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Olaf Scholz am 22. Juni vor dem Bundestag.

© John MACDOUGALL / AFP

Update

Regierungserklärung vor Gipfeltreffen: Scholz nennt „Partnerschaft mit Russland auf absehbare Zeit unvorstellbar“

Gleich drei wegweisende Termine stehen für den Kanzler an: die Gipfel der EU, G7 und Nato. Zuvor gab er am Mittwoch eine 20-minütige Regierungserklärung ab.

Kanzler Olaf Scholz erwartet vom Nato-Gipfel in Madrid angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ein Signal des Zusammenhalts und der Entschlossenheit. „Eine Partnerschaft mit Russland, wie sie noch das Strategische Konzept von 2010 als Ziel ausgegeben hat, ist mit Putins aggressivem, imperialistischen Russland auf absehbare Zeit unvorstellbar“, sagte der SPD-Politiker in seiner Regierungserklärung.

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Zugleich warnte der Bundeskanzler, daraus falsche Schlüsse zu ziehen. „Es wäre unklug, unsererseits die Nato-Russland-Grundakte aufzukündigen“, sagte er. Das würde dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen Propaganda nur in die Hände spielen. Die Grundakte bekräftige genau die Prinzipien, gegen die Putin so eklatant verstoße:

Den Verzicht auf Gewalt, die Achtung von Grenzen, die Souveränität unabhängiger Staaten. Daran solle Putin immer wieder erinnert werden.

In der Nato-Russland-Grundakte von 1997 hatte sich die Nato auch verpflichtet, auf die dauerhafte Stationierung „substanzieller Kampftruppen“ im östlichen Bündnisgebiet zu verzichten. Die geplante langfristige Verstärkung der Nato-Präsenz an der Ostflanke könnte die Spannungen mit Russland weiter verstärken.

Harte Haltung gegenüber Russland

Scholz bekräftigte eine harte Haltung gegenüber Russland, das die Ukraine am 24. Februar angegriffen hat. „Umso entscheidender ist es, dass wir standhaft Kurs halten: mit unseren Sanktionen, mit den international abgestimmten Waffenlieferungen, mit unserer finanziellen Unterstützung für die Ukraine", mahnte er. „Solange bis Putin seine kolossale Fehleinschätzung endlich erkennt."

Er bestätigte, dass die deutschen Panzerhaubitzen 2000 sich mittlerweile in der Ukraine befänden. Die Ukraine werde die Waffen bekommen, die es bei der Verteidigung gegen Russland brauche.

Man müsse aber gleichzeitig ärmeren Länder helfen, den Anstieg der Energie- und Nahrungsmittelpreise zu bewältigen. Ansonsten würden China und Russland dies ausnutzen. Die Demokratien der Welt müssten nicht nur gegen Russlands Imperialismus, sondern auch im Kampf gegen Hunger und Armut zusammenstehen.

Der Kanzler hob hervor, dass an Lösungen für die Ausfuhr von ukrainischen Nahrungsmitteln gearbeitet werde. Es könne nicht dabei bleiben, dass Millionen Tonnen Getreide in ukrainischen Speichern fest steckten, „obwohl sie weltweit dringend gebraucht werden“.

Ukraine wird solange wie nötig unterstützt

Scholz hat der Ukraine im Kampf gegen den russischen Angriffskrieg anhaltende deutsche und europäische Unterstützung zugesagt – auch mit Waffen. „Die Ukraine bekommt die Waffen, die sie in der jetzigen Phase des Krieges besonders braucht“, sagte der SPD-Politiker. Deutschland liefere die Waffen - „heute und in Zukunft“, betonte Scholz.

Die Ukraine habe jedes Recht, sich gegen Russland zur Wehr zu setzen, sagte Scholz. „Und es ist unsere Pflicht als europäische Nachbarn, als Verteidiger von Recht und Freiheit, als Freunde und Partner der Ukraine, sie dabei bestmöglich zu unterstützen.“ Europa stehe geschlossen an der Seite des ukrainischen Volkes, versicherte der Bundeskanzler.

„Wir werden die Ukraine auch weiterhin massiv unterstützen - finanziell, wirtschaftlich, humanitär, politisch und nicht zuletzt mit der Lieferung von Waffen“, sagte er und ergänzte: „Und zwar so lange, wie die Ukraine unsere Unterstützung braucht.“

So laufe die Ausbildung ukrainischer Soldaten an den Flugabwehrpanzern vom Typ Gepard, sagte der Kanzler. Die Ausbildung an den zugesagten Mehrfachraketenwerfern werde in den kommenden Tagen beginnen. Vor wenigen Tagen sei der Vertrag über das Luftabwehrsystem Iris-T, das eine ganze Großstadt vor Luftangriffen schützen könne, zwischen der Ukraine und der Industrie unterzeichnet worden.

Ein erster Ringtausch von Waffen mit Tschechien stehe, Gespräche mit weiteren Tauschpartnern würden mit Hochdruck geführt, betonte Scholz.

„Marshall-Plan“ für Ukraine

Außerdem hat Olaf Scholz einen „Marshall-Plan“ für den Wiederaufbau der kriegszerstörten Ukraine gefordert. In seiner Regierungserklärung sagte er, dass ihn bei seinem Besuch in der Ukraine vergangene Woche manches an die Bilder deutscher Städte nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert habe. „Und wie damals das kriegszerstörte Europa braucht heute auch die Ukraine einen Marshall-Plan für den Wiederaufbau.“

Seit Kriegsbeginn habe die Europäische Union bereits Mittel in Milliardenhöhe mobilisiert, Deutschland sei vorne mit dabei. „Aber wir werden viele weitere Milliarden Euro und Dollar für den Wiederaufbau brauchen – und das über Jahre hinweg. Das geht nur mit vereinten Kräften.“

Um die Hilfe zu organisieren will Scholz im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft eine internationale Expertenkonferenz einberufen. Man müsse sich darüber verständigen, welche Investitionen die Ukraine am schnellsten voranbringen auf ihrem europäischen Weg, sagte der SPD-Politiker.

Nato-Partner im Osten können sich auf Deutschland verlassen

Vor dem Hintergrund des Streits zwischen Russland und Litauen wegen der Ostsee-Exklave Kaliningrad hat Bundeskanzler Olaf Scholz den östlichen Nato-Partnern die volle Bündnissolidarität Deutschlands zugesichert. „Wir werden jeden Quadratmeter des Bündnisgebiets verteidigen“, sagte der SPD-Politiker.

Aus ihrer eigenen Geschichte wüssten die Deutschen, was sie dieser Zusage zu verdanken hätten, sagte Scholz. „Und deshalb können unsere Nato-Partner im Osten Europas sich heute auf Deutschland verlassen. Mit dieser Zusage gehen wir in den Nato-Gipfel kommende Woche.“

Weil sich auch andere Verbündete mit ganz konkreten Beiträgen zur gemeinsamen Sicherheitsverantwortung bekennen würden, sei er fest überzeugt: „Vom Nato-Gipfel wird ein Signal des Zusammenhalts und der Entschlossenheit ausgehen.“

Deutschland belasse es nicht bei Worten, betonte Scholz. Unmittelbar nach Kriegsbeginn habe man zusätzliche Soldatinnen und Soldaten und militärische Fähigkeiten wie Luftabwehr ins östliche Bündnisgebiet verlegt. Mit Litauen sei vereinbart, die deutsche Präsenz dort dauerhaft zu verstärken und dem Land eine robuste Bundeswehrbrigade fest zuzuordnen.

Deutschland werde zudem seine Präsenz mit Luft- und Marinestreitkräften im Ostseeraum ausweiten und sei dabei, Soldatinnen und Soldaten zur Sicherung des Luftraums in die Slowakei zu entsenden.

"27 Mal Ja zum Kandidatenstatus"

Scholz will beim anstehenden EU-Gipfel dafür werben, der Ukraine den Status eines Beitrittskandidaten zu verleihen. „27 Mal Ja zum Kandidatenstatus“, das sei sein Ziel, sagt Scholz. Dies gelte auch für Moldawien. Auch müsse die EU ihren Versprechen an die Westbalkan-Staaten endlich gerecht werden. Erforderlich seien dazu aber auch Reformen der Europäischen Union, um aufnahmefähig zu sein. Unter anderem brauche es weniger Einstimmigkeit und mehr Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit etwa in der Außenpolitik.

Friedrich Merz am 22. Juni im Bundestag.
Friedrich Merz am 22. Juni im Bundestag.

© REUTERS/Christian Mang

Friedrich Merz warnt vor der Gefahr eines Völkermords

Unionsfraktionschef Friedrich Merz hat angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine vor der Gefahr eines Völkermordes gewarnt. Bundesregierung und Bundestag müssten der Schutzverantwortung für die Ukraine nachkommen, sagte der CDU-Vorsitzende am Mittwoch in der Aussprache zur Regierungserklärung.

Die Unionsfraktion begrüße, „dass nun auch endlich die Lieferung der Waffen in Gang kommt“, die man gemeinsam im April beschlossen habe und die Kanzler Olaf Scholz seit Wochen angekündigt habe, sagte Merz. „Wir begrüßen das ausdrücklich. Wir hätten es uns früher vorstellen können.“

Merz begrüßte zudem ausdrücklich, dass Scholz vergangene Woche gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Ministerpräsident Mario Draghi Kiew besucht hatte. „Das war ein wichtiges Zeichen der europäischen Solidarität mit diesem unverändert geschundenen Land und seinen Menschen.“

Dass Russland nun offenbar dabei sei, die Spannungen zu Litauen zu verschärfen, zeige, „dass wir in unserer Einschätzung richtig liegen, dass Putin in der Ukraine gestoppt werden muss. Wenn das nicht gelingt, macht er weiter.“

Merz begrüßte es als „strategisch sehr kluge Entscheidung“, dass die Bundesregierung auch Indien zum G7-Gipfel ins bayerische Elmau eingeladen hat. Er kritisierte aber scharf, dass die Ampel-Koalition es am Mittwoch erneut abgelehnt habe, endlich das Freihandelsabkommen mit Kanada zu verabschieden.

Tino Chrupalla, AfD-Bundesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender der AfD, spricht nach einer Regierungserklärung von Kanzler Scholz.
Tino Chrupalla, AfD-Bundesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender der AfD, spricht nach einer Regierungserklärung von Kanzler Scholz.

© Michael Kappeler/dpa

Linksfraktionschef Dietmar Bartsch lehnte einen baldigen EU-Beitritt der Ukraine ab. „Wer einmal in der EU ist, der kann nicht mehr ausgeschlossen werden, und wir alle wissen, dass die EU schon heute sehr problematische Mitglieder hat.“

Gegenüber der Ukraine gelte: „Unterstützung ja, Hoffnung ja - aber keine falsche Hoffnung wecken.“ AfD-Partei- und Fraktionschef Tino Chrupalla kritisierte, mit dem Beitrittsversprechen an die Ukraine werde der dortigen Bevölkerung eine Sicherheit vorgegaukelt, die niemals einzuhalten sei.

Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge betonte dagegen, eine „klare europäische Beitrittsperspektive“ sei der Ukraine besonders wichtig. „Und deswegen ist es so fundamental wichtig, wenn vom Europäischen Rat jetzt das Zeichen ausgeht, dass die Ukraine und dass auch Moldau den Kandidatenstatus bekommen werden.“ FDP-Fraktionschef Christian Dürr betonte, für den späteren Wiederaufbau der Ukraine sei der gemeinsame europäische Binnenmarkt der beste Weg.

AfD-Chef Chrupalla ruft zum Dialog mit Russland auf

Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla hat die deutsche Sanktionspolitik gegen Russland verurteilt. Die Bundesregierung wolle sich „den Luxus“ leisten, auf eine Kooperation mit einem der rohstoffreichsten Länder der Welt zu verzichten, sagte er am Mittwoch im Bundestag nach der Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz.

„Auch wir verurteilen den russischen Angriff auf die Ukraine“, betonte der AfD-Partei- und Fraktionschef. Aber nur Dialog und Zusammenarbeit könnten den Frieden wiederherstellen.

„Wir brauchen gute Beziehungen zu möglichst allen internationalen Partnern“, betonte Chrupalla. Deutschland wolle Russland jedoch eine starke EU gegenüberstellen.

Drei Gipfel stehen bevor: EU, G7 und Nato

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union beraten am Donnerstag und Freitag in Brüssel. Im Mittelpunkt steht vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine eine EU-Beitrittskandidatur des Landes und auch von Moldau. Die EU-Kommission hatte am Freitag empfohlen, die Ukraine und Moldau offiziell zu Kandidaten für den EU-Beitritt zu ernennen.

Scholz war in der vergangenen Woche mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Ministerpräsident Mario Draghi gemeinsam in Kiew. Scholz und Macron hatten dabei dafür geworben, dass die Ukraine den Kandidatenstatus erhält.

Nach dem Europäischen Rat stehen für Scholz noch zwei weitere Gipfel an. Von Sonntag an kommen die Staats- und Regierungschefs der sieben führenden Industrienationen auf Schloss Elmau in Bayern zu einem dreitägigen G7-Gipfel zusammen. Neben dem Ukraine-Krieg sind hier der Kampf gegen Hunger und gegen die Erderwärmung dominierende Themen. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will teilnehmen.

Beim Nato-Gipfel vom 28. bis 30. Juni in Madrid wollen die Bündnispartner über ein neues strategisches Konzept beraten. Ein Thema dürfte auch die geplante Aufnahme von Finnland und Schweden sein, die derzeit von der Türkei blockiert wird.

Zu Beginn der Bundestagssitzung am Mittwoch (13.00 Uhr) stellte sich Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) den Fragen der Abgeordneten. Knapp vier Monate nach Kriegsbeginn waren am Dienstag mit den Artilleriegeschützen vom Typ Panzerhaubitze 2000 die ersten schweren Waffen aus Deutschland in der Ukraine eingetroffen. (dpa, Reuters)

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