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Auf der Suche nach der verlorenenn Mehrheit: Italiens Premier Conte am Montag in der Abgeordnetenkammer.

© Alessandra Tarantino/Reuters

Update

Regierungskrise in Italien: Premier Conte gewinnt die erste Schlacht

Italiens Regierungschef bringt in der Regierungskrise das erste Parlamentskammer hinter sich. Der schwierigere Teil wartet morgen auf ihn.

Teil eins ist geschafft: Mit 321 Ja-Stimmen 259mal nein bei 27 Enthaltungen hat Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte die Regierungskrise in einem ersten Schritt für sich entscheiden können. Das Abgeordnetenhaus in Rom sprach ihm am Abend das Vertrauen aus - obwohl er in der vergangenen Woche Teile seiner Mehrheit verloren hatte. Die Kleinpartei des früheren Premiers Matteo Renzi hatte die Regierung Conte Ende letzter Woche verlassen. Conte, dessen Koalition nun nur noch von der Fünf- Sterne-Bewegung, dem sozialdemokratischen Partito democratico (PD) und der kleinen Partei Liberi e uguali (Leu) getragen wird, braucht Mehrheiten in beiden Parlamentskammern, Abgeordnetenhaus und Senat. Das „vollständige Zweikammersystem“ Italiens erzwingt, dass alle Gesetze durch beide Häuser laufen. Im Senat, der am morgigen Dienstag abstimmen wird, könnte es enger für die Regierung werden.

Conte hatte zuvor an den Verantwortungssinn der Abgeordneten appelliert: "Wir müssen uns einer Regierungskrise stellen in einer entscheidenden Phase, in der eine beispiellose Pandemie noch in vollem Gange ist. Unsere Bürger stehen vor Schwierigkeiten, sie beweinen ihre Toten. Ich bekenne, dass ich mich unwohl fühle: Ich stehe hier nicht, um Hilfsmaßnahmen zu verkünden oder den Wiederaufbauplan zu erläutern, sondern um eine Krise zu erklären, für die ich selbst keinen plausiblen Grund sehe." Über das Wochenende hinweg und bis zum Montag hatten er und seine Regierung versucht, Ersatz für die Abgeordneten der bisherigen Koalitionspartnerin "Italia viva" von Matteo Renzi zu bekommen.  

Zeitung: Regierungssturz lähmt das Land bis zu fünf Monaten

Erneute Verhandlungen mit Renzi schlossen die verlassenen Koalitionspartnerinnen bisher aus: „Nie wieder“, hieß es sowohl von den Sternen wie aus dem PD. Renzi sei „vertrauensunwürdig und unverantwortlich“. Auch Conte äußerte sich in seiner Parlamentsrede so. Renzi hatte, damals noch Chef des PD, in den letzten Jahren die eigene Regierung in eine Niederlage geführt, verweigerte dann den Eintritt in die Sterne-geführte Regierung, der damit nur Salvinis Rechte blieb, trat schließlich doch ein und nun, anderthalb Jahre und eine Pandemie später, wieder aus.

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Stattdessen mühen sich die Scouts des Ministerpräsidenten und seiner Getreuen, Renzi die Leute abspenstig zu machen: „Sie sind für den PD ins Parlament gekommen, hoffentlich stimmen sie auch mit dem PD“, mahnte Regionalminister Francesco Boccia. Das stimmt für die Mehrzahl der Abgeordneten von „Italia viva“. Sie spaltete sich 2019, im Jahr nach der letzten Parlamentswahl, vom PD ab.
Nach weiteren Stimmen zur „Rettung des Landes“, wie PD-Chef Nicola Zingaretti formulierte, suche man unter „demokratisch, liberal und europäisch“ gesonnenen Abgeordneten. Ob dies auch für den Senat funktioniert hat, wird sich am Dienstag zeigten, wenn Conte auch diese zweite Kammer hinter sich bringen muss. Der Nervenkrieg werde auch danach weitergehen, wurde Renzi zitiert, schon weil die so entstehende Patchwork-Mehrheit kaum stabil werde.
Auf dem Leitartikelplatz des Mailänder „Corriere della sera“ rechneten am Montag die Journalistinnen Milena Gabanelli und Simona Ravizza die Kosten der vielen Regierungsstürze und -umbildungen in der Geschichte der italienischen Republik zusammen. Jede von ihnen – es waren 66 in 75 Jahren unter allerdings nur 29 Premierministern – lähme die Politik in Italien für bis zu fünf Monate. Etwa 1000 Funktionäre müssten jeweils ausgewechselt werden. Wobei allerdings die Generaldirektoren der Ministerien blieben – mit dem Effekt, dass sie einer nachfolgenden Ministerin mit anderer politischer Farbe ordentlich Sand ins Getriebe schaufeln könnten.

"Politik erfüllt gerade ihre vornehmste Aufgabe - Einsatz für das Gemeinwohl"

Der Erfolg der Heckenschützen gegen eine amtierende Regierung steht dabei in deutlichem Missverhältnis zu den politischen Kosten, schreiben die Journalistinnen. Die umstürzlerischen Kleinstparteien seien bei der nächsten Wahl meist abgestraft worden, oft nach einem Regierungssturz auch ganz von der Bühne verschwunden.

Conte vermied es in seiner Rede, Renzi als Urheber der Krise ausdrücklich zu nennen, ging aber auf dessen Vorwurf ein, die Regierung betreibe keine Politik mehr, sondern ausschließlich Pandemiemaßnahmen: "Tatsächlich ist gegenwärtig die Politik wie nie zuvor aufgerufen, ihre vornehmste Aufgabe zu erfüllen: Entscheidungen für das Gemeinwohl zu treffen - darunter einige tragische." Hochpolitisch sei auch die Wirkung der Pandemie auf Brüssel gewesen, auf die Rom früher als andere gedrungen habe: Die gemeinsame Finanzierung der Pandemiefolgen habe "die europäische Politik zu einer nicht mehr umkehrbaren Wende bewegt". Dieser neue Weg werde die politischen und wirtschaftlichen Regeln "und sogar das Gesicht der Europäischen Union" zutiefst verändern, sagte Conte.

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