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Keine heiße Luft mehr - so lautet die Forderung junger Menschen aus ganz Europa., die am Mittwoch vor dem Kanzleramt gegen die Jugendarbeitslosigkeit demonstrierten.

© dpa

Update

Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs: Planloser Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit

„Klar ist, dass wir von der großen Jugendarbeitslosigkeit herunterkommen müssen“, sagt Merkel am Mittwoch beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Berlin. Konkrete Ziele, wie dies erreicht werden sollte, hat man sich jedoch nicht gesetzt.

Sigmar Gabriel ist von jungen Demonstranten aus ganz Europa umringt. „Sie ist eine Art Dieb, die der Jugend Europas die Zukunft stiehlt“, ruft der SPD-Vorsitzende. Gemeint ist Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die nur ein paar hundert Meter entfernt im Kanzleramt zu einer Konferenz zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa geladen hat. Es sei „eine Schande“, schimpft der SPD-Vorsitzende, dass 1,2 Billionen Euro für die Bankenrettung in Europa ausgegeben würden, aber nur ein paar Milliarden Euro für die Verbesserung der Arbeitsmarktchancen junger Leute.

Auf Einladung der Kanzlerin sind an diesem Mittwoch 17 Staats- und Regierungschefs der EU nach Berlin gekommen, um über die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa zu sprechen. „Wir haben mit dieser Konferenz hohe Erwartungen geweckt“, gesteht Merkel am Abend ein. Die Verantwortlichen in Europa wollten sich damit „auch ein Stück unter Druck setzen“. Das Problem könne aber nicht „von einem Tag auf den anderen“ gelöst werden. Ein konkretes Ziel, wie stark die Arbeitslosigkeit bei den Jüngeren unter 25 Jahren reduziert werden soll, habe man sich nicht gesetzt. „Klar ist, dass wir von der großen Jugendarbeitslosigkeit herunterkommen müssen“, sagt Merkel. Derzeit sind in Europa rund 5,6 Millionen in der Altersgruppe ohne einen Job.

Sechs Milliarden Euro hatten die EU-Staaten bislang für die Förderung der Jugendbeschäftigung in den nächsten beiden Jahren beschlossen. Diese Summe soll nach Angaben der Kanzlerin auf acht Milliarden Euro aufgestockt werden. Bis Ende diesen Jahres sollen die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, damit das Geld ausgegeben werden kann.

Spitzentreffen im Kanzleramt: Frankreichs Staatschef Francois Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Spitzentreffen im Kanzleramt: Frankreichs Staatschef Francois Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel.

© Reuters

In welche konkreten Maßnahmen es investiert werden soll, darüber beraten vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs die Arbeits- und Sozialminister sowie die Chefs der Arbeitsverwaltungen der 28 EU-Länder. Das Hauptproblem sei, jungen Leuten die Fertigkeiten zu vermitteln, die die Wirtschaft braucht, berichtet Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). In einem Papier empfehlen die Arbeitsminister den Einsatz verschiedener arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen, von befristeten Lohnkostenzuschüssen bis zu Kreditprogrammen, von denen Betriebe profitieren, die Jugendliche beschäftigen.

Von der Leyen wirkt jedenfalls zufrieden, als sie sich gegen Mittag mit dem Tross ihrer europäischen Amtskollegen auf den Weg ins Kanzleramt macht. Sie hat ihre zentrale Botschaft schon vorher gesetzt, nämlich dass für den Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit mehr als die bislang versprochenen sechs Milliarden Euro zur Verfügung stehen sollen. Sie rechnet weitere Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds dazu. Am Abend spricht sie von insgesamt 24 Milliarden Euro. Damit will sie auch den Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen.

Denn das ist auch in etwa die Summe, welche die Gewerkschaften nennen. So viel sei nötig, um die von den EU-Staaten beschlossene Jugendgarantie zu finanzieren, rechnet die internationale Arbeitsorganisation ILO vor. Die Jugendgarantie besagt, dass jeder Jugendliche innerhalb von vier Monaten nach der Schule oder wenn sie arbeitslos werden zumindest einen Praktikumsplatz bekommen soll.

Doch die Versprechen von Merkel und Co. reichen nach Ansicht von Opposition und Gewerkschaften nicht aus. „Das ist lächerlich“, kritisiert SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. „Wir brauchen mindestens 20 oder 21 Milliarden Euro.“ Im Willy-Brandt-Haus erhält er dafür am Mittwochmorgen Applaus von rund 150 Jugendlichen aus Europa, die auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung zu Gast in Berlin sind, so wie der 30-jährige David Lizoain aus Spanien. „Wir sind eine Generation ohne Möglichkeiten. Wir werden gezwungen, auszuwandern“, klagt er.

Ähnliche Töne sind auch im Tipi neben dem Kanzleramt zu hören, wo der Deutsche Gewerkschaftsbund einen Alternativen Jugendgipfel veranstaltet. „Das ist eine Verhöhnung der jungen Leute“, wettert DGB-Chef Michael Sommer. „Stop Talking, Act now“ („Hört auf mit dem Reden! Handelt jetzt“) steht auch auf den Plakaten, mit denen die jungen Gewerkschafter später zum Demonstrieren vors Kanzleramt ziehen. Zu ihnen gehört auch der Grieche Ioannis Poupkos. Die Jugendarbeitslosigkeit sei „ein Ergebnis der katastrophalen Sparmaßnahmen“, sagt Poupkos. Seine Forderungen nach einem Ende der Sparpolitik in Europa kann er mittags auch bei Bundeskanzlerin Merkel vortragen, die kurzfristig Sommer und zehn der Nachwuchsgewerkschafter für eine halbe Stunde ins Kanzleramt eingeladen hat.

Die Summe von acht Milliarden Euro soll jenen Regionen in der EU zugute kommen, in denen die Jugendarbeitslosigkeit bei über 25 Prozent liegt. In Deutschland ist das in keiner Region der Fall, dafür aber in vielen anderen Mitgliedstaaten. So kann Frankreich mit einer Zuweisung von rund 800 Millionen Euro aus dem Acht-Milliarden-Topf rechnen. Spanien stellt sich auf einen noch höheren Betrag ein.

Geld gibt es aber auch für Länder, die nicht im Fokus der Euro-Rettung stehen – darunter Großbritannien. Die Jugendarbeitslosigkeit grassiert auch auf der Insel: Junge Menschen haben es dort beispielsweise im Nordosten Englands schwer, einen Job zu finden. Aber trotz der zu erwartenden Millionenhilfen aus Brüssel zog es Regierungschef David Cameron vor, dem Treffen in Berlin fernzubleiben.

Zu denen, die der Einladung Merkels folgen, gehört hingegen der portugiesische Ministerpräsident Pedro Passos Coelho. Dabei hätte der liberal-konservative Politiker nach den jüngsten Rücktritten seiner beiden wichtigsten Minister einen guten Grund gehabt, in Lissabon zu bleiben. Passos Coelhos Landsmann, der EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, rief die Portugiesen auf, so schnell wie möglich wieder stabile Regierungsverhältnisse zu schaffen – ein Wiederaufflammen der Euro-Krise im Südwesten Europas wäre Gift für die Gemeinschaftswährung.

Die Konferenz in Berlin soll unterdessen keine Eintagsfliege bleiben. Im November sollen die Fortschritte bei einem Folgetreffen in Paris überprüft werden, kündigten Frankreichs Präsident François Hollande und Kanzlerin Merkel an.

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