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Seit Beginn der Nullerjahre ist die EU nach Meinung von Wim van Meurs und der anderen Autoren mehr als ein technokratisches Projekt.

© Jens Kalaene/dpa

Niederländische Autoren blicken auf die EU: Europa - die ewige Baustelle

Wim van Meurs und seine Autoren betrachten in ihrem Buch "Die Unvollendete" die EU ohne verklärenden Blick.

Wie hast du's mit Europa? Die EU ist zu einer Gretchenfrage geworden, man ist dafür oder dagegen. Die Polarisierung, angetrieben durch die sozialen Medien, dürfte vor der Europawahl im Mai 2019 noch zunehmen. Deshalb trifft es sich gut, dass jetzt ein Handbuch auf Deutsch erschienen ist, das die Entstehungsgeschichte der EU nüchtern nachzeichnet und die aktuellen Krisen bis Mitte des vergangenen Jahres aufarbeitet.

Es sind in erster Linie Studenten, welche sich in Geschichte sowie Politik- und Sozialwissenschaften mit der europäischen Integration befassen, die der Niederländer Wim van Meurs und seine Co-Autoren mit ihrem Buch ansprechen. Fünf Studentenjahrgänge an den Universitäten von Amsterdam und Nijmegen haben inzwischen mit dem Textbuch gearbeitet, das „weder eine unkritische Lobrede noch eine harsche Schmähschrift auf die europäische Integration“ sein will. Auch für eine breitere Öffentlichkeit lohnt die Lektüre, weil das Buch mit dem teleologischen Narrativ zur EU bricht. Europa, so war bis in die neunziger Jahre zu hören, sei wie ein Fahrrad: Entweder es bewegt sich vorwärts oder es fällt um. An die Stelle der Erzählung von der „immer engeren Union“ setzen die Autoren das Bild der EU als ewiger Baustelle: „Unvollendetsein als Dauerzustand“.

Die Autoren vertreten die These, dass die EU in der Weltpolitik weiterhin ein wirtschaftlicher Riese und politischer Zwerg bleiben wird. Für Schwarzmalerei sehen sie dennoch keinen Anlass. Auch wenn die EU seit Beginn des Jahrzehnts in einem Atemzug mit dem Wort „Krise“ genannt wird und damit ein „politisiertes (...) Framing der europäischen Realitäten stattfindet“, so hat die Europäisierung inzwischen doch so viel „kritische Masse“ erreicht, dass sich das Projekt nicht mehr rückgängig machen lässt: „Die Bürger reisen von einem Land ins andere, ohne sich darüber Gedanken zu machen; Gleiches gilt für ihre wirtschaftlichen Aktivitäten, ihre Datenbündel und Einkäufe.“

Tatsächlich ist die EU eine Erfolgsgeschichte, wenn man den heutigen Zustand an den geschichtlichen Anfängen misst. Die geschichtliche Perspektive der europäischen Einigung nimmt denn auch den größten Teil des Buches ein. Schlüssig wird nachgezeichnet, wie schon vor dem Zweiten Weltkrieg die ersten paneuropäischen Bemühungen aufkamen, wie nach 1945 der Kalte Krieg und die Teilung Deutschlands zu wichtigen Katalysatoren für die wirtschaftliche Zusammenarbeit in Westeuropa und wie folglich 1957 die Römischen Verträge unterzeichnet wurden.

Auch die weiteren Etappen werden eingeordnet - insbesondere der Vertrag von Maastricht, mit dem 1992 der Grundstein für die gemeinsame Währung gelegt wurde und neue Bereiche wie die Innen-, Außen- und Sicherheitspolitik in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinschaft rückten. Den Beginn der Europaskepsis datieren die Autoren auf den Beginn der Nullerjahre. Damals wurde zunehmend klar, dass sich die europäische Integration nicht mehr als unpolitisches, technokratisches Projekt durchhalten lässt. Die öffentliche Meinung wurde immer wichtiger. Immerhin gibt es unter den 27 Staaten - also ohne Großbritannien - bis heute einen „Grundkonsens, der bleibt“: nämlich dass die EU einen gemeinsamen Markt darstellt.

Alles also nicht ganz so schlimm in der EU? Nicht wirklich. Zu Recht kommen die Autoren zu dem Schluss, dass der ungelöste Umgang mit der Migration „die wahrscheinlich existenziellste Krise“ der EU in den letzten Jahren darstellt. Zwar muss man in diesem Zusammenhang nicht mit jeder Einschätzung übereinstimmen - etwa der Analyse, dass die EU seit dem Flüchtlingsabkommen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan Fragen der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie in Ankara nicht mehr offen ansprechen könne. Auch wird nicht näher beleuchtet, warum die nationalkonservativen Regierungen in Warschau und Budapest die Konfrontation „zwischen nationalen Positionen und europäischen Ansichten“ zu ihrem Programm gemacht haben. Aber die Zerreißprobe, welche die gemeinsame Steuerung der Migration für die EU bedeutet, bleibt weiterhin unübersehbar.

Wim van Meurs u. a.: Die Unvollendete. Eine Geschichte der Europäischen Union. Aus dem Niederländischen von Gudrun Staedel-Schneider. Dietz Verlag, Bonn 2018. 278 S., 20 €.

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