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Bundespräsident Christian Wulff bei seiner Rede vor den Abgeordneten des türkischen Parlaments.

© dpa

Rede vor türkischem Parlament: Christian Wulff: Der Rede wert

Es war die erste Rede eines deutschen Staatsoberhauptes vor dem türkischen Parlament. Bundespräsident Christian Wulff sprach auch heikle Themen an. Wie wurden seine Worte aufgenommen?

Wie enge Freundinnen begrüßten sich die beiden jungen Frauen auf dem Flughafen von Ankara, obwohl sie sich nie zuvor gesehen haben dürften. Beide Mitte dreißig mit langen offenen Haaren – die eine blond, die andere braunhaarig –, beide noch nicht lange verheiratet mit termingeplagten Politikern, die sich zuvor schon einmal haben scheiden lassen: Die deutsche Präsidentengattin Bettina Wulff und Esra Simsek, die Frau des türkischen Finanzministers, hätten sich sicher einiges zu erzählen gehabt, wenn im Empfangsprotokoll für Bundespräsident Christian Wulff mehr Zeit gewesen wäre als für eine herzliche Begrüßung und einen Blumenstrauß.

Dabei hätte eine längere Unterhaltung mit Esras Ehemann vielleicht auch für den Bundespräsidenten interessant werden können, geht es bei seiner viertägigen Visite doch vor allem um das Thema Integration – und von der versteht Mehmet Simsek einiges. Im kurdischen Südosten geboren, konnte der heutige Finanzminister der Türkei als Kind überhaupt kein Türkisch, wie er erst jetzt enthüllte; seine Familie sprach nur Kurdisch. Gelernt hat Simsek die Landessprache in der Grundschule, von der aus er sich hochgearbeitet hat bis in die Regierung. Heute bezeichnet sich Simsek als Paradebeispiel für eine gelungene Integration, und sein Rezept dafür lautet: Bildung, Bildung, Bildung – und zuerst einmal die Landessprache lernen.

Genau diese Botschaft hatte Bundespräsident Wulff für die türkische Minderheit in Deutschland dabei. „Die Grundlage für die Lösung vieler Probleme ist vor allem, die deutsche Sprache zu lernen“, sagte Wulff zum Auftakt seiner Visite der Zeitung „Hürriyet“, die auch von Türken in Deutschland viel gelesen wird. „Dann öffnen sich auch die Türen in unser Bildungssystem.“ Er freue sich, dass der türkische Staatspräsident Abdullah Gül die Bedeutung des Spracherwerbs betont habe, fügte Wulff hinzu und dankte auch der türkischen Regierung für ihre entsprechenden Aufrufe an die Türken in Deutschland.

Unerwähnt blieb bei den Gesprächen die Ironie, dass dieses Integrationsrezept in der Türkei selbst längst nicht mehr unumstritten ist und die Kurden dort inzwischen kurdischsprachigen Schulunterricht fordern. Denn beim ersten Staatsbesuch eines deutschen Bundespräsidenten in der Türkei seit zehn Jahren ging es zumindest am ersten Tag vor allem um deutsche Innenpolitik und die deutsche Integrationsdebatte. Schon zum Auftakt wies Wulff die Äußerungen des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) über eine mangelnde Integrationsfähigkeit von Türken zurück. „Zu behaupten, eine ganze Gruppe könne und wolle sich nicht integrieren, halte ich für falsch“, sagte er in dem „Hürriyet“-Interview. „Ich wende mich gegen jedes Pauschalurteil.“

Auch die erste Rede eines deutschen Staatsoberhauptes vor dem türkischen Parlament wurde streckenweise von der deutschen Integrationsdebatte dominiert. „Es ist wichtig, dass wir unsere Probleme klar benennen“, sagte Wulff in dieser Rede. „Dazu gehören das Verharren in Staatshilfe, Kriminalitätsraten, Machogehabe, Bildungs- und Leistungsverweigerung.“ Ratlose Blicke erntete er dafür von seinen türkischen Zuhörern, die wenig von solchen Problemen wissen: Staatshilfen gibt es in der Türkei zu wenige, als dass man sich darauf stützen könnte. Die einheimische Jugend ist bildungshungrig und leistungsorientiert, und rüpeliges Benehmen wird in der türkischen Gesellschaft beizeiten mit Kopfnüssen eingedämmt. Obwohl er in der Türkei sprach, waren Wulffs Aussagen vor allem an die deutsche Öffentlichkeit gerichtet.

Mit seiner Rede vor dem türkischen Parlament wollte der Bundespräsident offenbar ein Gegengewicht zu seiner Rede am Tag der deutschen Einheit schaffen, die heftige Debatten um den Platz des Islam in Deutschland ausgelöst hatte. Er freue sich, dass er in beiden Reden dasselbe sagen könne, sagte Wulff vor Journalisten in Ankara.

Hatte er sich am 3. Oktober in Bremen mit dem Platz des Islam in Deutschland auseinandergesetzt, so sprach er nun in Ankara über den Platz des Christentums in der Türkei. „Das Christentum gehört zweifelsfrei zur Türkei“, sagte der Bundespräsident vor dem türkischen Parlament, in dem das vor allem auf den Oppositionsbänken teilweise anders gesehen wird – im Plenarsaal herrschte eisiges Schweigen.

Muslime könnten in Deutschland ihren Glauben „in würdigem Rahmen praktizieren“, erinnerte Wulff die Abgeordneten und verwies auf die vielen Moscheen auf deutschem Boden. Deutschland erwarte, „dass Christen in islamischen Ländern das gleiche Recht haben, ihren Glauben öffentlich zu leben, theologischen Nachwuchs auszubilden und Kirchen zu bauen“. An allen drei Punkten hapert es in der Türkei: Der Bau von Kirchen ist inzwischen zwar erlaubt, wird aber oft behindert; das faktische Verbot der Priesterausbildung gefährdet den Fortbestand tausendjähriger Glaubensgemeinschaften; und Christen werden in der Gesellschaft auf vielen Ebenen diskriminiert.

Wulff umschiffte auch ein anderes durchaus heikles Thema nicht. Vor den türkischen Abgeordneten unterstrich er das Existenzrecht Israels. Das Existenzrecht und die Sicherheit des Staates Israel seien vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte „für uns nicht verhandelbar“. Kritik äußerte Wulff am Atomprogramm des Irans. Deutschland habe weiterhin Zweifel an dessen ausschließlich friedlichem Charakter. Vor den Abgeordneten sagte er, die Türkei sehe sich in besonderer Weise den Ambitionen Irans im Nuklearbereich gegenüber. Deutschland teile die Sorge der Türkei, dass es zu einem nuklearen Wettlauf im Nahen und Mittleren Osten komme, wenn nicht gegengesteuert werde.

Geschickt verband Wulff seine Mahnungen mit dem Thema, das in der Türkei immer interessiert: Europa. „Die Religionsfreiheit ist Teil unseres Verständnisses von Europa als Wertegemeinschaft“, sagte er. „Wir müssen religiösen Minderheiten die freie Ausübung ihres Glaubens ermöglichen.“ Das sei nicht unumstritten, aber notwendig, fügte er hinzu – und sprach damit vielleicht Zuhörer in beiden Ländern an: Jüngsten Umfragen zufolge wollen fast 60 Prozent der Deutschen die islamische Religionsausübung in Deutschland einschränken, während ebenso viele Türken öffentliche Veranstaltungen von Christen in der Türkei verbieten würden.

Staatspräsident Abdullah Gül zählt immerhin nicht zu ihnen: Er sei auch Präsident der christlichen und jüdischen Türken, sagte Gül auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Wulff, der in Bremen erklärt hatte, er sei auch der Präsident der Muslime in Deutschland.

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