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Vor Rügen werden Rohre für die Ostsee-Erdgaspipeline Nord Stream 2 verlegt.

© dpa

Nord Stream 2: Eine Einigung, die auch eine Warnung ist

Die EU akzeptiert die deutsche Rolle bei Nord Stream 2. Die Bundesregierung wahrt damit ihr Gesicht – und muss zugleich Mitsprache hinnehmen. Ein Kommentar.

Durch den Streit über den Bau der Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 drohte das deutsch-französische Verhältnis nachhaltig beschädigt zu werden. Zudem isolierte das deutsche Beharren auf alleiniger Zuständigkeit für das Projekt einer 1200 Kilometer langen Direktverbindung durch die Ostsee zwischen Lubmin in Vorpommern und dem russischen Wyborg die Bundesrepublik auch innerhalb der Europäischen Union.

Energiepolitischen Egoismus und mangelnde Solidarität mit den EU-Staaten Mittel-Osteuropas musste sich die Regierung von Angela Merkel vorhalten lassen. Die hatte störrisch auf ihrer Position beharrt, bis ihr vor wenigen Tagen klar wurde, dass sie ohne die erhoffte französische Unterstützung plötzlich innerhalb der EU in eine Minderheitsposition geraten war. Im Kern war es um die juristische Frage gegangen, ob Deutschland diese direkte Erdgasleitung nach Russland ohne Abstimmung und Zustimmung mit der EU überhaupt hätte bauen und dann auch betreiben dürfen. Brüssel hatte Nein gesagt, Berlin auf einem Ja bestanden. Das aber war nicht haltbar, wie sich zeigte.

Nun ist der Konflikt mit einem Kompromiss beigelegt, dem sowohl die EU als auch das Europäische Parlament als die entscheidenden Instanzen der EU zugestimmt haben. Schon vorher hatte Frankreich ein Einlenken signalisiert. Die deutsche Politik wäre klug beraten, wenn sie dieses Ergebnis nun nicht als politisch-diplomatischen Sieg darstellte. Tatsächlich hat die Kommission, hat zuvor Frankreich, einem Ausweg zugestimmt, den Deutschland akzeptieren konnte und musste, um ohne Gesichtsverlust aus diesem vermeidbaren Streit herauszukommen.

Schon im Jahr 2017 hatte die EU-Kommission im Blick auf Nord Stream 2 gefordert, eine Pipeline von einem Drittstaat in die EU so zu behandeln wie eine Pipeline innerhalb der Europäischen Union. Hier dürfen Besitz und Betrieb nicht in einer Hand liegen, damit auch Dritte Gas oder Öl über diese Leitung verkaufen dürfen. Das soll Preisabsprachen zulasten der Verbraucher verhindern. Deutschland lehnte diese indirekte Mitsprache Dritter für Nord Stream 2 ab und begründete das damit, dass die Pipeline dann unwirtschaftlich werden könne.

Der Streit ist weniger wirtschaftlicher als strategischer Art

Tatsächlich ist der Streit über Nord Stream 2 aber weniger wirtschaftlicher als strategisch-politischer Art. Die EU will hier im Interesse ihrer mittel-ost-europäischen Mitgliedsstaaten mitreden dürfen. Bis zum Bau der Direktleitungen zwischen Deutschland und Russland verlief die Versorgung Westeuropas mit russischem Erdgas entweder über die Ukraine und Weißrussland und Polen.

Das sicherte diesen Ländern nicht nur Durchleitungsgebühren, sondern war so etwas wie eine Sicherheitsgarantie: Russland konnte aus geschäftlichem Interesse und wegen seiner großen Abhängigkeit von Devisen weder gegen die Ukraine noch Weißrussland oder gar Polen und das Baltikum aggressiv auftreten. Dass die Angst in diesen Ländern vor einer russischen Subversion oder gar einem offenen Konflikt nicht unberechtigt war, hat sich auf der Krim und in der Ost-Ukraine gezeigt.

Auf diesen Zusammenhang hatten die mittel-ost-europäischen EU-Staaten immer wieder hingewiesen. Im Gegensatz zu den US-amerikanischen Warnungen vor Nord Stream 2, die sehr viel mit eigenem geschäftlichen Interesse, nämlich dem Absatz von Flüssiggas in Europa, zu tun hatten, waren die Bedenken Polens und der baltischen Staaten wirklich existentieller Art. Dass die deutsche Politik das nicht begriffen hatte, war ein großes Versäumnis. Es wurde in Europa zunehmend als Zeichen von Arroganz registriert.

Die EU-Kommission gesteht der Bundesrepublik nun zu, sie könne weiter in Sachen Nord-Stream 2 direkt mit der russischen Vertragsseite verhandeln. Aber das dient lediglich der Gesichtswahrung, denn es wird auch für Nord Stream 2 Auflagen der EU geben. Die EU behält sich außerdem das Recht vor, alle Vereinbarungen vor Abschluss zu prüfen. Wer aber prüft, darf, muss sogar, Einwendungen vortragen dürfen. Und dazu gehört auch die Möglichkeit, die Leitung für andere Anbieter zu öffnen.

Dass dieses Signal im Umfeld der Bundeskanzlerin durchaus verstanden wurde, zeigt eine Mitteilung des Bundeswirtschaftsministers vom Dienstag: Deutschland plane den Bau von mindestens zwei Seehäfen zum Entladen von Flüssiggastankern. Die aber können nach Lage der Dinge wohl nur aus Nordamerika kommen.

Gerd Appenzeller

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