zum Hauptinhalt
Kreative Haushaltspolitik: Kanzler Olaf Scholz im Gespräch mit Finanzminister Christian Lindner (rechts) und Wirtschaftsminister Robert Habeck. 

© AFP/John MacDougall

Neuer Kreditrekord 2023: Bund will sich mehr als eine halbe Billion Euro leihen

Der gigantische Buchungstrick der Ampel-Koalition: Wie die Schuldenbremse trotz einer immens hohen Neuverschuldung eingehalten werden soll.

Neuer Rekord beim Geldleihen: Die Ampel-Koalition wird im kommenden Jahr den Kapitalmarkt so massiv in Anspruch nehmen wie keine Regierung zuvor. Die Finanzagentur des Bundes, welche mit der Ausgabe von Bundesanleihen betraut ist, teilte am Mittwoch mit, dass das geplante Kreditvolumen im Jahr 2023 bei 539 Milliarden Euro liegen soll – also bei mehr als einer halben Billion.

Das ist eine neue Rekordsumme. In diesem Jahr liegt das Planvolumen bei 449 Milliarden Euro, im Jahr davor waren es knapp 483 Milliarden. Im ersten Corona-Jahr 2020 nahm der Bund insgesamt Kredite in Höhe von 406,5 Milliarden Euro auf.

Ein Grund für diese hohen Volumina waren und sind die diversen Rettungspakete in der Pandemie und nun wegen der Energiepreiskrise im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. Zwischen 2015 und 2019 lagen die Kreditaufnahmen zwischen 175 und 202 Milliarden Euro.

Die Anleihe-Emissionen der Finanzagentur liegen regelmäßig deutlich über der im Bundeshaushalt ausgewiesenen Neuverschuldung. Das hat damit zu tun, dass einmal aufgenommene Kredite nur im geringen Maß nach dem Ablaufdatum der Anleihen auch tatsächlich getilgt werden. Die Rückzahlung der Schuldensumme an die jeweiligen Investoren wird üblicherweise dadurch finanziert, dass der Bund dafür neue Anleihen ausgibt, also wieder Kredite aufnimmt. Das gilt allerdings nicht als Neuverschuldung im Rahmen der Schuldenbremse im Grundgesetz.

Das hohe Kreditvolumen im kommenden Jahr hängt nicht zuletzt mit dem „Doppelwumms“ zusammen. So bezeichnete Kanzler Olaf Scholz (SPD) die Kreditaufnahme für den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), aus dem die verschiedenen Energiepreisbremsen und andere Stützungsmaßnahmen vor allem für die Industrie finanziert werden sollen.

Insgesamt sind dafür 200 Milliarden Euro eingeplant, die in den Jahren 2023 und 2024 schrittweise ausgegeben werden sollen. In der Koalition wird damit gerechnet, dass der größte Teil der Summe am Ende auch gebraucht wird.

Druck der FDP

Allerdings hat die Ampel-Regierung vor allem auf Druck der FDP beschlossen, im kommenden Jahr auch die Schuldenbremse wieder einzuhalten. Damit ist die Aufnahme von Krediten in Höhe von 200 Milliarden Euro für den WSF nicht vereinbar. Stattdessen beschloss die Koalition, die Kreditaufnahme formal auf das Jahr 2022 vorzuziehen.

Dafür hat sich Bundesfinanzminister Christian Lindner ein bisher einmaliges Manöver ausgedacht. Die Finanzagentur teilte am Mittwoch mit, dass es zum Ende des Jahres hin eine „Zusatzemission“ geben werde, also die Ausgabe einer bisher nicht geplanten Anleihe.

Das Anleihengeschäft des Bundes ist eine komplexe Sache.

© imago/Schöning

Vorgesehen ist, dass zum Jahresende eine einzelne Anleihe geschaffen wird, die dann allerdings gar nicht am Markt verkauft wird. Ein Volumen in Höhe von 200 Milliarden Euro wäre auch viel zu groß. Es könnte die vom Bund zu zahlenden Zinsen nach oben treiben und für Marktverwerfungen sorgen.

Riesenanleihe als Platzhalter

So landet diese Anleihe zunächst im Eigenbestand der Finanzagentur. Dieser Eigenbestand ist sozusagen ein Vorratstopf, in dem Anleihen liegen, die zwar als ausgegeben gelten, aber vorerst nicht verkauft werden. Das soll es der Finanzagentur ermöglichen, etwa auf Marktbewegungen zu reagieren oder zu einem günstigen Zeitpunkt neues Geld einzunehmen.

Die Riesenanleihe wird nun zwar nicht am Kapitalmarkt platziert, es fließt also gar kein echtes Geld. Wohl aber wird sie umgehend als eine Art Platzhalter an den WSF übertragen, und zwar als „liquides Mittel“, wie die Finanzagentur in ihrer Mitteilung schreibt. Formal ist damit die für 2023 und 2024 geplante Kreditsumme auf einen Schlag im Jahr 2022 aufgenommen worden.

Durch diesen Buchungstrick soll es ermöglicht werden, einerseits mit dem regulären Bundeshaushalt für 2023 die Schuldenbremse einzuhalten, andererseits aber im kommenden Jahr dennoch schrittweise Geld für den WSF einzunehmen. Das geschieht dann im Rahmen der normalen Ausgabe von Anleihen ab Januar, je nach Bedarf.

Die Riesenanleihe im WSF verliert dann zunehmend an Wert. Oder wie es die Finanzagentur formuliert: „Parallel reduziert sich das Volumen der vom WSF gehaltenen Zusatzemission schrittweise in entsprechender Höhe.“ Der Platzhalter schrumpft dann also, bis er am Ende ganz verschwindet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false