüllt".

Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel wies den Vorstoß aus Ankara zurück. „In keinem Fall darf sich Deutschland oder Europa erpressen lassen“, sagte er in Rostock zum Auftakt einer Sommerreise durch Mecklenburg-Vorpommern. Gabriel betonte, die Türkei müsse für eine Liberalisierung zunächst die nötigen Standards erfüllen. „Es liegt an der Türkei, ob es Visafreiheit geben kann oder nicht.“

Mit Blick auf die Entwicklungen in der Türkei mahnte Gabriel grundsätzlich: „Ein Land, das sich auf den Weg macht, die Todesstrafe wieder einzuführen, entfernt sich so drastisch von Europa, dass natürlich damit auch alle Beitrittsverhandlungen letztlich überflüssig werden.“ Die Einführung der Todesstrafe widerspreche der EU-Grundrechtecharta.

Die Union lehnt einen Rabatt für die Türkei ebenfalls ab. „Es kann nicht sein, dass die Anti-Terror-Gesetzgebung als Vorwand dient, um Menschen ins Gefängnis zu stecken“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, Elmar Brok, dem Tagesspiegel. „Das können wir nicht hinnehmen.“ Eine Änderung der Anti-Terror-Gesetzgebung gehört zu den Bedingungen, welche die Türkei zur Erteilung der Visafreiheit erfüllen muss. (Tsp, dpa, AFP)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false