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Yanis Varoufakis.

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Politik, Sport und Ästhetik: Was Varoufakis und Guardiola verbindet

Sie sprechen verschiedene Sprachen, politisch würden sie sich kaum verstehen. Und dennoch gibt es zwischen dem griechischen Finanzminister und dem Bayern-Trainer eine verblüffende Gemeinsamkeit. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Wolfgang Prosinger

Erst platzte seine Hose, dann sein Traum. Das Zweite war schlimmer. Bei dem anderen ist ein Hosenplatzen weniger zu befürchten, eher sind seine Hemden und T-Shirts gefährdet. Er trägt sie gern hautnah. Und die Träume? Ach ja.

Der eine heißt Pep Guardiola, der andere Yanis Varoufakis. Sie sprechen verschiedene Sprachen, sie haben verschiedene Berufe, der Spanier ist zehn Jahre jünger als der Grieche. Der eine ist ein katalanischer Nationalist, der andere ein Gelegenheitsmarxist. Politisch würden sie sich kaum verstehen, zum Glück haben sie nichts miteinander zu tun.

Eigentlich haben sie sehr viel miteinander zu tun. Schon äußerlich. Der kahl geschorene Schädel. Der Drei-bis-fünf-Tage-Bart. Der ausgesuchte Kleidungsstil. Gemeinsam ist ihnen die Erscheinung, der Phänotyp, die Zurschaustellung einer Körperlichkeit, die sich schon einprägt, die einnimmt oder abweist, ehe man die Persönlichkeit in Betrachtung nimmt. Sie sind Körper, lange bevor sie etwas anderes sind.

Performance und Aura sind bei beiden unerreicht

Aber auch wenn man ihnen zuhört, offenbart sich eine verblüffende Gemeinsamkeit. So erfährt man etwa bei Guardiolas Pressekonferenzen oder bei den Interviews von Varoufakis, die dieser geradezu obsessiv gibt, eine jeweils mit Inbrunst vorgetragene Leidenschaft für das Ungefähre.

Der Spanier hat sich verdienstvollerweise entschlossen, seine öffentlichen Mitteilungen auf Deutsch abzuhalten. Allerdings steht seine Beherrschung der Sprache in einem umgekehrten Verhältnis zur Länge seiner Ausführungen. Es reiht sich Infinitiv an Infinitiv, Sätze verwandeln sich in sprachliche Amöben, und am Ende weiß selbst der Gutwilligste kaum noch, was der Meister nun genau mitgeteilt hat. Er ahnt nur, dass es etwas Bedeutsames gewesen sein muss.

FC Bayern-Trainer Pep Guardiola.
FC Bayern-Trainer Pep Guardiola.

© imago

Varoufakis hat das Sprachproblem nicht. Er spricht vorzüglich Englisch und macht davon ausdauernd Gebrauch. Aber am Ende seiner stets ins philosophische Proseminar driftenden Ausführungen bleibt deren tieferer Sinn gerne rätselhaft. Konkretion, so scheint es, ist der Feind der Gelehrsamkeit.

Aber darauf kommt es ja auch gar nicht an. Was zählt, sind Performance und Aura. Und die ist bei beiden unerreicht. Wo sie gehen und stehen, weht um sie das Lüftchen des Rebellischen, des Visionären, manchmal sogar des Magischen.

Ihre Auftritte sind Beweise der Extravaganz, ihr Kleidungsschick Ausdruck einer allezeit dandyhaften Stilisierung, die bei aller Eleganz immer nur eine Handbreit vom Halbseidenen entfernt und doch so ganz verschieden ist. Guardiola häufig mit Anzug und Krawatte, Varoufakis stets mit offenem Kragen. Das Statement jedoch ist immer das gleiche: die Coolness haushoher Überlegenheit. Zwei Super-Egos.

So sehen Sieger aus – und sind doch keine, Varoufakis, verlacht und geschmäht vom Europa-Establishment und von seinem Premierminister Alexis Tsipras mittlerweile weithin entmachtet. Guardiola statt Triple-König nur ein einfacher Fußballmeister und gebeutelt von einer entwürdigenden Niederlagenserie.

Aber auch das scheint sie zu einen: dass einer umso tiefer fällt, je höher er hinaus möchte. Wer zur Sonne fliegen will, dem schmelzen die Flügel. Wer sich erdreistet, das Licht zu bringen, ist schnell ein gefallener Engel. Der graue Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble darf sich Sieger nennen und der vergleichsweise biedere Luis Enrique auch, der Trainer des FC Barcelona.

Der Sache wohnt eine vertrackte Dialektik inne

Sieger und Besiegte. So einfach, so schlicht ist es zum Glück nun doch nicht. Der Sache wohnt eine vertrackte Dialektik inne. Denn Yanis Varoufakis hat ja viel mehr bewegt, als nur ein paar europäische und deutsche Politiker zur Weißglut zu treiben. Seinen ungestümen Auftritte in Brüssel und anderswo ist es zu verdanken, dass das Problem mit den griechischen Schulden heute weithin anders gesehen wird als noch vor wenigen Monaten; dass Austeritätspolitik den Anschein des alternativlosen Allheilmittels inzwischen verloren hat.

Und Pep Guardiola hat gezeigt, dass sich aus elf schwitzenden, rennenden Menschen ein ästhetisches Erlebnis entwickeln lässt. Und dass seine Mannschaft trotz aller Abstürze der vergangenen Wochen auf einem anderen Stern zu Hause ist als alle anderen – zumindest in Deutschland.

Dass die Welt aus den Fugen ihrer wohlgeordneten Mittelmäßigkeit gerät – wahrscheinlich muss es dafür immer ein paar Verrückte geben, denen die Hosen und manchmal die Kragen platzen.

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