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Piratenchef Sebastian Nerz.

© dapd

Parteichef Sebastian Nerz: "Es ist anstrengend, Pirat zu sein"

Piratenchef Sebastian Nerz spricht über die Fehler der letzten Monate, die Nazi-Debatte in der Partei sowie die Kontrolle von Parteimitgliedern - und er erklärt, warum die Piratenpartei keine Botschaft braucht.

Herr Nerz, die einen sympathisieren mit Holocaust-Leugnern, andere wollen nicht, dass man Nazis aus der Partei wirft, und ein Abgeordneter bezeichnet eine Parteifreundin als „Ex-Fickse“: Wen schicken Sie eigentlich in Parlamente? Chauvinisten oder ernsthafte Politiker?
Unsere Abgeordneten sind keine Chauvinisten. Wir schicken ernst zu nehmende Politiker in die Parlamente, aber auch ein ernsthafter Politiker kann ein chauvinistischer Idiot sein.
Und solche Politiker sind bei Ihnen richtig aufgehoben?
Die Frage, ob man gute Politik macht, hat wenig mit dem Charakter eines Menschen zu tun.

Das heißt, wer ein Idiot ist, aber kompetent, kann für die Piraten in einem Parlament sitzen?
Nein. Wir haben deutlich weniger Vollidioten in unseren Reihen als gute, ernsthafte und engagierte Politiker. Ich erwarte von einem Abgeordneten, dass er sich ordentlich verhält und nicht beleidigend wird. Das erwarte ich von jedem Menschen. Und ich denke, dass die Abgeordneten der Piratenpartei das auch zu einem großen Teil sehr gut hinbekommen.
Die Pannen der Berliner Piraten in Bildern:

Müssen Sie nicht trotzdem genauer hinsehen und kontrollieren, wer für sie ins Parlament einzieht?
Der Druck, genauer hinzuschauen, ist auf jeden Fall da. Wir werden natürlich alle Listenplätze gründlicher als bisher durchgehen. Jeder, der sich aufstellen lässt bei den Piraten, muss sich fragen: Möchte ich wirklich ins Parlament einziehen?
Wie wollen Sie denn verhindern, dass rechte Spinner für Ihre Partei ins Parlament einziehen?
Kontrollen kann man nicht einführen. Die Auswahl von Kandidaten ist ein demokratischer Prozess, die Entscheidung trifft ein Parteitag. Da werden wir als Bundesvorstand keine Kontrolle ausüben. Aber die Kandidatenbefragung muss intensiviert werden durch ausführliche Interviews und Befragungen in unseren Foren, auf den Parteitagen und im Gespräch. Doch egal, wie gut man auswählt, es wird immer Überraschungen geben.

Männer mit Zöpfen - die Piraten in Bildern:

Viele beschweren sich ja jetzt schon, dass sie auf Parteitagen beim sogenannten „Kandidaten-Grillen“ beschimpft und beleidigt werden. Gibt es ein Problem mit den Umgangsformen bei den Piraten?
Es gibt Verbesserungspotenzial in unseren Umgangsformen. Wir müssen lernen, sachlicher und höflicher miteinander umzugehen.
Gestritten wird in der Piratenpartei derzeit vor allem über den Umgang mit rechten Gedanken. Einige prominente Piraten fordern eine klare Distanzierung. Warum fällt es Ihrer Partei so schwer, sich eindeutig von rechten Spinnern und rechten Tendenzen zu distanzieren?
Die Piratenpartei hat sich bereits entschieden und eindeutig von rechtsextremem Gedankengut distanziert. Eine solche Distanzierung findet sich beispielsweise in der Satzung und in diversen Aussagen und Veröffentlichungen des Bundesvorstandes.
Viele wünschen sich von Ihnen aber auch mal ein klares Wort in dieser Debatte.
Meine Aufgabe ist es, zu organisieren – das ist ein Unterschied. Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, Abgeordnete oder Landesvorsitzende zu kontrollieren. Der Berliner Landeschef Hartmut Semken hat für seine umstrittenen Blog-Einträge viel Kritik bekommen. Da muss ich nicht auch noch ein Fass aufmachen.

Am Wochenende hat wieder ein prominentes Piratenmitglied mit einem NSDAP-Vergleich für Aufsehen gesorgt. Nehmen die vermeintlichen Nazi-Vergleiche und rechten Äußerungen nicht allmählich Überhand?

Martin Delius hat in dem Sinne keinen Vergleich zwischen der Piratenpartei und der NSDAP aufgestellt. Aber richtig ist: Jeder sollte sich genau überlegen, was er sagt und welche historischen Analogien er aufstellt und welche Wirkung das haben kann. Die NSDAP als Vergleich heranzuziehen ist natürlich völliger Unsinn. Das weiß Martin Delius auch und er hat sich dafür entschuldigt. Damit will ich es auch bewenden lassen.

"Es ist anstrengend, Pirat zu sein"

Dann bleiben wir beim Organisieren. Am kommenden Wochenende müssen Sie und ihre Kollegen einen Bundesparteitag über die Bühne bringen. Welche Botschaft soll von dem Treffen ausgehen?
Ein Parteitag ist ein formeller Akt, der nicht dazu dient, eine Botschaft zu senden. Es geht um personelle Entscheidungen – und nicht um inhaltliche Fragen.
Sie wollen keine Botschaft aussenden – und das nach dem Wahlerfolg im Saarland und kurz vor den Wahlen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen? Das ist doch Koketterie!
Nein, ist es nicht. Wir haben den Parteitag geplant, als es noch sehr viel weniger Aufmerksamkeit für die Piratenpartei gab. Und es gibt immer irgendwelche Wahlen rund um einen Parteitag. Wir wollen einfach in Ruhe unsere Arbeit machen.

Die Piraten im Saarland in Bildern:

Wenn Sie sagen, die Piraten wollen in Ruhe arbeiten: Ist Ihnen die Aufmerksamkeit zu viel?
Nein, wir wollen ja Erfolg. Aber wir dürfen uns in unserer Arbeit nicht davon treiben lassen.
Einige Ihrer Vorstandskollegen haben angekündigt, nicht mehr kandidieren zu wollen, auch wegen der hohen Belastung. Ist es im Moment anstrengend, Pirat zu sein?
Vor einem Jahr waren wir eine Partei mit zwei Prozent in den Umfragen. Da hatten wir vielleicht ein, zwei Medienanfragen pro Woche. Heute liegen wir zwischen 10 und 13 Prozent und die Anfragen kommen im Minutentakt rein. Der Arbeitsaufwand für jeden Einzelnen explodiert. Unsere Strukturen müssen dem Erfolg angepasst werden. Diese Vorgänge dauern. Und deshalb: Ja, im Moment ist es besonders anstrengend, Pirat zu sein. Wir arbeiten alle ehrenamtlich und haben noch gar nicht die Finanzkraft, die man für unsere Größe mittlerweile braucht.
Sie wollen auf dem Parteitag die Mitgliedsbeiträge erhöhen. Was ist, wenn das nicht passiert? Brechen die Piraten dann unter ihrem Erfolg zusammen?
Nein. Wir werden die Arbeit weiterführen und wir können auch mit vielen Ehrenamtlichten arbeiten. Das hat bisher auch geklappt. Es wäre einfacher und sinnvoller, wenn wir uns professionalisieren könnten, aber es ist auch kein Beinbruch, wenn das nicht klappt.
Die Berliner Piraten ziehen ins Abgeordnetenhaus ein - eine Bildergalerie:

Aber nächstes Jahr ist Bundestagswahl – können Sie da auch ohne einen Professionalisierungsschub antreten?
Natürlich. Wir haben uns ja schon verbessert.
Wird es einen Spitzenkandidaten geben?
Bisher wollen wir keinen Spitzenkandidaten nominieren, sondern in 16 Landesverbänden eine Nummer eins auf der Liste haben, so dass wir nicht so fixiert sind auf eine Person.
Das heißt, es streiten sich 16 Spitzenkandidaten, wer in eine Fernsehrunde gehen darf?
Die meisten Journalisten haben spezifische Vorstellungen, mit wem sie reden wollen. Und im Moment ist es bei uns weniger ein Streiten darum, wer in eine Fernsehsendung geht, als vielmehr, wer nicht gehen muss.

Macht es Ihnen eigentlich Sorgen, dass die Piratenpartei allmählich zum Buhmann der Kreativen wird?
Nein. Es gibt auch viele, die unseren Thesen zustimmen. Vor allem dann, wenn wir ihnen klarmachen, dass es nicht um eine Abschaffung des Urheberrechts geht, sondern um eine Reform. Viel Kritik beruht auch auf Missverständnissen. Und deshalb müssen wir uns fragen, wo wir Fehler gemacht haben.

Und?
Wir haben unser Programm schlecht kommuniziert. Es gab Missverständnisse darüber, was wir wollen. Ich halte nichts davon, Verlage oder Verwertungsgesellschaften abzuschaffen, aber ihr Einfluss ist zu groß. Es muss für Kreative auch die Möglichkeit geben, ihre Produkte direkt zu vermarkten. In diesem Zusammenhang haben wir auch nicht schnell genug auf Falschaussagen von Kampagnen großer Verwertungsgesellschaften reagiert. Das haben wir schleifen lassen. Wir sind eben eine junge Partei, die Fehler macht. In Zukunft hoffentlich weniger als zuletzt.
Sebastian Nerz ist Bundesvorsitzender der Piratenpartei. Das Gespräch führten Karin Christmann, Johannes Schneider und Christian Tretbar.

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