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Mit einem Bagger wird am dritten Tag der Räumung im von Klimaaktivisten besetzten Braunkohleort Lützerath gearbeitet.

© dpa/Federico Gambarini

Update

Räumung in Lützerath: „Wenn schon meine Zukunft zerstört wird, will ich mich wenigstens gewehrt haben“

Die Klimaschutzaktivisten kämpfen in Lützerath bis zum bitteren Ende. Durch ihre Protestaktionen erschweren sie die Räumungsarbeiten der Polizei maßgeblich.

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Der Einstieg in den Tunnel ist selbst aus der Nähe kaum zu sehen. Zwischen alten Ruinen, Bäumen, Sträuchern und Efeu geht es hinab in die Erde, um die so erbittert gekämpft wird. Viele Millionen Tonnen Braunkohle liegen unter der Erde von Lützerath. Und etwas weniger tief, gut vier Meter unter dem Boden, nun auch mindestens zwei Klimaschutzaktivisten, die entschlossen sind, in ihrem selbstgebauten Tunnel auszuharren, bis sich die Polizei und der Energiekonzern RWE aus dem Braunkohledorf zurückzieht.

Doch der Kontakt zu den Aktivisten, die dort im Tunnel ausharren, sei am Freitagabend abgebrochen, berichteten „Friday For Future“-Aktivisten laut dem Verein Campact. In ihrer letzten Nachricht nach draußen hätten sie demnach Vibrationen des Bodens gemeldet.

Zuvor hatten die Aktivisten im Tunnel davor gewarnt, Lützerath mit schwerem Gerät zu befahren, da der Tunnel einsturzgefährdet sei. „Die Situation besorgt uns sehr. Wir fordern die Polizei auf, sofort Journalist*innen am Einsatzort sowie vermittelnde Aktivist*innen zuzulassen“, sagte eine Sprecherin des Vereins Campact der Nachrichtenagentur dpa.

Nicht nur wegen des Tunnels unter Lützerath erweisen sich die Räumungsarbeiten der Polizei nun doch als zunehmend schwierig. Eine mittlere dreistellige Zahl an Aktivisten habe man seit Mittwoch geräumt, sagt ein Sprecher der Polizei am Freitag. Mit der Räumung des letzten besetzen Hofs hatte die Polizei zuvor begonnen. Doch zwei Demonstranten waren auf dem Dach auf einen hölzernen Tripod, ein Art Dreibein, geklettert, wodurch die Bergung erheblich erschwert wurde.

Immerhin sei es am Freitag friedlich geblieben und nicht mehr mit Pyrotechnik oder Steinen geworfen worden, sagte ein Polizeisprecher. Wo am Donnerstag noch Bäume standen, finden sich am Freitag nur noch Stümpfe. Die geräumten Gebäude reißen Bagger Stück für Stück ab. Auf den Feldern vor Lützerath türmt sich inzwischen der Schutt.

Doch mit der Räumung der letzten Aktivisten kommt die Polizei am Freitag langsamer voran. In den Baumhäusern, vor allem aber im Tunnel machen die Spezialkräfte nur wenige Fortschritte. Die Behörden gehen mit äußerster Vorsicht vor, weil nicht klar ist, wie stabil der Tunnel ist. Das THW habe die Luftzufuhr sichergestellt, durch Rufe habe man Kontakt mit den beiden Aktivisten aufgenommen. Einen Bergeversuch habe es noch nicht gegeben, so die Polizei.

Grünen-Politikerin Henneberger gibt Entwarnung

„Ich finde es einfach schlimm, welche Gefahren diese Menschen auf sich nehmen“, sagte der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach, nachdem er ein Stück weit in den Tunnelschacht hinabgestiegen war. „Es geht ihnen gut und sie wissen, was sie tun“, sagt Grünen-Politikerin Kathrin Henneberger, die seit Tagen vor Ort ist als parlamentarische Beobachterin und früher selbst Kohleaktivistin war.

Die Aktivisten hatten am Donnerstag ein Video mit Aufnahmen aus dem Tunnel veröffentlicht. Darin sind zwei maskierte Männer zu sehen, die ankündigen, sich zusätzlich auch noch unter der Erde anketten zu wollen. „Es ist schwieriger, einen Tunnel zu räumen als ein Baumhaus“, erklärt einer der Männer.

Die Klimaaktivistinnen Luisa Neubauer (4.v.l) und Greta Thunberg (3.v.r) stehen am dritten Tag der Räumung im von Klimaaktivisten besetzten Braunkohleort Lützerath.
Die Klimaaktivistinnen Luisa Neubauer (4.v.l) und Greta Thunberg (3.v.r) stehen am dritten Tag der Räumung im von Klimaaktivisten besetzten Braunkohleort Lützerath.

© dpa/Federico Gambarini

Ein paar Kilometer weiter spendet die Nachricht der beiden Aktivisten im Tunnel von Lützerath Mut. In Keyenberg, eines der fünf Dörfer, das vor der Abbaggerung gerettet wurde, haben Klimaschutzaktivisten seit fast einer Woche ein Protestcamp auf dem Fußballplatz bezogen. Der frühere Rasen ist längst tiefer Matsch, zwischen den beiden Toren stehen große Zirkuszelte zum Kochen, an Feuertonnen wärmen sich Menschen, daneben wird psychologische Hilfe und Demo-Training angeboten.

Es seien deutlich mehr Menschen da, als Platz sei, sagt eine der Organisatorinnen. „Uns ermutigt, dass sich weiterhin so viele Menschen der Räumung in den Weg stellen wollen“, sagt sie. Der Tunnel sei für alle im Camp ein Push gewesen.

Am Samstag hoffen sie auf tausende Unterstützer aus dem ganzen Land. Auch die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg hat sich zu der Großdemonstration angekündigt. „Es ist noch nicht vorbei. Die 280 Tonnen Kohle können noch im Boden bleiben“, sagt die Organisatorin. Sie glaube noch an eine Zukunft von Lützerath, beteuert sie.

Ein paar Minuten später erreicht eine Klimaaktivistin mit Klettergurt und weißem Ganzkörperanzug das Camp. Zweieinhalb Tage hat sie sich in Lützerath in einem Gebäude verschanzt, am frühen Freitagmorgen sei sie geräumt worden. Sie klingt ein bisschen enttäuscht. „Wir wollten wenigstens bis Samstag durchhalten“, sagt sie.

Trotzdem sei ihr Protest ein Erfolg gewesen. In der Nacht habe sie im Radio gehört, wie viel über Lützerath und die Gegenwehr berichtet werde. Für die Aufmerksamkeit habe es sich gelohnt und auch persönlich bereue sie den Einsatz nicht: „Wenn schon meine Zukunft zerstört wird, will ich mich wenigstens gewehrt haben.“

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