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Auch in Deutschland gibt es zahlreiche Unterstützer des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

© REUTERS/Thilo Schmuelgen

Neuwahlen in der Türkei: Warum Erdogan in Deutschland werben könnte

Für türkische Parteien sind die Auslandstürken eine hochinteressante Gruppe. Die Versuchung ist groß, den Wahlkampf trotz eines Verbotes nach Deutschland zu tragen.

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Auf den ersten Blick könnte man glauben, Annegret Kramp-Karrenbauer sei nicht ganz im Film. Kaum hatte der türkische Präsident Tayyip Recep Erdogan überraschend vorgezogene Neuwahlen angekündigt, da meldete sich die CDU-Generalsekretärin zu Wort. „Bei anstehenden Wahlen in der Türkei muss der Wahlkampf dort geführt werden und nicht in Deutschland“, forderte Kramp-Karrenbauer. „Wir wollen in unseren Städten keine innertürkischen Konflikte, die unser Zusammenleben belasten.“ Politiker von SPD und Grünen schlossen sich wenig später an.

Auf den ersten Blick wirken die Forderungen freilich überflüssig. Denn seit der heftigen Auseinandersetzung rund um das umstrittene Verfassungsreferendum in Ankara 2017 hat die Bundesregierung Wahlkampfauftritten türkischer Politiker hierzulande einen Riegel vorgeschoben. Das Auswärtige Amt verbreitete damals eine Verbalnote, in der klar gestellt wurde, dass „ausländische Amtsträger“ drei Monate vor einem Wahltermin in ihrer Heimat grundsätzlich keine Genehmigung mehr erhalten, vor wahlberechtigten Landsleuten aufzutreten. Das gilt weiterhin, wie ein Sprecher des Amtes am Freitag betont; die Anweisung wurde vor kurzem bekräftigt.

Die Wahl in der Türkei soll in gut zwei Monaten am 24. Juni stattfinden, die Sache scheint also klar: Erdogan selbst und andere Regierungsmitglieder dürfen hierzulande keine Jubel-Versammlungen abhalten. Auch Auftritte per Videobotschaft funktionieren nicht – Erdogans letzter Versuch scheiterte an Gerichten in Nordrhein-Westfalen. Selbst die Beschränkung auf „Amtsträger“ bietet nur scheinbar eine Lücke. Das Auswärtige Amt hatte schon 2017 betont, das Völkerrecht wie das deutsche Recht biete Handhabe, auch ausländischen Wahlkämpfern ohne Amt ein Visum zu verweigern. Das gelte übrigens genauso für Oppositionspolitiker.

Details nannte das Amt nicht, aber der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages erinnerte in einem Gutachten im gleichen Jahr an eine Klausel sogar in der Europäischen Menschenrechtskonvention, die es Staaten erlaubt, die politische Betätigung von Ausländern zu beschränken.

Doch so wasserdicht das klingt, so wenig mögen etliche in der deutschen Politik darauf vertrauen. Kramp-Karrenbauer war einmal Landesinnenministerin und hat auch später als Ministerpräsidentin im Saarland so ihre Erfahrungen gemacht. „Kulturveranstaltungen“ mit merkwürdig politischem Programm, Grußworte, die klingen wie Wahlkampfreden – man braucht nicht viel Fantasie für Umgehungsmöglichkeiten. Außerdem erfordert es nicht unbedingt Gastredner aus dem Heimatland, um einen Wahlkampf zu führen.

2017 warf Erdogan Deutschland Nazi-Methoden vor

Die CDU-Frau spricht diesen Verdacht hinter ihrer Forderung nicht offen aus. Der Grüne Cem Özdemir übt weniger Zurückhaltung: „Es wird vermutlich wieder den Versuch geben, diesen Wahlkampf in Deutschland stattfinden zu lassen“, sagt der ehemalige Parteichef am Donnerstag dem Sender SWR. Erdogan habe ein Interesse an Eskalation gegen den Westen, damit er sich als Opfer stilisieren und die Opposition dazu drängen könne, sich mit dem Staatschef zu solidarisieren.

Wie das geht, hatte Erdogan 2017 vorgeführt; seine Vorwürfe reichten bis hin zum Vergleich mit Nazi-Methoden. Ob sich das wiederholt, ist offen. Mustafa Yeneroglu, Abgeordneter für Erdogans AKP, versichert, seine Partei werde alles tun, um eine Belastung der Beziehungen zu vermeiden. Man werde gemeinsam mit deutschen Behörden Wege finden, Wähler in Deutschland zu informieren.

In Ankara selbst schließen Vertreter der Regierungspartei ebenso wie der säkularistischen Oppositionspartei CHP und der prokurdischen HDP erneute Wahlkampfaktivitäten in Europa aber keineswegs nicht aus. Genaues stehe noch nicht fest, die Wahlkampfpläne würden gerade erst aufgestellt, heißt es. Die AKP will am Montag fertig sein. Dann wird zumindest etwas klarer sein, ob und wie die Regierungspartei um Stimmen jenseits der Landesgrenzen werben will.

Klar ist schon jetzt: Für die türkischen Parteien sind diese Wähler eine zwar kleine, aber hochinteressante Gruppe. In Europa leben etwa 2,5 Millionen Auslandstürken, die Hälfte davon in Deutschland. Das sind nicht viele bei 55 Millionen Wahlberechtigten insgesamt. Aber speziell Erdogan ist bei diesen Auslandswählern beliebter als in der Türkei selbst. Beim Verfassungsreferendum 2017 kam er bei ihnen auf fast 60 Prozent Zustimmung für ein Präsidialsystem mit weitreichenden Vollmachten für ihn selbst – beim Gesamtergebnis waren es nur 51 Prozent. Bei der Parlamentswahl vom November 2015 schaffte Erdogans AKP bei den Türken in Deutschland ebenfalls knapp 60 Prozent, während sie insgesamt unter 50 Prozent blieb.

Entscheidend könnten die Auslandstürken bei der Präsidentenwahl werden, die parallel zur Parlamentswahl am 24. Juni angesetzt ist. Für einen Erfolg im ersten Wahlgang braucht Erdogan mindestens 50 Prozent. Das gilt insbesondere für den Fall, dass Ex-Präsident Abdullah Gül gegen ihn antritt. Gül hält sich die Entscheidung bisher offen.

Die Versuchung ist also groß, eben doch den heimischen Wahlkampf irgendwie nach Deutschland zu tragen. Wie weit die „Verbalnote“ aus Berlin das verhindern kann, hat noch niemand ausprobiert. Kramp-Karrenbauer gibt mit ihrer Wortwahl aber schon einen Hinweis, was deutsche Instanzen darüber hinaus tun könnten. „Konflikte, die unser Zusammenleben belasten“ könnten einen Hebel bieten, den sie schon als Ministerpräsidentin an der Saar nutzen wollte. Paragraf 47 des Aufenthaltsgesetzes gibt die Möglichkeit, politische Betätigung von Ausländern zu untersagen, wenn solche Konflikte drohen.

Aber auch da gibt es womöglich einen Haken im Detail. Etliche Auslandstürken sind Doppelstaatler. Als das Bundesverfassungsgericht 2017 Einreiseverbote gegen Amtsträger für rechtens erklärte, begründete es das damit, dass ein solches Verbot Sache der Außenpolitik sei. Deshalb könne sich ein Ausländer in amtlicher Mission nicht auf Grundrechte berufen. Doch bei einfachen Bürgern und erst recht bei solchen mit zusätzlichem deutschen Pass könnten das die Karlsruher Verfassungshüter anders sehen.

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