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Ganz traditionell. Auch die Piraten stimmten auf ihrem Parteitag mit Stimmkarten ab, die man sichtbar nach oben zu halten hatte, um gezählt werden zu können.

© dpa

Parteitag in Bochum: Das spezielle Piraten-Problem

Ob der Parteitag der Piraten ein Erfolg war, darüber scheiden sich die Geister: Besonders am ersten Tag verloren sie sich in zermürbenden Diskussionen, die zu wenig Ergebnissen führten. Und so zeigt der Parteitag die Probleme ihrer spezifischen Debattenkultur auf.

Irgendwann wird es absurd. „Wir können keine Abstimmung wiederholen, die wir gar nicht durchgeführt haben“, sagt die Versammlungsleitung der Piratenpartei bei deren Programmparteitag in Bochum. Aber die Piraten schaffen es, über Anträge abzustimmen, sie zu beschließen, um sie anschließend wieder zurückzuziehen – weil plötzlich eine Formulierung die Runde macht, die zuvor von vielen der über 2000 anwesenden Parteimitglieder offenbar übersehen wurde. Dann werden die Abstimmungen wiederholt, die Wiederholung wird angefochten, es wird noch mal abgestimmt, dann ausgezählt, und am Ende wird der Antrag doch abgelehnt. Für Basisdemokratie ist die Veranstaltung nur bedingt eine Werbung. Man fragt sich, wer da eigentlich abstimmt: ein mündiges Plenum oder eine wankelmütige Masse.

Abgestimmt haben sie, doch allzu oft wurden dabei nur einzelne Module von Anträgen angenommen. Worauf man sich einigte, war ein Antrags-Torso, oft mit harmlosen und allgemeinen Formulierungen. Da kommt dann auch der politische Geschäftsführer durcheinander. Auf die Frage, ob man denn nun für die Einhaltung der Schuldenbremse sei und ob man die Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung mittrage, sagte Johannes Ponader: „Da muss ich erst mal im Detail schauen, was in dem Modul steht.“ Die Euro-Rettung steht aber sowieso nicht im Mittelpunkt des Piraten-Interesses. „Da können die etablierten Parteien routiniert Antworten liefern, die leider nur drei Tage halten“, sagte Parteichef Bernd Schlömer. Die Piraten würden für anderes gemocht und gewählt: „Wir decken jetzt viele lebenspraktische Bereiche ab.“ Mit Beschlüssen zu Europa, Wirtschaft, Rente, Außenpolitik und Gesundheit scheint die Partei auch zweifellos inhaltlich besser aufgestellt zu sein als vor dem Parteitag.

Ob der Bochumer Konvent für die Piraten ein Erfolg war, dazu gibt es allerdings unterschiedliche Meinungen: „So kann es nicht weitergehen“, hatte Schlömer dem Tagesspiegel bereits am Samstag angesichts eines von Geschäftsordnungsdebatten zerfahrenen ersten Versammlungstags gesagt. Dass seine in diesem Zusammenhang erhobene Forderung nach einer ständigen Mitgliederversammlung im Netz mit anderen Satzungsänderungsanträgen von der Tagesordnung flog, während Schlömer mit den Mitgliedern des Bundesvorstands eine Pressekonferenz gab, gefiel ihm dann auch gar nicht. „Eine Partei, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, Inhalte anders, nämlich digital, zu entwickeln, muss sich dieser Frage irgendwann stellen.“

Damit bleiben der Partei große strukturelle Probleme, die auch Stephan Klecha, Piratenexperte vom Göttinger Institut für Demokratieforschung, sieht. Die oft zerfahrenen, wenig konstruktiven Diskussionen weisen für ihn auf einen wichtigen Konstruktionsfehler im Aufbau der Partei hin: „Der Parteitag ist zurzeit noch die einzige offizielle Diskussionsebene, auf der inhaltliche Grundsatzentscheidungen getroffen werden dürfen.“ Gerade hier könne man aber, anders als auf den vorgeordneten Diskussionsebenen wie etwa dem digitalen Liquid Feedback, nur mit Ja oder Nein stimmen. „Da kann dann gar nicht der Diskurs geführt werden, den die Partei eigentlich führen will und den sie von ihren Onlinetools kennt. Da fliegen dann Anträge nur wegen einer Formulierung komplett auseinander.“

Wie die Partei dieses und andere strukturelle Probleme – immer wieder wurde gerade von führenden Piraten am Rand des Parteitags die rüde Diskussionskultur im Netz beklagt – in den Griff bekommen kann, darauf gab die Versammlung keine Antwort. Sicher scheint zu diesem Zeitpunkt nur eins: Auch wenn die Umfragewerte schwächeln, ist das Interesse der Parteimitglieder an ihrem gemeinsamen Projekt ungebrochen groß. 2032 Teilnehmer zählte die Partei am Sonntagabend. Dass die sich jedoch manchmal gegenseitig bis an die Grenzen des Absurden im Weg standen, zeigte auch der Sonntagnachmittag. Als die inhaltliche Debatte mit Beschlüssen zur Umwelt- und Europapolitik gerade mal rund lief, wurde mit knapper Mehrheit ein Scherzantrag zum Thema „Zeitreisen“ auf die Tagesordnung gerufen und breit diskutiert. Vielleicht ist es ja ein Zeichen von Reife, dass der Antrag dann doch abgelehnt wurde. So schnell will wohl kein Pirat zu diesem Parteitag nach Bochum zurück.

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