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Der Angeklagte Leon R. wird als mutmaßlicher Rädelsführer in den Verhandlungssaal geführt.

© dpa/Bodo Schackow

„Nazi-Kiez“ und Jagd auf Polizisten: Prozess gegen Thüringer Neonazi-Gruppe ist gestartet

Gezielte Angriffe auf Linke und Polizisten: Mitglieder der rechtsextremen Kampfsporttruppe „Knockout 51“ stehen seit Montag in Jena vor Gericht. Erwartet wird ein langwieriges Verfahren.

Die Verlesung der Anklage nimmt so viel Zeit in Anspruch, dass sich die Vertreter des Generalbundesanwalts dabei abwechseln. Über eine Stunde dauert es, den vier Angeklagten um den mutmaßlichen Rädelsführer Leon R. der Neonazi-Gruppierung „Knockout 51“ aus Eisenach vorzutragen, was ihnen vorgeworfen wird. Im Kern bezichtigt der Generalbundesanwalt das Quartett der Bildung einer kriminellen Vereinigung, der gezielten gewalttätigen Angriffe auf Andersdenkende und Polizisten sowie diverser Verstöße gegen das Waffenrecht.

Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen und großer Polizeipräsenz begann vor dem Thüringer Oberlandesgericht in Jena am Montagvormittag ein Mammutprozess, der die Justiz des Freistaats voraussichtlich bis März kommenden Jahres mit aktuell 37 weiteren anberaumten Verhandlungstagen in Atem halten wird.

Die vier angeklagten Männer waren Anfang April 2022 bei einem großangelegten Schlag gegen die militante Neonazi-Szene festgenommen worden. Seitdem sitzen der 25-jährige Leon R., der 23-jährige Bastian A., der 22-jährige Maximilian A. und der 21-jährige Eric K. in Untersuchungshaft.

Die Angeklagten sitzen zu Prozessbeginn mit ihren Verteidigern im Verhandlungssaal.
Die Angeklagten sitzen zu Prozessbeginn mit ihren Verteidigern im Verhandlungssaal.

© dpa/Bodo Schackow

Alle vier sollen in der vor vier Jahren gegründeten rechtsextremen Kampfsportgruppierung „Knockout 51“ in Eisenach aktiv gewesen sein. Die Gruppierung errichtete laut Anklage unter Einsatz von Gewalt einen sogenannten „Nazikiez“ in Eisenach und führte sich dort als „bestimmende Ordnungsmacht“ und „politische Fußsoldaten des Rechtsextremismus“ auf.

Spätestens ab April 2021 war die Vereinigung ‚Knockout 51‘ neben der Begehung von Körperverletzungen auch auf die Tötung von Angreifern aus dem linksextremen Lager ausgerichtet.

Vertreter des Generalbundesanwalts bei der Verlesung der Anklage

Unter dem Deckmantel des gemeinsamen Trainings lockte die Kampfsportgruppe demnach junge, nationalistisch gesinnte Männer an, schulte diese bewusst mit rechtsextremem Gedankengut und bildete sie für Angriffe aus. „Knockout 51“ war laut Bundesanwaltschaft von Beginn an auf Gewalttätigkeiten aus und radikalisierte sich zunehmend.

Ziel sei die Tötung von Linken gewesen

„Spätestens ab April 2021 war die Vereinigung ‚Knockout 51‘ neben der Begehung von Körperverletzungen auch auf die Tötung von Angreifern aus dem linksextremen Lager ausgerichtet“, sagte der Vertreter des Generalbundesanwalts bei der Verlesung der Anklage. Dafür statteten sich die Rechtsextremen unter anderem mit Messern aus, zwei der Angeklagten besorgten sich außerdem Schlagringe, eine manipulierte Gaspistole und Teile einer halbautomatischen Waffe, die mit einem 3D-Drucker hergestellt wurden.

Der Anklage zufolge leitete R. als Anführer die regelmäßigen Kampfsporttrainings, sorgte für die rechtsextremistische Schulung der Teilnehmer und warb zusammen mit anderen gezielt Mitglieder an.

Auch die drei anderen Angeklagten hatten demnach leitende Funktionen in der Vereinigung, die mit der NPD in Eisenach und bundesweit mit anderen gewaltbereiten rechtsextremistischen Gruppen eng vernetzt war.

Aufnahmevoraussetzung: Mindestgewicht von 80 Kilogramm

Laut Anklage galten innerhalb der Gruppierung strenge Aufnahmerituale. So soll die „Anwärterzeit“ ein halbes Jahr betragen haben. In diesem Zeitraum soll es den zukünftigen Mitgliedern verboten worden sein, jegliche Drogen zu konsumieren. Außerdem habe jeder Anwärter ein Mindestgewicht von 80 Kilogramm erreichen müssen und zwischen 80 und 90 Kilogramm beim Bankdrücken stemmen müssen, um im perspektivischen Straßenkampf mit Linken zu bestehen.

Immer wieder wurde im Rahmen der Anklageverlesung deutlich, dass sich der Hass der „Knockout 51“-Mitglieder nicht nur gegen Menschen aus dem linken Milieu und Polizisten richtete, sondern auch gegen Drogenkonsumenten, die in den Augen der Angeklagten angeblich „Asoziale“ seien. Eine ähnliche Ideologie wie im Nationalsozialismus.

So soll in der Nacht des Jahreswechsels von 2021 auf 2022 der Angeklagte K. mit weiteren Mitstreitern eine Silvesterparty auf einem Eisenacher Gartengrundstück überfallen haben. Laut Anklage habe K. „ein Exempel statuieren“ wollen, weil ihm zuvor zu Ohren gekommen war, dass auf der Feier Drogen konsumiert wurden.

Mit einer Schreckschusswaffe soll einer der Rechtsextremisten den Eingang zum Garten versperrt haben, während K. die Partygäste schwören ließ, dass sie nie wieder Drogen konsumieren. Schließlich wurden mehrere Teilnehmer der Party mithilfe von Quarzhandschuhen bewusstlos geschlagen.

Keine Anklage als „terroristische Vereinigung“

Insgesamt werden den vier Männern die Beteiligung an 14 Vorfällen wie diesem vorgeworfen, bei denen zahlreiche Menschen teilweise schwer verletzt wurden. Darunter Polizisten und Personen aus der linken Szene. Obwohl die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage mehrmals deutlich macht, dass die „Knockout 51“-Mitglieder offenbar auch bereit dazu waren, zu töten, lies der Senat des Jenaer Gerichts eine Anklage wegen Bildung oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nicht zu. Stattdessen ist von einer kriminellen Vereinigung die Rede. Laut Anklage haben zwei der Rechtsextremisten unter anderem geplant, mit einer Axt in „Gegner reinzuhacken“ oder sie mit dem Auto zu „überfahren“.

Die Thüringer Linken-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss, die als Beobachterin beim Prozessauftakt anwesend war, reagierte auf die nicht zugelassene Anklage als „terroristische Vereinigung“ in Interview mit dem Fernsehsender RTL mit Unverständnis.

König-Preuss, die als Expertin der rechtsextremen Szene Thüringens gilt, berichtete außerdem, dass zahlreiche Geschädigte der Neonazis „keinerlei Interesse“ daran haben, vor Gericht als Zeugen auszusagen. Grund sei die Angst vor Repressionen durch zahlreiche rechtsextreme Mitstreiter der vier Angeklagten, die nach wie vor in Thüringen aktiv seien.

Im Besucherbereich des Saals waren zwischenzeitlich etwa zehn Personen aus der rechten Szene anwesend, darunter auch Akteure des Dortmunder Neonazimilieus. Einige trugen rechtsextreme Tattoos wie den Zahlencode „88“, der für „Heil Hitler“ steht oder das Konterfei eines Wehrmachtssoldaten auf der Haut. Außerhalb des Gerichts wurde aus der rechtsextremen Unterstützer-Gruppe heraus die Linken-Politikerin König-Preuss als „Hure“ beleidigt, während sie sich mit Mitstreitern über eine sichere, gemeinsame Abreise beriet. (mit AFP)

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